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Konflikte im Büro: Mit schwierigen Kollegen besser klarkommen

Zwischen Büronachbarn kracht es manchmal gewaltig. Doch es hilft nichts, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Sieben Strategien helfen Ihnen durch den Konflikt.

Von Amy Gallo

Bei einem meiner allerersten Jobs hatte ich eine Chefin, die als schwierig galt – nennen wir sie Elise. Verschiedene Leute hatten mich gewarnt: Es würde nicht einfach sein, mit ihr zu arbeiten. Aber ich dachte, ich komme damit schon zurecht. Denn schließlich war ich stolz darauf, mit allen Menschen gut zurechtzukommen. Ich hatte ein dickes Fell und nahm nichts so schnell persönlich. Ich wollte in allen das Beste sehen.

Zwei Monate später stand ich kurz vor der Kündigung. Elise machte permanent Überstunden, arbeitete auch an Wochenenden und erwartete von ihrem Team dasselbe. Ihre Vorstellungen davon, was an einem Tag zu schaffen sei, waren völlig überzogen. Nicht selten fragte sie morgens um halb neun nach, ob eine Aufgabe, die sie einem am Abend zuvor um 18 Uhr übertragen hatte, bereits erledigt sei. Sie machte meine Teamkolleginnen und -kollegen in meiner Gegenwart schlecht und stellte deren Arbeitsmoral und Engagement für das Unternehmen infrage. Sie scrollte durch die Kalender der Mitarbeitenden und merkte abschätzig an, wie wenig diese selbst an Tagen ohne Meetings geschafft hätten.

Ich nahm mir fest vor, mir ihr Verhalten nicht mehr so zu Herzen zu nehmen und einfach freundlich zu ihr zu sein. An guten Tagen klappte das auch; meist aber verpufften diese guten Vorsätze ganz schnell wieder. Sobald sie mir unterstell­te, ich würde nicht hart genug arbeiten, biss ich die Zähne zusammen, verdrehte hinter ihrem Rücken die Augen und beklagte mich bei den Kollegen über sie.

Zwischenmenschliche Konflikte wie diese – mit unsouveränen Vorgesetzten, besserwisserischen Kolleginnen oder passiv-aggressiven Mitstreitern – sind bei der Arbeit keine Seltenheit. Schnell ist man darin verwickelt. In einer Studie gaben 94 Prozent der Befragten an, in den vergangenen fünf Jahren mit einer „toxischen“ Person zusammengearbeitet zu haben. Einer anderen Umfrage unter 2000 US-Arbeitnehmerinnen und -Arbeitnehmern zufolge sind Beziehungsprobleme die Hauptursache für Spannungen am Arbeitsplatz. Und ist man erst einmal in dieser Negativschleife gefangen, fällt es schwer, sich von der besten Seite zu zeigen oder die Gesamtsituation zu verbessern. Weit öfter vertun wir Zeit damit, uns Sorgen zu machen, oder reagieren auf eine Weise, die gegen unsere Werte verstößt und uns später leidtut. Wir gehen schwierigen Kollegen aus dem Weg oder machen vielleicht irgendwann nur noch Dienst nach Vorschrift.

All diese Reaktionen können negative Folgen haben: geringere Kreativität, verlangsamte oder schlechtere Entscheidungsfindung und sogar fatale Fehler. Wie Christine Porath, Professorin für Management an der Georgetown University, es in einem Artikel für die „New York Times“ formulierte: In „einer Umfrage unter mehr als 4500 Ärztinnen und Ärzten, Krankenschwestern und -pflegern sowie weiterem Klinikpersonal brachten 71 Prozent destruktive Verhaltensweisen wie übergriffiges, herablassendes oder beleidigendes Benehmen mit medizinischen Fehlern in Verbindung. 27 Prozent sahen sogar einen Zusammenhang zwischen derartigem Verhalten und dem Tod von Patienten.“

Die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen ist immens, und kein Mensch ist perfekt. Vor allem in Stress­situationen oder wenn wir uns angegriffen fühlen, kann es passieren, dass selbst die versiertesten alten Hasen sich auf ein kurzfristiges Ziel konzentrieren, nämlich das eigene Ego und die Reputation zu schützen. Ganz nach dem Motto: „Ich muss diesen Streit gewinnen oder vor meinem Team gut dastehen.“ Das langfristige Ziel hingegen bestünde eher darin, sich souverän und kollegial zu verhalten.

