So wehren sich Firmen legal gegen „Krankfeierer“
Ein Mitarbeiter reicht immer an Brückentagen und montags eine Krankmeldung ein? Diese rechtlichen Möglichkeiten haben Firmen bei Verdacht auf Blaumachen.
Berlin. Der Krankenstand in Deutschland hat im vergangenen Jahr erneut Rekordniveau erreicht. Laut den Daten der Techniker Krankenkasse meldeten sich Beschäftigte 2023 im Schnitt 19,4 Tage krank. Hauptgründe sind Erkältungskrankheiten, psychische Leiden und Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen.
Allerdings scheinen die Deutschen auch gerne mal „blauzumachen", wie eine Studie der Krankenkasse Pronova BKK zeigt. Die sogenannte Bettkantenentscheidung fällt demnach oft zugunsten der Krankmeldung aus. Jeder zehnte Beschäftigte bleibt „häufig“ lieber zu Hause, auch wenn er sich eigentlich fit genug für die Arbeit fühlt. Bei der Hälfte der Befragten kommt dies „manchmal“ oder „selten“ vor.
Meldet sich ein Arbeitnehmer wiederholt zu auffälligen Zeiten krank, obwohl er eigentlich arbeitsfähig ist, muss der Arbeitgeber das nicht hinnehmen. Zwei Fachanwälte für Arbeitsrecht erklären, welche rechtlichen Möglichkeiten Unternehmen haben, gegen solche „Krankfeierer“ vorzugehen.
Krankmeldung: Diese Pflichten haben Angestellte
Ist ein Beschäftigter krank, muss er seinem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen, dass er arbeitsunfähig ist, und auch, wie lange die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich dauert. „Der Arbeitnehmer kann dafür Telefon, E-Mail, SMS, WhatsApp oder andere Messenger-Dienste nutzen“, sagt Markus Bohnau, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Kliemt.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) muss der Beschäftigte erst vorlegen, wenn diese länger als drei Tage dauert. Allerdings kann der Arbeitgeber auch schon früher eine AU verlangen, sagt die Kölner Rechtsanwältin Nathalie Oberthür.
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Ist ein Arbeitnehmer krankgeschrieben, müsse er sich außerdem so verhalten, dass es seine Genesung nicht beeinträchtigt, so die Expertin.
Was das in der Praxis genau bedeutet, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Nach Angaben der IG Metall darf man zum Beispiel mit einem gebrochenen Arm ins Kino oder ins Restaurant gehen. Wer dagegen mit einer Grippe oder einem Magen-Darm-Infekt krankgeschrieben ist, sollte besser zu Hause bleiben.
Es liegt keine AU vor? So kann der Arbeitgeber reagieren
Ist ein Arbeitnehmer krank, bekommt er sechs Wochen lang sein volles Gehalt vom Unternehmen weitergezahlt. Kann er jedoch keine AU vorlegen und seine Arbeitsunfähigkeit auch nicht anderweitig nachweisen, hat der Arbeitgeber laut Rechtsexperte Bohnau das Recht, die Zahlung zu verweigern.
Darüber hinaus darf ein Unternehmen auch Sanktionen verhängen, wenn ein Mitarbeiter seine Arbeitsunfähigkeit nicht durch ein Attest belegen kann – zum Beispiel eine Abmahnung oder sogar eine Kündigung.
Auffälligkeiten der Krankmeldung: Wann kann ein Arbeitgeber eine AU anzweifeln?
„Der Arbeitgeber kann ein Attest anzweifeln, wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit bestehen“, sagt Rechtsexperte Bohnau. Diese liegen unter anderem in folgenden Fällen vor:
Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsunfähigkeit vorher angekündigt – zum Beispiel, weil sein Urlaubsantrag abgelehnt wurde oder es Streit mit dem Chef gab.
Der Mitarbeiter lässt sich immer wieder kurz vor oder nach dem Urlaub, dem Wochenende oder Feiertagen krankschreiben.
