Warum dieser ITler für das halbe Gehalt zum Staat wechselt
Lars Roemheld könnte für Google oder Microsoft programmieren, doch er arbeitet für ein Ministerium. Warum sich gefragte IT-Spezialisten für den Staat entscheiden.
**Düsseldorf.**Ein ITler in einer Behörde? Von seinen Kollegen wird Lars Roemheld deshalb gern als „Nerd vom Dienst“ bezeichnet. Roemheld programmiert, seit er 13 Jahre alt ist, hat Data Science an der Stanford University studiert und kann Algorithmen für Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) schreiben.
Er könnte für Microsoft, Google oder sonst einen großen Namen in der Tech-Szene arbeiten – und doch hat es den 31-Jährigen in den hauseigenen Thinktank des Bundesgesundheitsministeriums gezogen. Sein Verdienst ist etwa halb so hoch wie bei dem Start-up, für das Roemheld vorher gearbeitet hat.
Trotzdem ist der ITler zufrieden: Roemheld half unter anderem bei der Programmierung der Corona-Warn-App. „Hier habe ich das Gefühl, einen größeren Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können.“ Die mit Matetee gefüllten Kühlschränke vieler Tech-Konzerne dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Tätigkeiten dort nicht immer so sinnstiftend seien, erzählt Roemheld.
Weniger Geld, mehr Zufriedenheit: Roemhelds Beispiel zeigt, dass der Staat selbst für IT-Fachkräfte mehr zu bieten hat, als es das Klischee von staubigen Amtsstuben vermuten lässt. Doch die begehrten Kräfte allein mit Sinn zu locken, reicht nicht aus, schließlich können sich IT-Experten schon in der gut zahlenden Wirtschaft ihre Stelle praktisch aussuchen.
In Deutschland fehlen schon heute Zehntausende Tech-Fachkräfte. Der schiere Mangel hat bei Vater Staat zu einem Umdenken geführt. Viele Ämter zahlen monatliche Zuschläge für ITler. Und seit 2020 haben Bundesbehörden auch die Möglichkeit, ihren Beamten Antritts- oder Bindungsprämien zu überweisen, wie im Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz geregelt ist.
Der Name des Gesetzes ist dabei fast so lang wie die Liste an IT-Problemen bei Behörden und Ministerien, die sich gerade in der Coronakrise deutlich zeigen: So verfolgen Gesundheitsämter die Infizierten teilweise noch immer in Papierarbeit. Und in den Schulen scheitert der digitale Unterricht an der schwachen WLAN-Verbindung.
Anders betrachtet, ist nun auch der letzten Behörde die Bedeutung der Digitalisierung klar geworden. So können ITler gerade jetzt an der digitalen Transformation der gesamten Republik mitwirken.
Doch wie gelingt für IT-Fachkräfte der Wechsel in den Staatsdienst? Wo gibt es freie Stellen? Welche Voraussetzungen müssen Bewerber erfüllen? Und welche Verdienste sind drin? Die wichtigsten Antworten.
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Diese Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es für ITler
So groß der Staatsapparat mit seinen 4,9 Millionen Beschäftigten ist, so vielfältig sind auch die Aufgaben für ITler, die praktisch überall gebraucht werden: an Schulen, in Kommunen, in Behörden auf Landesebene oder in Bundesministerien, wie das Beispiel von Roemheld zeigt. Er ist durch einen Bekannten auf die Stellenausschreibung im Ministerium aufmerksam gemacht worden.
Tatsächlich existiert nicht die eine Stellenbörse, die alle offenen IT-Jobs im Staatsdienst auflistet. Für Bewerber ist es zielführend, sich auf den Karriereseiten der einzelnen Behörden, Ämter und Ministerien zu informieren, die für einen infrage kommen.
Derzeit hat zum Beispiel das Robert Koch-Institut (RKI) mehrere Stellen für IT-Experten ausgeschrieben, etwa als Projekt- oder Teamleiter. Auch die Gematik, die im Auftrag des Gesundheitsministeriums an der Einführung des E-Rezepts und der elektronischen Patientenakte arbeitet, sucht Mitarbeiter mit IT-Kenntnissen.
