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Die ehemaligen Wirecard-Vorstände Steidl, Braun und von Knoop erlitten vor Gericht eine Niederlage. - Foto: REUTERS
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Entscheidung im Wirecard-Prozess gefallen: Vorstände müssen Insolvenzverwalter 140 Millionen Euro zahlen

Insolvenzverwalter Jaffé siegt im Streit mit Ex-Wirecard-Chef Markus Braun und den früheren Vorständen Alexander von Knoop sowie Susanne Steidl. Ein Ex-Aufsichtsrat kann aufatmen.

Düsseldorf. Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sowie die beiden ehemaligen Vorstände Susanne Steidl und Alexander von Knoop müssen dem Insolvenzverwalter Michael Jaffé 140 Millionen Euro Schadenersatz zahlen. Das hat das Landgericht München I am Donnerstag entschieden.

Nach Ansicht des Gerichts haben die Manager bei der Vergabe eines Kredits und bei der Zeichnung von Schuldverschreibungen mindestens fahrlässig gehandelt und müssen deshalb für den entstandenen Schaden haften.

Das Gericht sah bei den Vorständen eine klare Verantwortung, weil der Kredit nicht besichert gewesen sei und es vor der Zeichnung der Schuldverschreibungen keine gründliche finanzielle Prüfung gegeben habe. „Die Kammer bejahte eine jeweils jedenfalls fahrlässig begangene Pflichtverletzung aller drei Vorstandsmitglieder“, teilte das Gericht mit.

Bei Braun und dem ehemaligen Finanzvorstand Alexander von Knoop leitete der Vorsitzende Richter Krenek die Verantwortlichkeit direkt aus ihren Ressortzuständigkeiten ab. Die Produktvorständin Susanne Steidl hätte laut Gericht misstrauisch werden müssen.

Der ebenfalls beklagte langjährige Wirecard-Aufsichtsrat Stefan Klestil haftet hingegen nicht. Er habe zwar seine Kontrollpflichten verletzt, urteilte das Gericht. Das führt dem Richter zufolge allerdings nicht zu einer Haftung.

Der Vorstand habe sich bereits in der Vergangenheit nicht an Vorgaben des Aufsichtsrates gehalten. Deshalb sei nicht sicher, ob Maßnahmen des Aufsichtsrates geholfen hätten. Gegen Klestil laufen – im Gegensatz zu den Wirecard-Vorständen – keine strafrechtlichen Verfahren.

Kredit an dubiose Firma in Singapur vergeben

Im Zentrum des Zivilprozesses standen Gelder, die der damalige Dax-Konzern Wirecard an das Unternehmen Ocap aus Singapur vergeben hat. Die hauseigene Wirecard-Bank hatte sich gegen die Kreditvergabe ausgesprochen und festgestellt, dass Ocap kreditunwürdig sei. Ocap selbst ist ebenfalls seit 2020 insolvent.

Bereits zum Prozessauftakt im Februar ließ der Vorsitzende Richter Helmut Krenek Zweifel an der pflichtgetreuen Vergabe der Gelder an Ocap durchblicken. Es erscheine fraglich, inwieweit die Entscheidungen auf einer ausreichenden Informationsgrundlage erfolgt seien, so Krenek, der von „erkennbaren Warnzeichen“ sprach. So gab es zum Zeitpunkt der Darlehensvergabe bereits Zahlungsrückstände aus einem früheren Darlehen. Die Anwälte der Wirecard-Manager hingegen argumentierten, dass nach damaligem Sachstand Ocap eine seriöse Firma gewesen sei. Von Wirtschaftsprüfern seien keine Einwände gekommen.

Das Unternehmen aus Singapur war nicht irgendein Darlehensempfänger. Es befasste sich bis 2018 mit dem Großhandel von Ölprodukten sowie Dienstleistungen für Schiffe. Dann übernahm Carlos H. die Firma, ein ehemaliger Mitarbeiter des seit 2020 flüchtigen Asienvorstands Jan Marsalek. Plötzlich widmete sich Ocap der Zwischenfinanzierung für Onlinehändler – und erhielt von Wirecard Geld.

Ob Ocap die Finanzmittel je für den angeblichen Zweck einsetzte, ist unklar. Die Gelder von Wirecard sind verschwunden, im Abschlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags steht: „Das Unternehmen Ocap diente vermutlich als Vehikel zur systematischen Entwendung von Kapital.“

Bereits Ende 2018 hatte Ocap erstmals ein Darlehen über 100 Millionen Euro erhalten. Ocap bediente den Kredit in der Folge zwischenzeitlich nicht und blieb mit Zinsen im Rückstand. Trotzdem flossen weitere Gelder an das Unternehmen, etwa Ende 2019 eine Schuldverschreibung. Die offenen Rückzahlungsansprüche in Höhe von 140 Millionen Euro machte Jaffé schließlich bei den früheren Verantwortlichen geltend.

Managerversicherer sperren sich

Wie viel Geld der Insolvenzverwalter mit seinem Erfolg vor Gericht tatsächlich einholen wird, ist allerdings ungewiss. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, und es gilt als wahrscheinlich, dass die verurteilten Vorstände in Berufung gehen werden.

Jaffé steht aber vor einem noch größeren Problem. Bei den früheren Wirecard-Managern dürfte nicht mehr viel zu holen sein. So ist das Vermögen des Ex-Chefs Braun arrestiert. Auch die Reserven von Steidl und von Knoop sind begrenzt, zumal ihnen ein aufwendiger und kostenintensiver Strafprozess bevorsteht.

So dürfte Jaffé vor allem auf die Managerhaftpflichtversicherung von Wirecard spekulieren. Die Deckung soll sich für die Jahre 2019 und 2020 auf 125 Millionen beziehungsweise 150 Millionen Euro belaufen. Allerdings weigern sich die Versicherer bisher, die Gelder auszuzahlen. Grundsätzlich greifen solche Policen nicht, wenn Manager Straftaten begangen haben.

Einzig Grundversicherer Chubb musste nach einem verlorenen Rechtsstreit mit Braun bisher 15 Millionen Euro auszahlen. Doch dieser Topf ist inzwischen leer.

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