Der Arbeitgeber ertappt den Arbeitnehmer bei genesungswidrigem Verhalten – zum Beispiel, weil er trotz Grippe krankgeschrieben auf eine Party geht. Ein Arbeitsgericht in Köln hat beispielsweise 2014 die Kündigung eines krankgeschriebenen Arbeitnehmers für wirksam erklärt, weil dieser nachts als DJ gearbeitet hat.
Der Arbeitnehmer kündigt und lässt sich für den Rest der Vertragslaufzeit krankschreiben.
Verdacht auf Blaumachen: Was können Unternehmen tun?
Wenn ein Arbeitnehmer blaumacht, kann das laut Rechtsexpertin Nathalie Oberthür weitreichende Folgen haben und sogar zu einer außerordentlichen Kündigung führen. Der Haken daran für Unternehmen: Es muss nachgewiesen werden, dass sich ein Mitarbeitender arbeitsunfähig gemeldet hat, obwohl er es gar nicht ist.
Besonders dann, wenn ein Attest vorliegt, gestaltet sich das schwierig. Die Ärztin oder der Arzt, die die AU ausgestellt haben, wird in der Regel nicht zugeben, dass sie oder er bei der Untersuchung des Patienten geschlampt hat.
Eine Möglichkeit ist, den Medizinischen Dienst der gesetzlichen Krankenkassen einzuschalten, der die Richtigkeit des Attestes überprüfen und eine Untersuchung des Mitarbeitenden anordnen kann. Erscheint der Arbeitnehmer zu dieser Untersuchung nicht, kann das laut Oberthür dazu beitragen, den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung zu erschüttern.
„Die Krankenkasse kann das Gutachten jedoch auch ablehnen, wenn sich die Ursache für die AU eindeutig aus den ärztlichen Unterlagen ergibt“, sagt Oberthür. Das bedeutet: Kommt die Krankenkasse nach Lesen der Diagnose durch den Arzt, der das Attest ausgestellt hat, zu dem Schluss, dass hier alles seine Richtigkeit hat, muss sie auch kein Gutachten erstellen.
Medizinischer Dienst prüft Richtigkeit der AU
Ein weiteres Problem: Bis ein Mitarbeiter vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse begutachtet wird, können mehrere Tage oder sogar Wochen vergehen. Dann ist es oft schwierig zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer wirklich krank war.
Eine andere Option besteht darin, selbst nach Beweisen zu suchen. In manchen Fällen erwägen Arbeitgeber auch, eine Detektei zu beauftragen, um eine möglicherweise vorgetäuschte Krankheit aufzudecken.
Hier ist laut Bohnau jedoch Vorsicht geboten. Zum einen dürfe eine Detektei nur eingeschaltet werden, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die den Verdacht des „Blaumachens“ rechtfertigen.
Zum anderen würden bei einer Überwachung personenbezogene Daten verarbeitet und damit in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen. Der Detektiv muss sich daher an die Vorschriften des Datenschutzes halten. Er darf zum Beispiel nicht auf das Grundstück des Arbeitnehmers oder mit einem Teleobjektiv in die Wohnung fotografieren.
Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit: Detektiv kann Mitarbeiter überwachen
Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber selbst Nachforschungen anstellen will. Wie ein Detektiv ist er laut Bohnau an die Regeln des Datenschutzes gebunden. Auch er braucht einen begründeten Anfangsverdacht, und die Nachforschungen dürfen nach Art und Umfang nicht unverhältnismäßig sein.
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Verletzt der Arbeitgeber durch Überwachungsmaßnahmen das Persönlichkeitsrecht seines Arbeitnehmers, kann das für ihn teuer werden. So sprach das Landesarbeitsgericht Düsseldorf im vergangenen Jahr einem Arbeitnehmer Schmerzensgeld zu, nachdem sein Arbeitgeber ihn wegen einer angeblich vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit von einer Detektei hatte überwachen lassen.
Nach Ansicht des Gerichts hätte der Arbeitgeber zuvor weniger einschneidende Maßnahmen ergreifen müssen. Der Einsatz eines Detektivs dürfe nur dann in Betracht gezogen werden, wenn der Verdacht des Blaumachens bereits auf konkreten Tatsachen beruhe.
