Navigation überspringen
article cover

„Die HR-Abteilung hat den Wandel selbst in der Hand.“

Im Rahmen des NWXnow HR-Specials haben wir uns mit Prof. Dr. Jutta Rump unterhalten. Sie ist Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) sowie Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Ein Gespräch über digitale Chancen und Herausforderungen im Personalmanagement.

Die Wirtschaftswelt befindet sich in einer digitalen Transformation: Rasanter Technologiewandel, disruptive Geschäftsmodelle und automatisierte Prozesse sorgen für eine nie dagewesene Dynamik. Lösen Roboter und Algorithmen den Menschen bald von der Arbeit ab?

Das kommt auf die Tätigkeit an. Routinetätigkeiten – und seien sie noch so komplex – folgen immer einem bestimmten Muster und können somit mittel- bis langfristig von Maschinen übernommen werden. Die digitale Transformation in allen Unternehmensbereichen bringt für Routinearbeit nämlich zwei Effekte mit sich: Den Simplifizierungseffekt und den Substitutionseffekt.

Wenn Maschinen zunehmend Routinetätigkeiten ausführen, die der Mensch nur noch kontrollieren muss, dann wird seine Arbeit weniger und wahrscheinlich auch einfacher – das ist der Simplifizierungseffekt. Kann eine intelligente Maschine, wie bei Industrie 4.0, sich irgendwann selbst warten und Unstimmigkeiten in der Produktions- oder Lieferkette vorrausschauend beheben, wird der Mensch in einigen Bereichen komplett abgelöst – das ist der Substitutionseffekt. Wer auf der anderen Seite Nicht-Routinetätigkeiten ausführt, muss sich nicht sorgen, dass er in naher Zukunft von Algorithmen und Robotern verdrängt wird.

Was sind das für Tätigkeiten?

„Menschliche“ Tätigkeiten und alle Tätigkeiten „Out-of-the-Box“: Wenn es darum geht, Neues zu gestalten oder Verbesserungen vorzunehmen, die nicht aus dem bestehenden System herausfolgen, sondern Muster aufbrechen, auch kreative Tätigkeiten – und solche, wo Intuition und soziale Interaktion, bzw. Sozialkompetenz gefragt sind.

Was passiert mit den Menschen der wegfallenden Routinearbeit?

Wenn wir unsere Zeit nicht mehr für Routine-Tätigkeiten verschwenden, dann bekommen wir Zeit geschenkt. Und wenn wir diesen Zeit-Wohlstand klug investieren, in all das, was wir immer mal machen wollten, aber nie die Zeit dafür hatten – oder die Zeit nutzen, um gemeinsam mit anderen Menschen etwas Neues zu gestalten, dann entstehen dadurch ganz neue Potenziale, Tätigkeiten und Geschäftsmodelle. Es können sich ganz neue Branchen und Wirtschaftszweige entwickeln. Dadurch entsteht also auch wieder neue Arbeit.

Wie sollte das Personalmanagement in Zukunft damit umgehen? Welche Rolle Spielt Employability dabei?

Die HR-Abteilung hat den Wandel selbst in der Hand: Das Personalmanagement sitzt hier an der Quelle und sollte in jedem Unternehmen zum Gestalter dieses Transformationsprozesses werden. Die Verantwortlichen im Personalmanagement sollten sich überlegen, wie solche Szenarien aussehen könnten, welche Konsequenzen diese Szenarien haben könnten – und an welcher Stelle die Transformation dann die Personalentwicklung direkt betrifft. Wir nennen das Employability. Es geht darum, die Beschäftigungsfähigkeit derjenigen Menschen zu stärken, die von Simplifizierung und Substitution betroffen sind. Employability bedeutet, den betroffenen Mitarbeitern Perspektiven zu schaffen – und die Nicht-Betroffenen weiter zu stärken, damit sie auch in Zukunft in der Lage sind, Neues zu Gestalten und rasanten Veränderungen zu begegnen. Kurz: Es geht um Empowerment in der gesamten Bandbreite: Fachwissen, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz. Employability ist ein Mindset, eine Haltung.

