Deutsche Elektroautos scheitern in China – neue Zahlen zeigen Dramatik der Lage
In China, dem größten Automarkt, stockt die Stromoffensive der deutschen Hersteller. Bei Elektroautos erodieren die Marktanteile.
Die deutschen Autohersteller erreichen mit ihren Elektroautos in China bislang keine nennenswerten Marktanteile. Lokale Marken wie BYD, Nio oder Xpeng und der US-Hersteller Tesla verkaufen deutlich mehr batteriebetriebene Fahrzeuge als die deutschen Konzerne.
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Das ganze Ausmaß des Problems zeigen nun Versicherungsdaten aus China, die das Handelsblatt einsehen konnte. Demnach kam Volkswagen im vergangenen Jahr bei rein elektrischen Fahrzeugen nur auf einen Marktanteil von 2,4 Prozent. BMW, Mercedes und Audi scheiterten mit 0,8, 0,3 und 0,1 Prozent sogar an der Einprozenthürde.
Weil jeder Kfz-Besitzer in China eine staatliche Pflichtversicherung abschließen muss, gelten die Daten als präzise.
Für die deutschen Hersteller ist das ein Alarmzeichen: Sie sind auf den chinesischen Markt angewiesen. Hier verkaufen sie mehr als ein Drittel ihrer Fahrzeuge, ein Fünftel der Verbrennerneuzulassungen in China geht auf Autos der deutschen Hersteller. Gleichzeitig wächst der Anteil elektrischer Pkw in China deutlich schneller als erwartet.
Entsprechend reagieren die Unternehmen nun. Sie wollen zügig Lücken im Angebot schließen, ihre Unterhaltungselektronik überarbeiten und in China für den chinesischem Markt entwickeln.
Elektroautos: Markt in China verschiebt sich schneller als gedacht
Gregor Sebastian vom Berliner China-Thinktank Merics zweifelt aber, ob für die Deutschen jemals bei Elektroautos in China so hohe Marktanteile zu erzielen sind wie bei Verbrennern. Gerade die jüngeren Konsumenten würden bevorzugt chinesische Produkte kaufen: „Dieser Nationalstolz nimmt zu.“
Die starke Stellung der Deutschen in Fernost wird sich zwar nicht über Nacht auflösen. Auch in den kommenden Jahren werden sie noch Millionen von Verbrennern in der Volksrepublik verkaufen. Zugleich verschiebt sich der Markt aber viel schneller in Richtung elektrische Antriebe als gedacht, wie zuletzt etwa VW-Chinavorstand Ralf Brandstätter einräumte: „Auch schneller, als die chinesische Regierung erwartet hatte.“
Tatsächlich ist der Absatz reiner Stromer in China laut dem örtlichen Autoverband CPCA im Vorjahr um 90 Prozent gewachsen, auf 5,7 Millionen Fahrzeuge. Etwas mehr als 200.000 Einheiten davon lassen sich deutschen Marken zuordnen.
Die mickrigen Elektro-Absatzzahlen bei Audi beispielsweise treiben chinesische Händler bereits in die Verzweiflung. Ende vergangenen Jahres hatte ein Audi-Händler an einem Autohaus riesige Schilder angebracht, auf denen explizit darauf hingewiesen wurde, dass Audi nicht nur Diesel, Benziner und Plug-in-Hybride vertreibt. „Audi hat auch reine Elektroautos. Der Audi Q4 E-Tron hat eine maximale Reichweite von 605 Kilometern“, war auf den Schildern zu lesen.
Auch Porsche Taycan verkauft sich schlecht in China
Viele Kunden in Fernost scheinen das gar nicht bemerkt zu haben. Das beworbene Modell konnten die Ingolstädter jedenfalls im vergangenen Jahr nur etwa 3600-mal in China verkaufen. In Europa hingegen ist der Q4 E-Tron das meistverkaufte Elektromodell der VW-Tochter.
Als Audi im Januar seine Absatzzahlen bekannt gab, sparte der Autobauer die verkauften Stückzahlen in China aus. Die Ingolstädter gaben lediglich an, dass der Elektroabsatz in China um 9,8 Prozent gewachsen sei. Den Referenzwert nannte der Konzern nicht.
Immerhin: Die RS-Modelle würden sich „wie geschnitten Brot verkaufen“, sagte eine Person aus dem Managementumfeld der Ingolstädter beschwichtigend. Das mag auf die Verbrenner zutreffen, doch Audis elektrisches Sportmodell E-Tron GT RS ist in China eine absolute Rarität. Gerade einmal 43 Stück hat das Unternehmen davon im Vorjahr verkauft.
Auch das Schwestermodell Taycan von Porsche findet in China kaum Abnehmer. In keinem der wichtigsten Absatzmärkte der Welt hat Porsche so wenige Taycans verkauft wie in China.
Der Sportwagenbauer begründet den schwachen Taycan-Absatz in China unter anderem mit der schwierigen Versorgung mit Halbleitern. Davon aber waren alle Märkte gleichermaßen betroffen. Nur in der Volksrepublik ist der Absatz des vollelektrischen Sportwagens allerdings um mehr als die Hälfte eingebrochen. In Europa sind die Verkäufe sogar gestiegen.
BMW und Mercedes haben Absatzprobleme mit teuren Elektroautos
Porsche führt auch die Corona-Lockdowns in China an. Erstaunlich ist allerdings, dass diese Lockdowns offenbar den Absatz der Verbrennermodelle kaum beeinflusst haben. Denn insgesamt ist der Porsche-Absatz in China nur um zwei Prozent gesunken.
