„Freiheit erlangt man mit Disziplin“: Wie eine Familie mit 6 Kindern durch die Welt segelte
Michael Berndonner und Corina Lendfers kauften sich ein Segelboot und brachen 2013 mitsamt ihrer damals fünf Kinder zu einer Weltreise auf. Ihr jüngster Sohn wurde unterwegs geboren. Seit 2019 sind sie wieder zurück – und bereiten sich jetzt auf die nächste Tour vor. Bei der NWXnow verraten sie uns, was es wirklich bedeutet seine Träume zu verwirklichen und wie man Herausforderungen und Zweifel auf dem Weg dorthin überwindet.
Corina: Der eigentliche Auslöser war ein Buch, das wir 2009 im Schaufenster einer Bibliothek entdeckten. Es handelte von einer Familie, die um die Welt gesegelt ist. Obwohl wir beide aus den Schweizer Bergen stammen, traf uns die Idee wie ein Blitz: Wir wussten, das würde die Zukunft unserer Familie sein, ein Leben auf einem Segelschiff. Wir konnten zu dem Zeitpunkt weder segeln noch verstanden wir etwas von Schiffen. Aber die Vision traf auf zwei starke Bedürfnisse: Freiheit und Selbstbestimmung, die wir in unserer damaligen Situation nicht so richtig ausleben konnten.
Corina: Es war die starre Struktur der Schule und des Kindergartens, die uns daran gehindert hat, weil sie unseren Tagesablauf diktierte. Wir beide arbeiteten zwar selbstständig und hätten uns die Zeit flexibel einteilen können, aber der Rahmen war durch die Kinderbetreuung fest umrissen.
Michael: Fünf Kinder zu haben ist in der Schweiz außerdem richtig teuer, da braucht es ein entsprechendes Einkommen. Der zeitliche Arbeitsaufwand, den wir als Selbstständige leisten mussten, um davon mit fünf Kindern leben zu können, der war enorm. Uns war klar, dass das nicht die nächsten zwanzig Jahre so weitergehen sollte. Es war eine Zukunftsentscheidung, die wir getroffen haben.
Michael: Ich kann da nur für uns sprechen. Alles, was wir an Erfahrungen gesammelt haben, was wir gelernt haben, wie man mit uns umgegangen ist, wie wir damit umgegangen sind – diese Summe macht uns als Persönlichkeit aus. Und mit Sicherheit hat uns unser Umfeld geprägt. Meine Eltern sind 1965 von Österreich in die Schweiz umgesiedelt, das war zur damaligen Zeit ein sehr großer Schritt.
Corina: Bei meinen Eltern war es ebenso. Mein Vater kam aus Holland, meine Mutter aus Deutschland. Unsere Eltern haben uns die Veränderung quasi vorgelebt. Außerdem gehört meiner Meinung nach auch die Fähigkeit dazu, loslassen zu können. Nicht nur die eigenen Ängste, oft geht es auch darum, das Bild von sich selber loszulassen, das einem durch das Umfeld aufgedrückt wurde.
Michael: Wenn man aufbrechen will ist der erste Schritt, sich mit sich selbst zu befassen. Ich muss herausfinden, wer ich wirklich bin, was ich im Leben brauche, in welchen Situationen es mir gut geht. Und wenn ich dann ein Ziel festlege, kommt der nächste Schritt: Mit Stärke und Disziplin konsequent daran zu arbeiten, was ich mir vorgenommen habe.
Michael: Ein finanzielles Polster hatten wir nicht wirklich, weil wir schon vorher unser Geld inklusive unsere Pensionsvorsorge in unsere Selbstständigkeit und das Haus gesteckt hatten. Es war von Beginn an ganz wichtig, dass wir unsere Erwerbstätigkeit weiterführen konnten. Ich fliege zweimal jährlich in die Schweiz zurück, wo ich als Kommunikations-Coach und Hochschuldozent arbeite. Corina schreibt und verkauft Bücher von unterwegs. Zudem leben wir sparsam, essen selten auswärts, reparieren wenn möglich alles selbst und wählen unsere Reiseziele mit Bedacht.
Corina: Ein Tag auf See hat 24 Stunden. Einer von uns musste immer wach bleiben und so haben wir uns die Nachtwache geteilt. Für die Kinder begann der Tag wenn die Sonne aufging. Dann gab es Frühstück, und der Rest kam ganz auf den Seegang an.
Michael: Bei hoher See und heftigem Wind konzentrierst du dich nur noch aufs Segeln. An ruhigeren Tagen haben die Kinder viel gelesen, Hörspiele gehört und natürlich Unterricht gemacht. Außerdem ist auf See immer etwas los. Wenn ein Containerschiff am Horizont erschien, war das immer ein großes Spektakel, das bis zu einer Stunde dauerte, bis es an uns vorbei war. Dann wieder Segelmanöver oder den Hund aufs Vordeck ausführen. Also du bist ständig in Bewegung.