Wie aber finden wir zurück zu unserem wahren und bestmöglichen Selbst? Ich habe mich viele Jahre lang mit dem Thema Konfliktmanagement beschäftigt und dabei sieben Strategien entwickelt. Diese können Sie dabei unterstützen, mit schwierigen Kolleginnen und Kollegen effektiver zusammenzuarbeiten. Es sind keine Patentrezepte oder Wundermittel, die den problematischen Büronachbarn oder die anstrengende Vorgesetzte auf magische Weise in einen besten Freund oder eine beste Freundin verwandeln. Aber sie können den Umgang miteinander erträglich machen, ihm vielleicht sogar eine positive Wendung geben.

In jedem Fall werden sie Ihnen helfen, Ihre soziale Resilienz zu stärken. So fühlen Sie sich weniger gestresst, wenn Sie in einen Konflikt verwickelt sind, und erholen sich auch schneller wieder davon.

Wir alle kommen mit unterschiedlichen Überzeugungen und Wertvorstellungen an den Arbeitsplatz. Wir können verschiedener Ansicht darüber sein, ob es in Ordnung ist, fünf Minuten zu spät zu einer Besprechung zu erscheinen, ob man Kollegen ins Wort fallen darf oder ­inwieweit jemand, der einen Fehler gemacht hat, für die Folgen verantwortlich gemacht werden sollte. Es wäre vollkommen unrealistisch zu erwarten, dass Ihre Chefin, Ihre Teamkollegen oder Ihre Mitarbeiterinnen immer ihrer oder einer Meinung sind.

Wenn solche Meinungsverschiedenheiten auftreten, glauben die meisten Menschen jedoch, dass sie die Wahrheit für sich gepachtet haben. Dass nur sie allein die Sache objektiv und richtig sehen und jede Person mit anderen Ansichten schlecht informiert, unsachlich oder voreingenommen ist. Sozialpsychologen bezeichnen diese Tendenz als naiven Realismus. In einer Studie gingen beispielsweise Teilnehmende, die den Rhythmus eines bekannten Liedes wie „Happy Birthday“ nachklopfen sollten, fest davon aus, dass 50 Prozent der Zuhörenden die Melodie erkennen würden. Sie waren sich absolut sicher, dass das, was sie zu übermitteln versuchten, für andere klar sein müsse. Dennoch traf ihre Vorhersage in gerade einmal 2,5 Prozent der Fälle zu.

Sobald wir von einer Sache überzeugt sind – sei es unsere Fähigkeit, ein Lied zu performen oder das drohende Budgetdefizit abzuwenden –, können wir uns nur schwer vorstellen, dass andere das nicht genauso sehen.

Es ist wichtig, sich dieser Bauchreaktion bewusst zu sein und ihr nicht auf den Leim zu gehen. Überprüfen Sie Ihre eigene Sichtweise, indem Sie sich beispielsweise fragen: Woher weiß ich, dass wahr ist, was ich glaube? Was, wenn ich falschliege? Was könnte ich anders machen? Von welchen Voraussetzungen gehe ich aus? Wie würde jemand, der andere Werte und Erfahrungen hat, die Sache ­sehen? Auf die Antworten kommt es gar nicht so sehr an. Es geht darum, überhaupt darüber nachzudenken. Es geht darum, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und den Blickwinkel zu wechseln. Diese und ähnliche Fragen sind eine gute Möglichkeit, sich daran zu erinnern, dass Ihre Sichtweise genau das ist: ihre Sichtweise. Nicht jeder beurteilt die Dinge in gleicher Weise. Das ist auch gut so.

Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen müssen sich nicht über „die Fakten“ eines Vorfalls einig sein oder darüber, wer die Schuld an einem Problem trägt. Statt darüber zu debattieren, wessen Auslegung richtig ist, konzentrieren Sie sich besser darauf, wie es weitergehen soll.

Vorurteile schleichen sich in alle Arten von Interaktion am Arbeitsplatz ein. Wenn Beziehungen zwischen Kollegen eskalieren, ist die Ursache häufig etwas, was in der Sozialpsychologie als fundamentaler Attributionsfehler bezeichnet wird. Menschen neigen dazu, anzunehmen, dass das Verhalten anderer Menschen mehr mit deren Persönlichkeit zu tun habe als mit situativen und externen Faktoren. (Für einen selbst gilt das aber nicht.) So könnten Sie beispielsweise schlussfolgern, dass eine Teamkollegin, die zu spät zu einer Besprechung kommt, unorganisiert oder respektlos ist. Vielleicht ziehen Sie gar nicht erst in Erwägung, dass sie möglicherweise im Stau gestanden hat oder in einer anderen Besprechung festsaß, die länger dauerte als vorgesehen. Sind dagegen Sie selbst mit etwas in Verzug, schieben Sie das wahrscheinlich auf die äußeren Umstände.

Eine damit verwandte kognitive Verzerrung, die ebenfalls zu Problemen führt, ist der Bestätigungsfehler: die Tendenz, Ereignisse oder Informationen so zu interpretieren, dass sie bereits bestehende Überzeugungen bestätigen. Haben Sie beispielsweise schon ein negatives Bild von Ihrem Kollegen Andrew, werden Sie all seine Handlungen als weiteren ­Beleg dafür deuten, dass er der Aufgabe nicht gewachsen, ein Miesmacher oder jemand ist, der ausschließlich sein eigenes Wohl im Auge hat. Und er hat kaum noch eine Chance, Ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Auch das, was wir als schwieriges Verhalten betrachten, kann von den Vorurteilen geprägt sein, die wir zum Arbeitsplatz mitbringen. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn hatte ich mit einer Klientin zu tun, einer Schwarzen, deren Anschauungen ich so gut wie nie hinterfragte, obwohl genau das Teil meiner Aufgabe als Beraterin gewesen wäre. Ich hatte Angst vor einer heftigen Reaktion, obwohl sie bei früheren Begegnungen nie auch nur die Stimme erhoben hatte. Ich war dem „Angry Black Woman“-Klischee aufgesessen. Heute weiß ich, dass ich mich vor der Affinitäts- oder Ähnlichkeitsverzerrung hüten muss. Das ist die unbewusste Tendenz, sich mit Menschen zu umgeben, die uns in Bezug auf Aussehen, Überzeugungen und Background ähnlich sind. Die Forschung zeigt, dass wir uns mit Kolleginnen und Kollegen weniger wohlfühlen, mit denen wir weniger gemein haben – sei es in Hinsicht auf Geschlecht, Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit, Ausbildung, körperliche Fähigkeiten oder berufliche Position –, und dass wir daher auch weniger gern mit ihnen zusammenarbeiten.

Wie lassen sich solche Vorurteile abbauen? Finden Sie zunächst einmal heraus, wie anfällig Sie persönlich dafür sind. Ein probates Mittel sind Onlinetests wie der von Project Implicit, einer von Forschenden der Harvard University, der University of Washington und der University of Virginia gegründeten gemeinnützigen Organisation. Wenn Sie Schwierigkeiten mit einem Kollegen oder einer Mitarbeiterin haben, fragen Sie sich: Welche Rolle könnten meine Vorurteile hier spielen? Ist es möglich, dass ich die Situation nicht objektiv sehe, weil ich ein bestimmtes Bild von der Person habe? Weil ich vielleicht voreingenommen und nicht bereit und offen dafür bin, meinen ersten Eindruck zu revidieren? Weil ich den Dingen, in denen wir uns unterscheiden, unbewusst größere Bedeutung beimesse als den Gemeinsamkeiten?