Welche Schritte sind dafür notwendig?

Als erstes ist das Personalmanagement dafür verantwortlich, zu erkennen, was in Zukunft notwendig ist – und daraus die Konsequenzen und Handlungskonzepte abzuleiten und im Unternehmen zu implementieren. Im nächsten Schritt muss die HR-Abteilung diese Transformation aber auch selbst mitgehen. Ich nicht meine Führungsteams und die Belegschaft dazu verhaften, die „Neue Welt“ zu betreten und dann selbst statisch bleiben. Das reicht nicht aus. Ich muss die Transformation selbst vorleben. Also müssen sich die Verantwortlichen überlegen: Wie sieht eine digitale Transformation im HR-Management aus? Wo haben wir Routinearbeiten und Simplifizierungseffekte, wo nicht? Wie befähigen wir die von Substitution Betroffenen? Wie können wir Prozesse und Strukturen zukunftsgerecht aufstellen? Die Personalabteilungen, die solche Themen parallel oder etwas vor der Unternehmenstransformation angehen, bieten ein gute Blaupause für den Rest der Organisation.

Welche Auswirkung hat die Digitalisierung der Arbeitswelt schon heute auf die Personalarbeit?

Im Recruiting-Prozess hat die Digitalisierung schon heute eine erkennbare Auswirkung: Beispielsweise trifft in vielen Unternehmen eine künstliche Intelligenz die Kandidaten-Vorauswahl. An einigen Stellen sehen ich aber noch großes Verbesserungspotenzial. Gut aufgestellt sind diejenigen Personalabteilungen, die einerseits Mitarbeiter mit hoher Sozialkompetenz haben – und andererseits eine harte Managementkompetenz mitbringen. So eine Umstellung ist nämlich kein Spaziergang, sondern eine echte Veränderung, die mit Widerständen und Unsicherheiten verbunden ist. Verantwortliche sollten sich also auch hier fragen: Sind wir im Personalmanagement so aufgestellt, dass wir diesen Herausforderungen standhalten können? Das ist die erste Voraussetzung.

Die Zweite Voraussetzung ist das Standing des Personalmanagements innerhalb der Organisation. Wie ist der Ruf, die Reputation, das Standing? Wird man als Gesprächs- und Aktionspartner auf Augenhöhe wahrgenommen, wenn es um diese Themen geht? Oder ist man eher der Erfüllungsgehilfe, der, wenn es hart auf hart kommt, von den anderen Abteilungen und der Geschäftsführung nicht ernst genommen wird? Das sind ganz zentrale Fragen.

Die Corona-Krise war ein Katalysator für viele Digitalisierungsunterfangen von Unternehmen. Plötzlich war Home-Office und agiles Arbeiten kein Problem mehr: Haben deutsche Unternehmen Schwierigkeiten damit, sich auf HR-Seite an die digitale Arbeitswelt anzupassen?

Ja – und das hat etwas mit unserer Kultur zu tun. Die Corona-Krise ist tatsächlich ein Katalysator für die digitale Transformation unserer Volkswirtschaft. Blenden wir all die negativen Aspekte der Pandemie einmal aus, die selbstverständlich überwiegen: In Deutschland und vielen anderen zentraleuropäischen Ländern brauchten Unternehmen so ein Schockerlebnis, um in Bewegung zu kommen und echte Veränderungen anzustoßen. Das ist kulturell bedingt. Wir leben in einer Region, die ein großes Bedürfnis nach Kontinuität, Sicherheit und Stabilität hat. Wenn etwas gut läuft, haben wir die klare Haltung: „Never Change a Running System“. Bloß nichts aufgeben, was noch funktioniert. Nun haben wir auch Jahrzehnte im Vergleich zu anderen Ländern und Regionen eine top Wirtschaftsleistung hinter uns. Wer in so einem Kulturkreis lebt, denkt sich halt: Warum soll ich denn etwas verändern?