Wenn ich dann ein Ziel festlege, kommt der nächste Schritt: Mit Stärke und Disziplin konsequent daran zu arbeiten, was ich mir vorgenommen habe.Michael Berndonner
Corina: Und dann die Zubereitung der Mahlzeiten. Jeder Arbeitsschritt dauert unheimlich lange, weil durch die Bewegung des Bootes alles drei Mal so anstrengend ist. Man muss sich ja ständig irgendwo festhalten und das Schaukeln ausbalancieren. Pro Mahlzeit gehen für Vorbereitung, Kochen, Essen und Abwaschen zweieinhalb Stunden drauf. Da wird die Verpflegung zur Hauptaktivität des Tages.
Corina: Sie haben ganzheitlich gelernt, also mit allen Sinnen, und darum ist das Gelernte nachhaltig geblieben. Die Kinder können selbstständig arbeiten, selbst Verantwortung dafür übernehmen, wie sie ihren Tag verbringen wollen, was sie lernen möchten. Ihr Unterricht war breit gefächert – von Naturbeobachtungen bis hin zu praktischen Tätigkeiten, wie Kochen, Waschen, Einkaufen.
Michael: Unsere Kinder haben viel über Kommunikation und Konfliktmanagement gelernt. Die streiten, dass die Fetzen fliegen, wie andere Kinder auch. Aber sie wissen, wie wichtig es ist, Konflikte auszutragen und nicht unter den Teppich zu kehren, weil das auf dem Schiff einfach nicht möglich ist.
Corina: Zudem sind sie unheimlich tolerant anderen Menschen gegenüber. Und nicht nur, weil man das sollte, sondern weil es wirklich ganz tief in ihnen verankert ist.
Michael: Zu acht, mit Hund, Vögeln und Hamster auf einem Schiff, das 42 Fuß lang ist, also knapp 13 Meter, da bleibt nicht viel Platz. Als Erwachsener brauchst du eher mal eine Rückzugsmöglichkeit, um etwas in Ruhe zu durchdenken. Die hast du da einfach nicht. Ein anderes Problem war manchmal die Wettersituation. In Südamerika sind wir in die Regenzeit reingefahren. Und wenn du auf so einem Schiff drei Wochen lang nur Regen hast, kübelweise, dann wird nichts mehr trocken. Also das hat uns dann schon an unsere Grenzen gebracht.
Corina: Einerseits wurde mit der Geburt des sechsten Kindes das Boot einfach zu klein, zumal ja die anderen Kinder auch gewachsen sind. Wir mussten uns entscheiden – entweder das Boot zu verkaufen oder jetzt eine Pause zu machen, bis die älteren Kinder nicht mehr mitkommen. Darüber hinaus wollten vor allem die Größeren auch mal etwas anderes kennenlernen. Ein Auslandsjahr in einer Schule, Klavierunterricht nehmen, Reiten lernen. Alles Dinge, die mit dem Bootsleben nicht zu vereinbaren sind. Außerdem hat unser altes Stahlschiff durch den Aufenthalt in den Tropen ganz schön gelitten. Es wurden größere Reparaturen nötig und deshalb liegt es derzeit in Portugal. Sobald es Corona erlaubt, fahren wir hin und nehmen die Arbeit daran wieder auf, die wir im Winter unterbrochen haben.
Corina: Wenn du weißt, wofür du brennst, was dein echtes, eigenes Bedürfnis ist, deine Leidenschaft, die dich glücklich macht, dann brich auf! Für uns war es das Schiff, mit dem wir uns auf absolutes Neuland begeben haben, die fernen Länder, die neuen Horizonte. Alles, was du verlieren kannst, sind Ängste, Zwänge und starre Denkmuster. Die größten Hürden sind im Kopf. Hat man sie einmal überwunden, ist alles plötzlich ganz einfach. Wir gehen unseren Weg mit allen Stolpersteinen und Verzweigungen und lernen uns selbst durch jede unerwartete Wegbiegung besser kennen.
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Facts:
Michael Berndonner, Jahrgang 1966, ist Musiker, Coach und Referent in den Bereichen Sprechtechnik, Konfliktlösung und Auftrittskompetenz
Corina Lendfers, Jahrgang 1979, hat Internationale Beziehungen und Kulturmanagement studiert, sie ist Autorin und Schiffs-Handwerkerin
beide stammen aus der Schweiz
Sie haben sechs Kinder im Alter zwischen 3 und 17 Jahren
Neues Buch in diesem Frühjahr: Lendfers & Berndonner: „Aufbruch braucht keinen Mut, sondern Selbstkenntnis“
Website: https://www.segel-vision.com/
Mehr Infos:
Lust bekommen, Deine Träume selbst in die Hand zu nehmen und Deinen Purpose zu finden? Mehr zum Thema gibt es am Montag bei der NWXnow. Im NWXnow Videocast sprechen Marc-Sven Kopka und Lisa Nölting mit Michael Berndonner und Corina Lendfers darüber, was es wirklich bedeutet seine Träume zu verwirklichen und wie man Herausforderungen und Zweifel auf dem Weg dorthin überwindet.