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Pellets, also gehäckselte und gepresste Holzreste, sind als Energieträger begehrt. - Foto: Boris Roessler/dpa
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Das ist der wichtigste Rohstoff der Energiewende

Alles spricht von Wind, Sonne, Wärmepumpen. Dabei ist der vielleicht wichtigste Baustein der grünen Transformation rund, länglich – und meist aus Holz.

Meterhoch türmen sich die Holzspäne auf dem Hof am Rande der Kleinstadt Waverly, Virginia: Reste der Produktion, die in den 25 Sägewerken der Region anfallen. Müll. Abfall. Eigentlich. Doch hier, auf dem Gelände des Unternehmens Wood Fuel Developers, wird der Abfall verwertet. Ein langes Band befördert die Späne aus dem Freien in die etwas betagte Fabrik; dort werden sie getrocknet, in Form gepresst – und zu Pellets verarbeitet.

Gelber Holzstaub bedeckt den Boden in der offenen Produktionshalle. Das Rattern der Maschinen ist ohrenbetäubend, aber Christian Boehme scheint das nichts auszumachen: Die Geräuschkulisse bedeutet, dass die Produktion rundläuft. 20 Mitarbeiter stellen hier in zwei Schichten jede Woche rund 800 Tonnen Pellets her. Boehme leitet seit sieben Jahren den Betrieb, den sein Schwiegervater aufgebaut hat. Derzeit laufen die Maschinen ungefähr mit halber Kapazität. Voll ausgelastet könnte die Fabrik jährlich rund 100.000 Tonnen Pellets der Marke EasyBlaze ausspucken. Damit zählt Wood Fuel Developers zu den größeren Werken an der amerikanischen Ostküste, ist gemessen an der Größe der Gesamtindustrie aber ein eher kleiner Fisch.

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Holzpellets sind in den USA und Europa seit Jahren beliebt, als effizientes Brennmaterial für Kamine. Doch die kleinen Holzstifte sind längst mehr als das: Sie haben sich in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Aspekt der Energiewende entwickelt, über den keiner spricht.

Windräder, Solaranlagen, Wasserstoff: Es sind vor allem die ästhetisch reinen Quellen, die unser Bild einer grünen Energieversorgung der Zukunft bestimmen. Auch verbraucht wird diese Energie von „sauberen“ Elektroautos, wasserstoffbetriebenen Schiffen, Klimaanlagen und Wärmepumpen. Und was dabei an CO2 anfällt oder übrig bleibt, wird per Carbon Capture eingefangen und verpresst oder mit Direct Air Capture aus der Luft zurückgeholt und zu grünem Sprit verarbeitet.

Doch die Darstellung hat einen blinden Fleck: Biomasse, der zur Gärung neigende Grundstoff, der aus organischen Abfällen gewonnen wird, die etwa auf Bauernhöfen, in Sägewerken oder bei der Müllverwertung anfallen.

Schattengewächs der Energiewende

Warum die Biomasse sozusagen das Schattengewächs der Energiewende ist? Vielleicht liegt es bloß daran, dass die faulende Pampe uns emotional nicht packt. Vielleicht schafft es die Biomasse aber auch deshalb bloß in die Randbereiche der energiepolitischen Zukunftsskizzen, weil ihre Rolle ebenso unersetzlich wie umstritten ist. Biomasse, ob sie nun aus den Ausscheidungen von Kühen stammt, aus Abfällen der Möbelindustrie oder eigens dafür gerodeten Wäldern, gilt regulatorisch als „grüne Energiequelle“. Dabei ist ihre Ökobilanz schwer in Zahlen zu fassen – und fällt je nach Quelle und Verarbeitung höchst unterschiedlich aus. Unzweifelhaft ist allein ihre große Bedeutung für das Gelingen der Energiewende.

Biomasse, in Deutschland um die Jahrtausendwende populär geworden als Basis für energetisch nutzbares Biogas, wird inzwischen massenhaft genutzt, um fossile Großkraftwerke ergrünen zu lassen. Und sie spielt auch bei der Herstellung von Wasserstoff eine wachsende Rolle. Unverzichtbar ist Biomasse bei der Herstellung von synthetischen Kraftstoffen, die in Form von Methanol und Ammoniak die Schifffahrt von morgen (und als E-Fuels den Ottomotor von gestern) antreiben sollen. Selbst in der grünen Stahlproduktion über Direktreduktionsanlagen wird ein Teil der Zukunftsenergie aus Biomasse stammen.

Entsprechend rasant wächst die Produktion – vor allem in den USA. Seit die Europäische Union 2009 Biomasse aus Holz zu einem nachhaltigen Energieträger erklärt hat, ist im Süden der Vereinigten Staaten quasi aus dem Nichts ein neuer Industriezweig herangewachsen. Die Produktionskapazität für Pellets hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verfünffacht. Die Branche wächst seither im Schnitt jährlich 14 Prozent, heißt es beim US-Landwirtschaftsministerium. Mehr als die Hälfte der knapp sechs Millionen Tonnen Holzpellets, die jährlich in die EU importiert werden, stammen aus den USA.

Und das dürfte nur der Anfang sein. Der Rückzug der Kohle als Energieträger wird die Nachfrage nach Holz weiter steigen lassen. In Großbritannien und den Niederlanden sind bereits mehrere große Kohlemeiler auf den Betrieb mit Holzpellets umgestellt worden. Im Herbst kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, dass die französischen Kohlekraftwerke bis 2027 folgen sollen. Auch in Deutschland gibt es neben Plänen für große Kraftwerke bereits zwei konkrete Projekte: Im vergangenen Sommer wurde in Braunschweig ein kleineres Kohlekraftwerk auf den Betrieb mit Biomasse aus Altholz umgestellt. Und der Konzern Vattenfall verfeuert in seinem Berliner Heizkraftwerk seit einiger Zeit Holzpellets, die aus einer extra dafür angelegten Pappelplantage nördlich der Stadt stammen.

In den USA stellt man sich darauf ein, dass sich der Trend ungebremst fortsetzt. Analysten erwarten, dass die nordamerikanische Pelletindustrie in den kommenden Jahren um durchschnittlich fast acht Prozent jährlich wachsen wird. Im Süden dürften die Raten noch größer sein. Im Hafen Rotterdam ist der Import von Biomasse aus den USA zuletzt innerhalb eines Jahres um mehr als 17 Prozent gestiegen.

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