Das Problem: Viele blenden dabei aus, dass die Wirtschaftswelt mittlerweile eine wahnsinnige Dynamik entwickelt hat. Technologie, Geschäftsmodelle, Prozesse: Alles verändert sich immer schneller. Wenn dann plötzlich eine Krise eintritt, haben Unternehmen, die lange nichts getan haben, keine Zeit mehr, um darauf zu reagieren. Heute sollten Unternehmen sich Veränderungen immer proaktiv stellen. Und das ist leider mit unserer Mentalität nicht immer vereinbar.

Was wir aber beobachtet haben – und das ist positiv: In Deutschland hat sich ein etwas anderes Muster habitualisiert. Wenn eine Krise kommt und der Handlungsdruck plötzlich enorm ist, rücken wir zusammen und bündeln all unserer Energie, um uns gut für die Krise aufzustellen. Das war in der Wirtschaftskrise 2008/2009 so. Das konnten wir in der Wendezeit beobachten, während der großen Krisen der 70er Jahre – und auch nach dem zweiten Weltkrieg. Meine Prognose ist als: Wenn die Volkswirtschaft nach der Corona-Krise wieder Fahrt aufnimmt, dann werden viele Unternehmen im internationalen Vergleich ziemlich gut dastehen.

Was macht ein zukunftsfähiges Unternehmen aus?

Kurz und knapp: Beweglich zu sein und gleichzeitig die Balance zu halten, niemals die Fokussierung zu verlieren aber auch nach links und rechts zu schauen – über den Branchen-Tellerrand hinaus.

Kennen Sie positive Beispiele, wo Employability / Beschäftigungsfähigkeit gefördert wird – und Mitarbeiter umgeschult, statt ausgewechselt werden? Also, wo wird „lebenslanges Lernen“ gelebt wird?

Ja, eine ganze Menge. Es gibt in Deutschland viele Konzerne, große Mittelständler und Familienunternehmen, die mit dem Thema schon sehr weit sind. Auch viele Unternehmen in der Finanzbranche, die ja sehr krisenerprobt ist, haben sich schon frühzeitig mit Employability beschäftigt – oder in der Automobilindustrie. Zu Krisenzeiten sieht das leider oftmals so aus, als ginge es nur darum, mit Employability den Personalabbau möglichst verträglich zu gestalten. Darum sollten man eigentlich bei denjenigen Unternehmen schauen, die das Thema schon vor 5 oder 10 Jahren auf der Agenda hatten. Unternehmen, die sich traditionell in dynamischen Märkten bewegen, beschäftigen sich in der Regel auch immer mit Employability. Denn sie haben verstanden: Aufgrund unserer Geschäftsmodelle, ändernden Kundenanforderungen und sich immer schnelleren Veränderungen müssen wir als Organisation beweglich bleiben.

Welche Rolle spielt Führung beim Thema Employability?

Employability-Management hat viel mit agilen Arbeitsformen zu tun. Mitarbeiter die befähigt werden, sich flexibel auf Veränderungen einzustellen, haben ein hohes Maß an Kompetenz und Selbstverantwortung, Identifikation und Engagement. Sie sind veränderungsbereit, lernfähig, denken mit – und haben ein sehr gutes Grundkompetenzprofil. Solche Mitarbeiter benötigen Arbeitskontexte, in denen sie aktiv teilnehmen und mitgestalten können – und hier sind wir ganz nah bei agilen Arbeitsformen. Führung darf im Kontext von Employability nicht anweisend oder gar feudalistisch sein, sondern muss Rahmenbedingungen gestalten, Tools und Ressourcen zur Verfügung stellen und die Mitarbeiter machen lassen sowie ihnen den Rücken freihalten. Also: loslassen können und Coach und Reflexionspartner sein, delegativ oder partizipativ führen. Das erfordert Verantwortlichen ein anderes Mindset ab, einen anderen Blick auf sich, auf Macht, Einfluss und Hierarchie.

