Warum Renault Twingo, Ford Fiesta und VW Up verschwinden
Günstige Kleinst- und Kleinwagen verlieren in Deutschland schnell an Bedeutung. Denn viele Autohersteller ziehen sich aus dem Einstiegssegment zurück – zum Ärger der Kundschaft.
Düsseldorf. Ohne die ganz Kleinen haben es Deutschlands Pflegekräfte schwer. Bei der Wahl ihrer Dienstwagen schrumpft die Auswahl. In der Klasse der Minis, wie sie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) definiert, hatten Kunden 2012 noch die Wahl zwischen 24 verschiedenen Modellen.
Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich diese Zahl halbiert. Beliebte Kleinstwagen wie der Ford Ka oder die Opel-Modelle Karl und Adam haben die Hersteller eingestellt. Von zwölf verbliebenen Modellen laufen sechs Modellreihen in den kommenden Jahren aus – ohne direkten Nachfolger.
Die verbliebenen Autos sind entweder teuer oder größer. Das ärgert die Johanniter Unfallhilfe. Derzeit nutze man Fahrzeuge im Bestand länger oder weiche „gezwungenermaßen“ auch auf größere Modelle aus. Bei einer Pflegetour unter hohem Zeitdruck sorge das nicht nur für Mehrkosten, sondern auch für Stress bei der Parkplatzsuche, erklärt Johanniter-Bundesvorstand Thomas Mähnert.
Kleinwagen: Anteil an Zulassungen in Deutschland sinkt
Mit dem Angebot ist auch die Zahl der Kleinst- und Kleinwagen, die in Deutschland registriert werden, deutlich gesunken. In den vergangenen zehn Jahren ging ihr Anteil an den Neuzulassungen von 23,6 Prozent auf 18,1 Prozent zurück, zeigt die Statistik des KBA.
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Während der Marktanteil sinkt, steigen die Preise. Schon in den vergangenen zwei Jahren ist der durchschnittliche Händlereinkaufspreis für Kleinstwagen nach Berechnungen der Deutschen Automobiltreuhand (DAT) von 11.000 bis 12.000 Euro auf 15.400 Euro gestiegen – ohne Elektrofahrzeuge. Inklusive der drei elektrischen Kleinstwagen läge der durchschnittliche Preis sogar bei 17.600 Euro netto. Mit Mehrwertsteuer kostet der Einstieg in die kleinste Klasse damit bereits rund 21.000 Euro.
Kleinstwagen rechnen sich für Automobilindustrie kaum noch
Der Abschied vom Kleinstauto liegt nicht nur an einer gesunkenen Kundennachfrage. Das günstige Einstiegssegment wird für die Autohersteller auch immer weniger profitabel und damit uninteressanter. Sie stellen den Verkauf ihrer Verbrenner-Kleinstwagen teilweise ein, Jahre bevor die elektrischen Nachfolger serienreif sind.
Die Marge im Einstiegssegment war zwar schon immer klein, doch wegen neuer Vorschriften ist sie zuletzt noch weiter geschrumpft. Die gesetzlichen Anforderungen an die Assistenzsysteme und die Sicherheitsstandards des NCAP-Crashtests sind gewachsen.
„Die EU schreibt viele Ausstattungsmerkmale wie den Notbremsassistenten per Gesetz vor, das treibt die Kosten nach oben“, sagt Martin Weiss, Leiter der Fahrzeugbewertung bei der Deutschen Automobiltreuhand (DAT). Der Kunde sei nicht immer bereit, diese Aufschläge zu bezahlen.
Abgasnorm Euro 7 als Kostentreiber
Auch die neue Schadstoffnorm Euro 7 treibt die Kosten. Die EU hat bei der Vorstellung der neuen Anforderungen ab 2025 zwar kaum strengere Emissionsziele für Benziner vorgelegt. Die Technik der Fahrzeuge dürfte in den kommenden Jahren dennoch teurer werden.
VW-Entwicklungsvorstand Thomas Schäfer bezifferte die Mehrkosten durch neue Vorschriften zuletzt auf 3000 bis 5000 Euro pro Auto. Mehrkosten, die bei den preisgünstigen Einstiegsmodellen besonders ins Gewicht fallen – und die Kalkulation der Hersteller durchkreuzen.
Viele Bestseller fallen für das kommende Jahr aus: Der VW Up, jahrelange einer der erfolgreichsten Kleinstwagen, ist in Deutschland aktuell nicht mehr bestellbar – genauso wie seine Schwestermodelle Seat Mii und Skoda Citigo. Das werde sich auch 2023 nicht mehr ändern, heißt es aus dem Konzern. Das Kontingent für den deutschen Markt sei komplett erschöpft. Man arbeite nur noch die Bestellungen ab. „Wir sehen aber nach wie vor eine hohe Nachfrage im Segment“, erklärt ein VW-Sprecher.
