Folge 8: Jorge González oder warum Menschen erfolgreich sind, die sich zeigen
Jorge González hat Nuklearökologie studiert. Statt in diesem Bereich Karriere zu machen, kämpfte der Kubaner darum, sich selbst zu verwirklichen und seine Träume zu leben. Nach einem Dreh für Coca-Cola wurde er deshalb fast verschleppt.
Mit uns spricht er darüber, wie er seinen authentischen Lebens- und Karriereweg gefunden hat und welche Rolle seine Oma und seine Tante dabei spielten. Die wenigsten wissen, dass der Kubaner Musterschüler auf einem Eliteinternat war und daher als einer der Ersten sein Studium auswählen durfte. Wie in sozialistischen Ländern üblich, bekam er ein paar Optionen vorgelegt, zum Beispiel Mechaniker und Bauingenieur. Seine Wahl fiel auf Nuklearökologie. Der Grund: Das wurde in Bratislava angeboten. »Ich wollte unbedingt in der damaligen Tschechoslowakei studieren«, sagt er. Unter hunderten Bewerberinnen und Bewerbern setzte er sich 1985 fürs Auslandsstudium durch.
Ich dachte zwischendurch, Kafka ist ein Onkel von mir
Seine Tante Juana, eine Frau, die ihr Dorf niemals verlassen hatte, war ein Fan von Franz Kafka. Sie las all den Kindern in der Familie ständig dessen düstere Romane vor. »Ich dachte zwischendurch, Kafka ist ein Onkel von mir«, sagt González und lacht. Auch wenn er die familiären Verhältnisse bis zu seinem 18. Geburtstag durchschaute: Er wollte dieses Land unbedingt kennenlernen.
Der junge Student war später mittendrin, als tausende Menschen am 17. November 1989 in Prag demonstrierten. Schon am nächsten Tag teilten ihm seine kubanischen Betreuer mit, dass tschechische Volk zähle nun zu den Feinden. Alle Kubaner sollten zurückkommen. Aber González wollte nicht. Er hatte Freunde gefunden, genoss die Freiheit im Umbruch. Er pendelte zwischen seinem Studienort Bratislava und der Hauptstadt, um Ballettaufführungen und Bars zu besuchen. Er liebte Tanz, glitzernde Kleidung, Schminke. Er liebte Männer. In seiner autoritär geführten Heimat ein riesiges Problem. Lediglich seine Oma wusste von seinem Geheimnis, hatte ihn gewarnt, aber zugleich gesagt: »Vergiss nie, Du bist gut so wie Du bist«. Homosexuelle wurden nach dem Sieg der Revolution 1959 vom kubanischen Staat verfolgt und unter Druck gesetzt. Bis heute erfahren gleichgeschlechtliche Paare Diskriminierung.
González begann neben dem Studium als Model zu arbeiten. »Ich wusste, wenn die mich erwischen, hat das Konsequenzen«, sagt er. Die kommunistische Partei erwartete von Studenten und Studentinnen, dass sie sich auf Studium konzentrierten und linientreu verhielten. Arbeit war verboten, schon gar nicht für den Klassenfeind. Trotzdem nahm der damals 22-Jährige das Angebot an, einen Werbespot für Coca-Cola zu drehen. »Das gab gutes Geld«, sagt er. Zweifel schob er beiseite und tanzte für den kapitalistischen Feind schlechthin, im ersten Spot, den das US-Unternehmen in der jungen Republik schaltete. Die Werbung lief sofort und auf allen Kanälen, was das kubanische Konsulat auf den Plan rief.
González sollte abgeholt und in die Heimat geflogen werden. Er konnte untertauchen, weil Dutzende Freunde ihn aus dem Wohnheim eskortierten und so vor einem Zugriff schützten. »Das war einer der emotionalsten Momente in meinem Leben. Ich bin rausgegangen, innen total kaputt, aber nach draußen mit Stolz«, erzählt er. Wenig später erhielt González politisches Asyl in der neuen Republik. Er startete erfolgreich eine Tanzshow und beendete 1991 sein Diplomstudium, bevor er schließlich nach Deutschland zog. Wie es dort weiterging? Die ganze Geschichte hört ihr hier. Abonniert unseren Podcast, damit Ihr keine Folge verpasst.