Welche Recruiting-Trends sehen Sie in den nächsten Jahren auf uns zukommen?

Es wird wohl vermehrt hybrid im Recruiting, heißt: Ein Teil des Recruiting-Prozesses übernimmt zunehmend digitale Technologie, wie Chatbots oder Algorithmen. Auch das erste Sondierungsgespräch wird in Zukunft immer mehr von einer KI übernommen. Ab einem bestimmten Moment sieht der Kandidat dann erstmals einen Menschen im Prozess. Und die finale Personalentscheidung fallen dann auch Maschine und Mensch zusammen. Im Zweifel wird dann wahrscheinlich der Mensch das letzte Wort haben. Aber ich denke, dieser hybride Einstellungsprozess wird in den nächsten Jahren stark zunehmen.

Wo sehen Sie die größte Herausforderung für deutsche Arbeitgeber im Bereich Digitalisierung und HR?

Neben den schon genannten Hausaufgaben, die Personalverantwortliche machen sollten, sehe ich drei Herausforderungen: Erstens, könnten finanzielle Mittel zum Problem werden, um den großen Wandel zu vollziehen. Zweitens, sehe ich die Gefahr, dass Unternehmen zurück in alte Verhaltensmuster fallen und den Wandel somit nicht schaffen. Und drittens, ist die demographische Entwicklung in Deutschland eine Challenge für die Transformation. Wir sind eine alte Gesellschaft. In den nächsten Jahren werden viele Menschen den aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und Platz schaffen für die Jungen. Andererseits sitzen die Älteren aber noch 5-10 Jahre in Entscheider-Positionen – und einige haben keine Veränderungsmotivation mehr, bremsen also die digitale Entwicklung hierzulande aus. Wir müssen uns also mit Frage befassen: Wie können wir in einer älter werden Gesellschaft die Neugierde wecken und das Interesse am technologischen Fortschritt aufrechterhalten?

Vielen Dank, Frau Dr. Rump!

–––––––––––––––––––––––––––––

Über NWXnow HR-Special

Wer mehr von Prof. Dr. Jutta Rump erfahren möchte, sollte am 14.10.2020 beim NWXnow HR-Special vorbeischauen. Gemeinsam mit XING E-Recruiting und unseren Tochtermarken kununu, Prescreen und Honeypot präsentieren wir mit dem „NWXnow HR-Special“ ein attraktives Programm über alle fünf Veranstaltungstage vom 12.10. bis 16.10.2020.

Die NWXnow ist unsere digitale Formatreihe, die analog zu unserem jährlichen Offline-Event NEW WORK EXPERIENCE, ein Forum für die Diskussion zur Zukunft der Arbeit bietet. Denn wir sind davon überzeugt: Es geht mehr denn je um die Frage, wie wir die Weichen für eine zukünftige Arbeitswelt stellen, in der wir arbeiten wollen. Mit der NWXnow HR-Special startet nun das zweite Digital-Format der NWX.

In dieser Woche sprechen wir mit HR-Experten, Vordenkern und Praktikern, um Klarheit und Orientierung zu schaffen. Und jede Menge Know-How aufzubauen. Dabei stellen wir zu jedem Thema die zentrale Frage: Was kommt, was bleibt und was ändert sich?

Sei jetzt mit dabei und schau täglich vorbei: NWXnow HR-Special >>

Kommentare

NWX – New Work News schreibt über Alles zur Zukunft der Arbeit

Alles zur Zukunft der Arbeit: Auf dieser News-Seite finden alle New Work-Interessierten multimedialen Content rund um das Thema. Neben Experten-Interviews, Debatten, Studien, Tipps und Best Practices, erwarten die Leser auch Video- und Podcastformate. Und natürlich ein Überblick unserer gesamten New Work Events, die mehrmals im Jahr im gesamten deutschsprachigen Raum stattfinden. Weitere spannende Inhalte zum Thema New Work finden Sie auf: nwx.new-work.se

Artikelsammlung ansehen