Spielen Sie Advocatus Diaboli und hinterfragen Sie Ihre eigene Sichtweise. Bei einem TEDx-Vortrag von Kristen Pressner, Global Head of Human Resources eines multinationalen Konzerns, habe ich den „Flip it to test it“-Ansatz kennengelernt: Wenn Ihr Kollege oder Ihre Kollegin ein anderes Geschlecht, eine andere ethnische Herkunft oder eine andere sexuelle Orientierung hätte oder einen anderen Platz in der Hierarchie einnehmen würde – würden Sie dann dieselben Mutmaßungen anstellen? Würden Sie dieselben Dinge sagen und diesen Menschen ganz genauso behandeln?

Bitten Sie eine Person Ihres Vertrauens – die Ihnen auch unverblümt die Wahrheit sagt –, gemeinsam mit Ihnen zu reflektieren, inwiefern Sie möglicherweise befangen sind und die Situation nicht fair beurteilen.

Bei Meinungsverschiedenheiten ist die Versuchung groß, in Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen und zu polarisieren: „Ich gegen dich“, Erzfeinde im Krieg. Die eine Person ist schwierig, die an- dere nicht. Die eine hat recht, der andere unrecht.

Brechen Sie aus diesem destruktiven Denkmuster aus, und stellen Sie sich vor, dass es in der Situation nicht zwei, sondern drei Positionen gibt: Sie, Ihr Gegenüber und die Dynamik zwischen Ihnen beiden. Vielleicht ist diese dritte Position etwas Bestimmtes: eine Entscheidung, die Sie gemeinsam treffen müssen, oder eine Aufgabe, die zur Erledigung ansteht. Vielleicht ist es aber auch etwas Allge­meineres: anhaltende Spannungen oder Rivalität, vielleicht auch böses Blut wegen eines gründlich schiefgelaufenen Projekts. Verschwenden Sie keine Mühe ­darauf, Ihren Kollegen oder Ihre Kollegin ändern zu wollen. Versuchen Sie statt­dessen, mit der dritten Position weiterzukommen.

Nehmen wir André, der mit seiner Kollegin Emilia nicht klarkam. Jedes Mal, wenn er eine neue Idee einbrachte, präsentierte sie eine Reihe von Gründen, ­warum es so nicht funktionieren könne. Lange Zeit sah André Emilia und sich als Gegner an. Als ich ihn fragte, wie er sich ihre Dynamik vorstelle, sagte er mir, er sehe eine dunkle Wolke über ihrem Kopf und eine helle Sonne über seinem. Natürlich verstärkte dieses Bild seine Sichtweise und führte dazu, dass er sich jedes Mal auf einen Kampf einstellte, wenn ein Gespräch mit ihr anstand. Schließlich ­entschied er sich, weniger antagonistisch zu denken. Er fing an, sich den Konflikt zwischen ihnen wie eine Wippe vorzustellen: Obwohl sie an entgegengesetzten Enden saßen, konnten sie möglicherweise zusammenarbeiten, um ein Gleich­gewicht zu finden. Das half ihm, sie als Kollegin und nicht mehr als Kontrahentin zu sehen.

Niemand mag bei der Arbeit einen ewigen Widersacher haben. Betrachten Sie problematische Mitarbeitende also als Kollegen, mit denen Sie ein Problem teilen, das es zu lösen gilt.

Wer Dramen vermeiden und sich auf die Arbeit konzentrieren will, muss sich über seine Ziele im Klaren sein. Wollen Sie ein Projekt zum Abschluss bringen? Eine gesunde Arbeitsbeziehung aufbauen, die auch in Zukunft Bestand haben wird? Sich nach Kontroversen weniger verärgert oder frustriert fühlen?