Auch die Konkurrenten BMW und Mercedes haben Probleme, Kunden in China von ihren teuren Elektroautos zu überzeugen. Mercedes dröselt zwar den Absatz der vollelektrischen Luxuslimousine EQS von 19.200 Stück im Jahr 2022 nicht nach einzelnen Regionen auf. Die Versicherungsdaten zeigen für China aber Erhellendes. Demnach verkaufte Mercedes in Fernost gerade einmal 1628 Einheiten des EQS.
Intern gelte das Modell in China als weitgehend „gefloppt“, heißt es in Konzernkreisen. Abziehen will Vorstandschef Ola Källenius sein Spitzenmodell aus der Volksrepublik aber keinesfalls.
Der Boom bei Elektroautos finde in China bislang vorwiegend in Preisklassen unterhalb von umgerechnet 40.000 Euro statt. Das Premium- und Luxussegment, in dem Mercedes unterwegs ist, entwickele sich dagegen erst langsam: „Die Stückzahlen da oben sind für uns und andere Hersteller noch sehr klein.“ Mit der SUV-Variante des EQS und mehr lokal gefertigten Baureihen will Källenius nun aber „Schritt für Schritt“ einen Markt für elektrische Luxusfabrikate aufbauen.
Elektroautos: Nur Tesla kann mit Chinas Herstellern mithalten
Auch der Münchener Rivale BMW tut sich noch schwer, in China Kunden für seine elektrischen Oberklassefahrzeuge zu finden. Der Strom-SUV iX zum Basispreis von 77.300 Euro ist seit Anfang 2022 auch im Reich der Mitte verfügbar. Bisher wurden aber nur 1684 Modelle registriert.
Auffällig ist, wie deutlich sich der Absatz einzelner Modelle in China von den Verkäufen in anderen Märkten unterscheidet. So konnte Audi beispielsweise in Europa über 6000 Stück des E-Tron GT verkaufen, Mercedes rund 6700 Einheiten des EQS und BMW sogar fast 24.000 Modelle des iX.
In der Volksrepublik sind derweil ganz andere Fabrikate echte Bestseller. Der Elektro-Kleinwagen Wuling Hongguang Mini ist mit 410.000 Einheiten das meistverkaufte batteriebetriebene Fahrzeug. Auf Platz drei und vier landen mit über 182.000 Registrierungen die Limousine Dolphin und mit knapp 150.000 Einheiten das SUV Yuan Plus des chinesischen Autobauers BYD.
Auf dem chinesischen Markt spielen digitale Funktionen eine wichtige Rolle. Dazu zählen beispielsweise ausgereifte Sprachassistenten und die Vernetzung des Fahrzeugs mit Internetdiensten. Genau hier hapert es bei vielen deutschen Herstellern noch.
Die Elektromodelle von BYD verfügen zudem über eine potentere Antriebstechnik. So hat beispielsweise der Dolphin ein 800-Volt-Bordnetz verbaut, das schnelles Laden und dank Effizienzvorteilen eine höhere Reichweite ermöglicht. Bei den deutschen Herstellern findet man diese Technik nur im hochpreisigen Porsche Taycan und Audi E-Tron GT.
Nur der US-Elektroautobauer Tesla kann in dieser Liga mitspielen. Vom Model Y wurden laut den Versicherungsdaten 317.000 Stück zugelassen, was Platz zwei bedeutet. Das Model 3 kommt auf mehr als 125.000 Einheiten. Tesla hat allein vom Model Y in China mehr Einheiten verkauft als die deutschen Autohersteller mit allen ihren Elektromodellen insgesamt.
Es geht um mehr als Marktanteile bei E-Autos
Verkaufen sich die Elektroautos von VW, BMW, Audi, Mercedes und Porsche in China weiter so schlecht, verlieren sie nicht nur Marktanteile. Sie gefährdeten mittelfristig ihre lokale Produktion in den Joint-Venture-Strukturen mit chinesischen Partnern, warnt Dietmar Voggenreiter, Senior Advisor bei der Beratung Horváth & Partners.
Ausländische Autobauer müssen in der Regel in China Joint Ventures mit lokalen Marken schließen, um im Land eigene Fahrzeuge produzieren zu können. Volkswagen etwa hat eine Partnerschaft mit den chinesischen Pkw-Herstellern FAW und Saic. Mercedes kooperiert mit dem chinesischen Staatskonzern Beijing Automotive.
„Die deutschen Autohersteller müssen die Produktion kommender Elektroautos auf den neuen Plattformen so schnell wie möglich in lokalen Werken in China hochfahren“, rät der ehemalige Audi-Vertriebsvorstand und amtierende Aufsichtsratschef des Motorenherstellers Deutz. „Ansonsten laufen sie möglicherweise Gefahr, dass die chinesischen Joint-Venture-Partner die Produktion ihrer eigenen erfolgreicheren Elektroautomarken bevorzugen und die Joint-Venture-Pflichten vernachlässigen“, sagt Voggenreiter.
Elektroautos: Chinas Hersteller wollen Europa erobern
Schon jetzt werden die chinesischen Anbieter durch die Stärke im Inland immer selbstbewusster und drängen ins Exportgeschäft. Ihr Ziel: Europa erobern. Hersteller wie BYD, Great Wall Motor, Nio oder Xpeng streben mittelfristig jeweils ein Verkaufsvolumen von bis zu 120.000 Einheiten pro Jahr in der EU an.
In China ebenso wie in Europa zeichnet sich ein erbittertes Duell zwischen chinesischen Newcomern auf der einen Seite und deutschen Traditionsmarken auf der anderen Seite ab. „Das Rennen, ob sich chinesische Elektroautobauer mit ihren Fahrzeugen eher in Europa durchsetzen oder die deutschen Autohersteller mit ihren Elektroautos in China, ist offen“, sagt Horváth-Experte Voggenreiter.