Und die Bundeswehr sucht seit Jahren unter dem Stichwort „Digitale Kräfte“ ITler für den Wehreinsatz – gefragt sind Administratoren, Fachinformatiker, Netzwerkanalysten, IT-Sicherheitsexperte und andere Spezialisten.
Eine weitere wichtige Anlaufstelle für ITler sind die IT-Behörden und IT-Dienstleister der öffentlichen Verwaltung. Dazu gehören das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Informationstechnikzentrum (ITZ) Bund oder der Kommunikationsdienstleister Dataport.
Roemheld ist bei der BWI GmbH angestellt. Das öffentliche Unternehmen mit gut 5000 Mitarbeitern und einer Milliarde Jahresumsatz ist das IT-Systemhaus der Bundeswehr, aber auch Dienstleister für andere Behörden und Ministerien.
So vielfältig, wie die Beschäftigungsmöglichkeiten für ITler sind, so unterschiedlich interessant sind sie auch. Stellen wie die von Roemheld, bei denen Beschäftigte in den obersten Behörden ein Stück weit die Republik mitgestalten können, dürften für viele Bewerber deutlich attraktiver sein als eine Anstellung als IT-Administrator bei einer kleinen Kommune.
Seiteneinsteiger können nicht nur in Behörden oder Ministerien, sondern auch in öffentlichen Unternehmen angestellt werden. In den ersten Fällen ist auch eine Verbeamtung denkbar, die meisten IT-Wechsler sind aber tarifbeschäftigt. Bewerber müssen in der Regel über einen Master- oder Diplomabschluss in den Bereichen Informatik, IT-Sicherheit oder IT-Management verfügen.
Normalerweise werden solche formalen Kriterien im öffentlichen Dienst sehr strikt ausgelegt. Doch weil der Fachkräftemangel groß ist, akzeptieren viele Stellen mittlerweile auch Abschlüsse in naturwissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder mathematischen Studiengängen, sofern der Bewerber mehrjährige Berufserfahrung im IT-Bereich vorweisen kann.
Auch KI-Experte Roemheld sagt: „Während Google eher auf die Fähigkeiten des Bewerbers achtet, ist beim Staat die Frage, ob man einen Doktor hat, noch viel relevanter.“ Eine Erklärung dafür mag sein, dass die Personalstellen eine gewisse Grundqualifikation sicherstellen wollen. Weil es gerade im IT-Bereich schwierig ist, die eigentlichen Fähigkeiten der Kandidaten zu bewerten, ist es leichter, dies an formalen Abschlüssen festzumachen.
"Während Google eher auf die Fähigkeiten des Bewerbers achtet, ist beim Staat die Frage, ob man einen Doktor hat, noch viel relevanter."KI-Experte Lars Roemheld
Roemheld berichtet von vielen Konkurrenten beim Vorstellungsgespräch. Jene, die den Zuschlag bekommen, müssen mit einer Sicherheitsüberprüfung und einer umfangreichen Datenschutzeinweisung rechnen.
Ohnehin sollten sich IT-Experten, die die hippe Start-up-Welt gewohnt sind, auf mehr Bürokratie und Dokumentationspflichten einstellen. „Ich musste auch erst lernen, wie Freigabeprozesse funktionieren“, erzählt der Querwechsler Roemheld.
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Diese Bezahlung ist möglich
Der Staat kann noch so viel mit Sinn und Sicherheit werben: Gerade ITler lassen sich nicht in das starre Tarifkorsett des öffentlichen Dienstes zwingen. Seit einigen Jahren haben öffentliche Arbeitgeber deshalb mehr Spielraum bei Beschäftigten in Mangelberufen geschaffen.
So können Ämter ihre tarifbeschäftigten ITler in höheren Entgeltgruppen einsteigen lassen und ihnen auch mehr Erfahrungsstufen anrechnen, was die Bezahlung steigert. Zudem haben sie die Möglichkeit, fünf Jahre lang monatliche Zuschläge von bis zu 1000 Euro zu überweisen.