Machen Sie eine Liste Ihrer (großen und kleinen) Ziele und kreisen Sie die wichtigsten ein. Ihre Absichten bestimmen – bewusst und unbewusst – Ihr Handeln. Wenn es beispielsweise Ihr Ziel ist, sich nicht mehr in endlose Diskussionen mit einem pessimistischen Kollegen zu verbeißen, müssen Sie anders vorgehen, als wenn Ihr Ziel lautet, zu verhindern, dass die negativen Äußerungen dieser Person das Team belasten.

Ziele müssen nicht immer hochgesteckt sein. Häufig reicht es, sich auf eine funktionierende Beziehung zu konzentrieren – so weit zu kommen, dass es Sie nicht mehr schaudert, wenn beispielsweise Ethans Name in Ihrem Posteingang auftaucht, oder dass Sie sich nicht mehr schlaflos im Bett wälzen, weil Marjorie Ihnen das Leben schwer macht.

Mehrere und ehrgeizigere Ziele sind ­natürlich auch in Ordnung. Wenn Sie zum Beispiel mit Ihrer unsicheren Chefin uneins sind, welche Zahlen Sie der Geschäftsführung ­vorlegen sollten, könnten Ihre Ziele sein: 1. Statistiken wählen, mit denen Sie beide leben können; 2. sicherstellen, dass das Führungsteam Ihre ­Expertise wahrnimmt; und 3. einen Weg finden, in Zukunft hitzige Meinungsverschiedenheiten vor wichtigen Sitzungen zu vermeiden.

Haben Sie einmal entschieden, was Sie erreichen wollen, schreiben Sie es auf ein Blatt Papier. Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die ihre Ziele anschaulich beschreiben oder sie sich bildlich vorstellen, diese mit 1,2- bis 1,4-mal höherer Wahrscheinlichkeit erreichen, und dass handschriftlich festgehaltene Ziele deutlich häufiger verwirklicht werden. Denken Sie an das gewünschte Ergebnis, bevor Sie mit Ihrem Kollegen interagieren, damit Sie Ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Es ist ganz natürlich, sich an ­andere zu wenden, wenn einen bei der Arbeit etwas stört. Vielleicht wollen Sie sich vergewissern, dass Sie eine unklar formulierte E-Mail nicht falsch interpretiert haben. Oder Sie möchten sich Rat holen, um ein ins Stocken geratenes Projekt voranzubringen. Vielleicht wollen Sie auch einfach nur bestätigt bekommen, dass Sie ein guter Mensch sind. Und wenn eine Kollegin bekräftigt, „Ja, Greta ist wirklich schlecht drauf. Welche Laus ist ihr wohl über die Leber gelaufen?“, dann wirkt das erleichternd: Ich bin nicht allein mit diesem Gefühl.

Diese Art von Nebengesprächen, egal ob digital oder persönlich, sind eine Art Dampfablassen. Man könnte sie aber auch Klatsch und Tratsch nennen. Trotz seines schlechten Rufs zeigt die Forschung, dass Klatsch eine wichtige Rolle für das kollegiale Miteinander spielen kann. Wenn Sie erfahren, dass Marina aus dem Marketing Michael aus der Finanzabteilung ebenfalls als schwierig empfindet und obendrein noch andere kennt, denen es genauso geht, fördert dies ein Gefühl der Ver­bundenheit: Sie haben im Prinzip eine ­Ingroup gebildet, die über Informationen verfügt, die andere nicht haben – vor allem Michael nicht. Und dass Marina Ihre Sichtweise bestätigt, verschafft Ihnen einen Adrenalin- und Dopaminschub, der einfach guttut.

Studien haben auch gezeigt, dass Klatsch Menschen davon abhalten kann, sich egoistisch zu verhalten. Wenn schwierige Kollegen merken, dass andere schlecht über sie reden und Teamkollegen vor der Zusammenarbeit mit ihnen warnen, steigen die Chancen, dass sie ihr Verhalten ändern.

