Der Abstieg von Telefónica Deutschland
Der Telefónica-Deutschland-Chef Markus Haas verliert den Telekomanbieter 1&1 als Großkunden: 1&1-Kunden nutzen bald das Vodafone-Netz. Womöglich macht das schmerzhafte Maßnahmen bei Telefónica unvermeidlich.
Vor eineinhalb Jahren an diesem Abend war Telefónica-Deutschland-Vorstandschef Markus Haas bester Dinge. Sein Mobilfunkangebot wuchs doppelt oder sogar viermal so schnell wie das seiner Wettbewerber. Bei einem eleganten Abendessen mit Journalisten sprühte er vor Charme. Zu lokal gestochenem Spargel und frischen Erdbeeren philosophierte er über das Metaversum, dem Lieblingsthema von Mutterkonzern-Chef José Maria Álvarez-Pallete.
Was 18 Monate ausmachen können. Heute spricht alle Welt über KI, das Metaversum wird eher belächelt. Zwar wächst Telefónica schon das zehnte Quartal in Folge. Trotzdem läuft es nicht mehr rund für Haas. Ralph Dommermuth kündigte im Sommer den Wechsel seiner Telekomfirma 1&1 vom Telefónica-Netz zu Vodafone an. Auf einen Schlag gehen Haas 12 Millionen Kunden verloren – ein Drittel seiner Netzauslastung.
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Mit dem Umzug von 1&1 brechen bis spätestens 2026 500 Millionen Euro Umsatz für Telefónica weg, heruntergebrochen auf den für die Dividende wichtigen freien Cashflow immerhin ein Loch von 200 Millionen Euro. Der Exodus kann schon Mitte nächsten Jahres beginnen. Diese Aussicht ließ den Kurs der Telefónica Deutschland um die Hälfte einbrechen.
Die spanische Muttergesellschaft nutzte die Schwäche für ein Blitzmanöver: Sie sprach ein Übernahmeangebot für die knapp 30 Prozent Telefonica-Deutschland-Aktien aus, die ihr noch nicht gehören. Nehmen die Aktionäre das Angebot an, steht einem Delisting nichts im Wege. Das würde Haas` Hausmacht deutlich dezimieren. Dann wäre er nicht mehr Vorstandsvorsitzender, sondern nur noch Geschäftsführer einer Ländergesellschaft.
Die schlechte Stimmung überträgt sich auch auf seine jährliche Einladung. In diesem Jahr geht es um die Digitalisierung in Deutschland und die Frage, wie der Datenschutz für Maschinendaten gelockert werden muss in Europa. Das Dinner ist herunterskaliert – es gibt es jetzt nur ein fliegendes Buffet im Stehen.
Sicherlich, hinterher ist es immer leicht zu kritisieren. Aber der Konzernvorstand von Telefónica in Madrid stellt sich jetzt die Frage: Warum hat Haas nicht verhindert, dass Dommermuth abwandert? Die Gefahr war jedenfalls zu erkennen: Der 1&1-Milliardär gilt als exzellenter Stratege – und Vodafone war offen für verzweifelte Deals, da es aus eigener Kraft kaum Wachstum auf seinem Netz generierte.
Haas hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt, sich vom Justiziar zum Vorstandsvorsitzenden hochgedient. „Markus Haas ist ein Zahlenmensch – ganz nüchtern, selten emotionsgetrieben“, sagt ein Kenner der Telekommunikationsszene. Doch Dommermuth zu halten und dafür sein nagelneues 5G-Netz mit dem Prädikat „Sehr gut“ zu öffnen – das brachte Haas offenbar nicht übers Herz.
Haas und 1&1-Chef Ralph Dommermuth sind trotz einer fast neunjährigen Partnerschaft nie warm geworden miteinander. Das kann an den Anfängen gelegen haben: Der Roaming-Zugang von Dommermuths Firma 1&1 war Telefónica 2014 bei der Übernahme von EPlus von der Kartellaufsicht auferlegt worden. Regelmäßig standen zähe Nachverhandlungen über Anwälte an, wenn die Datennutzung der 1&1-Kunden wieder die vereinbarten Rahmenbedingungen sprengte. Über die Jahre wuchsen die Animositäten zwischen den beiden Führungspersönlichkeiten. Und immer wieder sickerte durch, was für ein knallharter Verhandler Dommermuth sei – stets ging er offenbar über die Schmerzgrenze des Gegenübers hinaus.
Jetzt muss Haas retten, was zu retten ist: Zähneknirschend gewährte er Dommermuth nun doch noch den Zugang zum 5G-Netz von O2. Denn erst ab kommendem Sommer soll Vodafone die Schnittstellen programmiert haben, durch die die 1&1-Kunden nach und nach in das Netz geholt werden können. Dieser Prozess kann sich in die Länge ziehen, weil je nach Region und örtlicher Nutzungsdichte ausprobiert werden muss, ob das Netz der neuen Belastung stand hält. Während Dommermuth einen zügigen Umzug anstrebt, rechnet Telefónica erst 2026 mit einem tiefen Schnitt.
Vodafone-Chef Philippe Rogge soll Dommermuth einen beispiellosen Vertrag gewährt haben. Solange die Datennutzung der 1&1-Kunden nicht überproportional anschwillt im Vergleich zu den Vodafone-Kunden, bleibt der Preis gleich. „Sensationell! Und typisch Dommermuth“, urteilt ein Berater. Bei Telefónica ist von einem irrationalen Deal die Rede und davon, wer denn bitteschön seine Grundleistung, die Datenkapazität, einfach so verschenken würde. Ihren eigenen Vertragskunden aber schenkt O2 auch jährlich um fünf Gigabyte wachsende Datenmengen.
Für Haas wäre es besser gewesen, Dommermuth gleich mit seinem 5G-Netz glücklich zu machen, statt ihm jetzt das Gewünschte doch noch für den Übergang zu gewähren. Vielleicht konnte Haas seine Preisvorstellung hier durchsetzen, doch was nutzt es, wenn das den Großkunden nicht dauerhaft bindet.
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