Ganz tot ist das Modell aus VW-Sicht darum noch nicht: Die elektrische Variante des Up, die wegen exorbitanter Lieferzeiten in Deutschland ebenfalls aktuell nicht bestellbar ist, könnte ein Comeback erleben. Ob eine Bestellung 2023 wieder möglich sein wird, werde intern beraten, heißt es aus Konzernkreisen. Wann und in welchen Märkten, ist allerdings noch unklar. Und eines ist klar: Spätestens Ende 2024 ist weltweit Schluss für den Up.
Twingo, Ford Fiesta und VW Polo laufen aus
Der VW ist nicht der einzige beliebte Kleinstwagen, der seine letzten Runden dreht. Zuletzt verkündete der neue Renault-Chef Luca de Meo in einem Zeitungsinterview, dass es für den Twingo keinen direkten Nachfolger geben wird.
Die Neuauflage des elektrischen Renault 5 ist erst für 2024 angekündigt.
In der Kleinwagenklasse, wo die Autos eine Nummer größer sind, sieht es kaum besser aus: Zuletzt verkündete Ford, die Produktion des Kleinwagens Fiesta in Köln vorzeitig einzustellen. Damit ist das letzte Kleinwagenmodell, das noch in Deutschland gebaut wird, Geschichte. Und auch der VW Polo, aktuell die Nummer drei im B-Segment, läuft 2025 aus.
Schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht: Zwar wollen Marken wie Hyundai und Kia weiterhin Kleinstwagen wie den Picanto und den i10 anbieten. Doch aktuell werden diese Modelle der Koreaner aus der Türkei oder aus Korea importiert. Die Stückzahlen sind damit begrenzt.
Fiat 500 künftig nur noch als Elektroauto
Selbst der Fiat 500 – aktuell der meistverkaufte Kleinstwagen in Deutschland – soll perspektivisch nur noch elektrisch angeboten werden. Kleinwagenklassiker wie der Panda und der Punto sollten zwar eigentlich schnell elektrifizierte Nachfolger bekommen. Doch auch das zieht sich nun womöglich bis ins Jahr 2025.
Auch die Hoffnung, dass chinesische Hersteller die Angebotslücke schnell schließen, gibt es nicht. Die sehr beliebten elektrischen Kleinstwagen, die in China die Zulassungsstatistik anführen, erfüllen meist die europäischen Standards nicht. Unter den neuen chinesischen Autos, die 2023 im deutschen Markt starten wollen, findet sich mit dem Ora Funky Cat nur ein Kleinwagen. Dabei ist die Einstiegsklasse nicht nur für Pflegedienste und Lieferanten wichtig. Für viele Fahranfänger sind sie der Einstieg in die Autowelt.
Elektrischer Kleinwagen von VW erst ab 2025
Dennoch lassen sich die meisten Hersteller mit der Einführung von Kleinwagen dagegen Zeit. Der ID.1 – ein VW-Modell der Kleinstwagenklasse – ist bislang kaum mehr als eine Idee. Ein elektrischer Kleinwagen der Polo-Klasse, das intern unter ID.2 firmiert, soll erst ab 2025 vom Band laufen.
Weniger als 25.000 Euro solle das neue Elektromodell kosten, hieß es zuletzt aus dem VW-Konzern. Damit wäre das Auto ohne staatliche Förderung aber immer noch einige Tausend Euro teurer als die entsprechende Verbrennervariante.
Kleinwagen und Kleinstwagen: Elektrovarianten sind teurer als die Verbrenner
Bislang wird dieser Preisnachteil vor allem durch die staatlichen Kaufprämien ausgeglichen. Doch diese Prämien sollen 2023 bereits deutlich sinken, zum Jahresende droht der Fördertopf sogar ganz leer zu laufen.
Dann kommen Elektroautos nicht mehr in den Genuss einer staatlichen Förderung, warnt Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center of Automotive Research (CAR). „Wir fürchten, dass dann auch die elektrischen Neuzulassungen im Kleinst- und Kleinwagensegment einbrechen werden.“
Kleinwagen und Kleinstwagen: Auch gebraucht künftig teurer?
Auf Gebrauchtwagen ausweichen können die Kunden kaum: Denn die Preise für gebrauchte Kleinwagen dürften ebenfalls deutlich steigen. Zumindest legten die prognostizierten Restwerte laut DAT-Statistik innerhalb eines Jahres bereits deutlich zu. Selbst Modelle wie der Hyundai i10 sind deutlich wertstabiler als in der Vergangenheit.
Eine Umstellung der Pflegedienstflotten auf nachhaltige Antriebe gestalte sich durch das knappe Angebot schwierig, sagen die Johanniter. „Wir würden uns wünschen, dass die Industrie und die Politik weiterhin attraktive und nachhaltige Angebote für die gewerbliche Mobilität im innerstädtischen Bereich schaffen“, erklärt Johanniter-Vorstand Mähnert. Sonst könnte das politische Ziel, Autos immer sauberer und sicherer zu machen, am Ende dazu führen, dass sie vor allem immer größer werden.
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