Natürlich bergen Dampfablassen und Klatsch auch Gefahren. Erstens erhöht sich dadurch das Risiko eines Bestätigungsfehlers: Sicher, Michael mag manchmal gereizt agieren. Aber wenn Sie und Ihre Kolleginnen anfangen, darüber zu reden, wächst die Wahrscheinlichkeit, sein künftiges Handeln von vornherein negativ auszulegen. Gelegentliche Ausrutscher werden als unumstößlicher Charakterzug interpretiert, und das Bild des „schwierigen Michael“ verfestigt sich. Zweitens wirft Klatsch oft ein schlechtes Licht auf die Lästerer selbst. Auch wenn Sie momentan vielleicht die Bestätigung erhalten, die Sie suchen, könnten Sie in den Ruf kommen, unprofessionell zu sein – oder gar am Ende selbst als der oder die Schwierige dastehen.

Es ist völlig legitim, sich Hilfe zu holen, um Gefühle zu sortieren oder sich zu vergewissern, dass man die Dinge klar sieht. Aber überlegen Sie genau, mit wem Sie darüber reden (und was Sie mitteilen). Suchen Sie sich Menschen, die konstruktiv denken, die Ihnen wohlgesonnen sind, die Ihre Sichtweise hinterfragen, wenn sie anderer Meinung sind, und die diskret sein können.

Es gibt nicht den einen richtigen Weg, Besserwisser dazu zu bringen, weniger herablassend zu sein. Oder einen passiv-aggressiven Kollegen dazu zu bewegen, mit Ihnen auf konstruktivere Art und Weise zu kommunizieren. Welche Strategien Sie wählen, hängt vom jeweiligen Kontext ab: Wer Sie sind, wer Ihr Gegenüber ist, von der Art Ihrer Beziehung, von den Normen und der Kultur Ihres Arbeitsplatzes und so weiter.

Hier bieten sich Experimente an. Überlegen Sie sich zu Anfang zwei oder drei Methoden, die Sie ausprobieren möchten. Oft haben kleine Veränderungen große Wirkung. Konkretisieren Sie dann das ­Experiment: Legen Sie fest, was genau Sie anders machen wollen, bestimmen Sie den Zeitraum, in dem Sie es ausprobieren möchten, und warten Sie ab, was geschieht. Wenn Sie zum Beispiel die Kommunikation mit einer schwierigen Kollegin verbessern wollen, könnten Sie sich vornehmen, zwei Wochen lang den Tonfall dieser Person zu ignorieren und sich auf die eigentliche Botschaft zu konzentrieren.

Gehen Sie nicht davon aus, dass diese Taktik alles beheben wird, was zwischen Ihnen nicht stimmt. Betrachten Sie sie vielmehr als Experiment, aus dem Sie ­etwas lernen können – und wenn es nur die Erkenntnis ist, dass diese Methode nicht funktioniert.

Geben Sie nicht auf. Verändern Sie Ihr Experiment, oder lassen Sie sich etwas Neues einfallen. Verabschieden Sie sich aber auch von Ideen, die nicht zum gewünschten Erfolg führen. Ein Beispiel: Ein Kollege ignoriert permanent getroffene Vereinbarungen. Deshalb haben Sie angefangen, ihm im Anschluss an wichtige Besprechungen eine E-Mail zu schicken, in der das Besprochene schriftlich festgehalten ist. Leider zeigt dies keinerlei Wirkung. Erwarten Sie in einem solchen Fall nicht, dass sich etwas ändert, wenn Sie weiterhin E-Mails schreiben. Versuchen Sie etwas anderes. Wenn man „eingefahrene Konfliktmuster unterbrechen“ wolle, so die Konfliktexpertin Jennifer Goldman-Wetzler, müsse man neue Wege einschlagen – und vielleicht etwas tun, was die andere Person ganz und gar nicht erwartet.