Auch die seit 2020 geltenden Antritts- und Bindungsprämien dienen dem Zweck, Seiteneinsteiger aus der IT zu gewinnen. Diese Prämien bekommen nur Beamte. Durch die Personalgewinnungsprämie können IT-Fachkräfte so 44.000 bis 80.000 Euro brutto bekommen, rechnet die Beamtengewerkschaft vor.
Doch nicht alle Behörden zahlen die Zuschläge auch, weiß Edmund Mastiaux. Er ist Chef der Bonner Personalberatungsgesellschaft ZfM, die sich darauf spezialisiert hat, Führungskräfte aus der Wirtschaft für den Staatsdienst zu finden. „Gerade auf kommunaler Ebene tun sich viele Verwaltungen und öffentliche Unternehmen schwer, den rechtlichen Spielraum, den es bei der Gewährung von Arbeitsmarktzulagen gibt, auch auszunutzen“, sagt der Berater.
KI-Experte Roemheld arbeitet bei der BWI in einem öffentlichen Unternehmen und ist außertariflich angestellt. Er konnte sein Gehalt deshalb verhandeln, was im öffentlichen Dienst selten ist. „Das Ministerium hat sich schon große Mühe gegeben, gut zu bezahlen – aber für internationale Tech-Gehälter hat das Budget doch nicht ganz gereicht.“
Welche Gehälter für ITler drin sind, zeigen auch aktuelle Ausschreibungen: Stellen für Digitalfachkräfte sind beim RKI oder dem BSI in den Entgeltgruppen E13 oder E14 des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) Bund ausgeschrieben.
In der höchsten Erfahrungsstufe erreichen Beschäftigte ein Jahresgrundgehalt von 81.000 Euro. Durch die Monatszuschläge von 1000 Euro können Beschäftigte sogar über die 90.000 Euro kommen. Bundesbehörden wie das BSI zahlen zudem eine monatliche Zulage von gut 200 Euro.
Das ist dennoch wenig im Vergleich zur freien Wirtschaft. Hier verdienen ITler in Führungspositionen nach Daten der Beratung PwC im Schnitt rund 160.000 Euro pro Jahr – im öffentlichen Dienst ist es die Hälfte.
Diese Karriereperspektiven gibt es
Der Vertrag von Roemheld ist auf zweieinhalb Jahre befristet und läuft im Herbst aus. Der KI-Kenner überlegt, sich dann selbstständig zu machen oder sich bei den großen Technologiekonzernen zu bewerben. Im Ministerium wären grundsätzlich Karrieresprünge auf Posten unterhalb der politischen Ebene denkbar: als Referent, Unterabteilungsleiter oder Abteilungsleiter. Doch Roemheld möchte zurück in die Wirtschaft, „wieder näher an die schnelle Umsetzung“.
Für ihn war die Befristung auch ein Grund, in den Staatsdienst zu wechseln, um dort mit einem gewissen Projektcharakter etwa die Arbeitsweisen kennenzulernen.
Doch das sehen längst nicht alle so positiv: Viele Staatsbeschäftigte klagen, dass sie nur befristet eingestellt werden. Im öffentlichen Dienst waren 2019 rund 40 Prozent der Neuverträge befristet, zeigen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Gerade weil der Staat seine Angestellten oft lebenslang bindet, schafft er nur zögerlich neue Dauerstellen.
Eine Rückkehr zum Staat hält Roemheld für möglich: „Es war eine extrem spannende Zeit.“ Dass mit dem Jobwechsel nun auch die Aussicht auf mehr Geld steigt, freut ihn, „das kann ich schlecht verhehlen“.
Dennoch scheitere der Wechsel bei vielen ITlern nicht unbedingt am Geld, beobachtet Roemheld. „In einigen Ämtern kann der hohe Abstimmungsaufwand zermürbend sein.“ Dem Staat müsse es gelingen, agilere Arbeitsbedingungen zu schaffen – und zwar nicht nur für ITler.
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