Von dem argentinischen Psychiater und Familientherapeuten Salvador Minuchin stammt der Satz: „Gewissheit ist der Feind der Veränderung.“ Im Umgang mit einem schwierigen Mitarbeiter denkt man leicht: „Das wird ­immer so bleiben, dieser Mensch wird sich nie ändern.“ Doch Resignation und Pessimismus bringen Sie nicht weiter. Nehmen Sie lieber eine neugierige Haltung ein, und bewahren Sie sich die ­Hoffnung, dass Ihre gestörte Beziehung verbessert werden kann.

Die Forschung zeigt, dass Neugierde eine Fülle von Vorteilen hat: Sie beugt ­Bestätigungsfehlern vor, verhindert Klischeedenken und hilft uns, schwierigen Situationen nicht mit Aggression (Kampf) oder Abwehr (Flucht), sondern mit Kreativität zu begegnen. Das Erfolgsgeheimnis besteht darin, einen gedanklichen Wechsel zu vollziehen: lieber ernsthafte Fragen stellen, statt direkt Schlussfolgerungen zu ziehen, die oft wenig schmeichelhaft sind. Wenn sich Ihre Kollegin Jada darüber beklagt, dass sie mehr arbeitet als alle anderen im Team, denken Sie nicht: „Schon wieder diese alte Leier von Jada.“ Fragen Sie sich stattdessen: Was ist mit ihr los? Klar, dieses Verhalten kommt mir bekannt vor, aber was habe ich in der Vergangenheit übersehen? Warum verhält sie sich so?

Versuchen Sie, unproduktiven Denkmustern auf die Schliche zu kommen. Haben Sie sich dabei ertappt, treten Sie einen Schritt zurück und machen Sie eine Bestandsaufnahme: Wer kommt mit Jada gut aus, und wie gehen diese beiden ­miteinander um? Gab es Zeiten, in denen Jada umgänglicher und kooperativer war? Was war da anders?

Wenn Sie mit einer Kollegin oder einem Kollegen eine schwierige Phase durch­machen, denken Sie an Situationen bei der Arbeit oder anderswo, in denen Sie und Ihr Gegenüber anfangs nicht miteinander auskamen, aber in der Lage waren, dies zu überwinden. Rufen Sie sich diese Erfahrung in Erinnerung: Wie haben Sie es geschafft durchzuhalten? Was hat ­Ihnen geholfen, eine Lösung zu finden? Überlegen Sie: Was genau haben Sie ­davon, die Ziele zu erreichen, die Sie sich für eine Arbeitsbeziehung vorgenommen haben? Blicken Sie nach vorn, schauen Sie in die Zukunft. Was wird anders sein, wenn der Konflikt überwunden ist? Wie wird sich Ihr Arbeitsalltag verbessern?

Niemand weiß, was die Zukunft für Sie und Ihren Kollegen oder Ihre Kollegin bereithält, also seien Sie einfach neugierig. Dann sind Sie automatisch offener für kreative Lösungen.

Ganz unabhängig davon, mit welcher Art von schwierigen Kollegen Sie es zu tun haben oder was Sie vorhaben: Die ­sieben Strategien erhöhen Ihre Chance, konstruktiv zu reagieren, angemessen Grenzen zu setzen und zielgerichteter zu kommunizieren. Manchmal ist eine Veränderung nicht möglich. Dann geht es darum, den Schaden zu begrenzen und sich darauf zu konzentrieren, die eigene Karriere und Gesundheit zu schützen. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich mit gutem Willen – und konsequentem Engagement – selbst vertrackte Konflikte lösen lassen. © HBP 2022

Autorin

Amy Galloist freie Redakteurin bei der Harvard Business Review. Dieser Artikel basiert auf ihrem Buch „Getting Along: How to Work with Anyone (Even Difficult People)“ (Harvard Business Review Press 2022).

Dieser Beitrag erschien erstmals in der November-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

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