Funklöcher und langsames Internet – Telekomkonzerne dürften erneut Auflagen verletzen
Telekom, Vodafone & Co. hatten vor allem Besserung beim Mobilfunk versprochen. Doch ihre Zusagen halten sie laut neuen Zahlen wohl nicht ein. Empfindliche Strafen drohen.
Der Ausbau der Mobilfunknetze in Deutschland kommt immer noch langsamer voran als geplant. So sind insbesondere Funklöcher auf dem Land, sogenannte „weiße Flecken“, nach wie vor nicht ausreichend mit Infrastruktur ausgestattet. Eine pünktliche Versorgung, die bis Jahresende vorgesehen war, erscheint deshalb kaum mehr möglich. Das geht aus einer vertraulichen Auswertung der Bundesnetzagentur hervor, die dem Handelsblatt vorliegt.
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Von 600 bis Silvester zu versorgenden weißen Flecken sind demnach erst 89 geschlossen. Auch in anderen Bereichen geben Teile der Branche ein dürftiges Bild ab: Die Vorgabe, 98 Prozent der Haushalte mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 100 Mbit/s zu versorgen, wird zum Beispiel von Telefónica (O2) erst in fünf Bundesländern erreicht. Die Auswertung gibt den Stand von August dieses Jahres wieder.
Experten und Insider rechnen deshalb nicht damit, dass alle drei großen Netzbetreiber die Mindestauflagen bis zum Jahresende einhalten werden, zu denen sie sich im Rahmen der letzten Frequenzauktion 2019 verpflichtet hatten.
Bundesnetzagentur: Telekom, Vodafone und Co. verletzen erneut Auflagen
„Das geht mal wieder viel zu langsam voran“, klagt ein Mitglied des Beirats der Bundesnetzagentur. Die ursprünglichen Beteuerungen der Anbieter seien mitunter zur „Farce“ verkommen. Die Verzögerungen bei den weißen Flecken seien „frustrierend“, sagte Reinhard Houben (FDP), der dem Beirat ebenfalls angehört, dem Handelsblatt. „1&1 und Telefónica müssen nun alles dafür tun, die staatlichen Auflagen beim Netzausbau zu erfüllen.“
Maik Außendorf, digitalpolitischer Sprecher der Grünen, kündigte an, dass er sich „für eine härtere Gangart gegenüber den Netzbetreibern einsetzen“ wolle, sollten sie ihre Zusagen zum Fristende abermals nicht einhalten.
Zum Jahresende nimmt das Ausbautempo zwar in der Regel nochmal zu. Doch die Rückstände sind groß. Die Jahre nach der Auktion wurden von manchen Anbietern offenbar nicht konsequent genug genutzt.
Das Unternehmen 1&1, das derzeit ein neues, viertes Netz aufbaut, hatte im September bereits eingeräumt, die Auflagen voraussichtlich zu verletzen. Statt bis Silvester, wie vorgeschrieben, sollen die ersten 1000 Basisstationen des neuen Netzes nun erst „im Sommer“ angeschlossen sein. Verantwortlich sei der „deutliche Lieferverzug“ eines Geschäftspartners.
Deutsche Telekom und Telefonica beteuern rechtzeitigen Ausbau im Mobilfunk
Deutsche Telekom und Telefónica beteuern weiterhin pünktlichen Vollzug im Sinne der Auflagen. Man sei „gut unterwegs“, teilt etwa die Telekom mit. „Wir haben unsere Ausbauauflagen bislang stets erfüllt.“ Telefónica, das nach der vorherigen Frequenzauktion mit Nachfristen und großen Lücken Groll provoziert hatte, betont, den Ausbau „weiter massiv“ vorantreiben zu wollen. Bis Ende 2025 solle das eigene 5G-Netz die gesamte Bevölkerung erreichen.
Vodafone teilt lediglich mit, die Erweiterung der eigenen Infrastruktur „mit großem Aufwand“ voranzutreiben. Ob oder wann die zugesagten Ausbauziele erreicht werden, bleibt offen.
Bundesnetzagentur wird strikter im Umgang mit Mobilfunk-Anbietern
Bei der Bundesnetzagentur, die für deren Überwachung zuständig ist, reicht die Skepsis mittlerweile bis an die Spitze. So hatte Präsident Klaus Müller die Chefs der vier großen Mobilfunkunternehmen aufgrund der hartnäckigen Rückstände vor Kurzem schriftlich an ihre Verpflichtungen erinnert, wie das Handelsblatt erfuhr.
Auf Anfrage räumt ein Sprecher Müllers ein, dass der Präsident die Vorstandsvorsitzenden zuletzt in einem Brief von September darauf hingewiesen habe, „alle Anstrengungen zu unternehmen“, um die Versorgungsauflagen „zügig zu erfüllen“. Bei der Telekom, die im Konkurrenzvergleich in der Regel gründlich ausbaut, soll diese Mahnung intern durchaus Irritationen provoziert haben.
Der Ton der Behörde, die unter Müllers Vorgänger Jochen Homann eher durch einen konzilianten Umgang mit der Telekombranche aufgefallen war, wird offenbar rauer: Im Falle der Nichteinhaltung würden Sanktionen wie Buß- oder Zwangsgelder geprüft, teilt die Agentur mit.
In ihrem Umfeld ist zu hören, dass man den laxen Umgang mancher Netzbetreiber mit den Auflagen mittlerweile leid sei. Unter dem ehemaligen Grünen-Politiker Müller sei mit weniger Nachsicht zu rechnen.
Auch wenn sich die Netzlücken teilweise mit zähen Genehmigungsverfahren oder Lieferengpässen aufgrund der Chipkrise erklären lassen: Die Unterschiede zwischen den Telekomunternehmen zeigen, dass es mitunter auch am Willen mangelt. Ab einem gewissen Abdeckungsgrad gilt der weitere Netzausbau als unwirtschaftlich – und wird deshalb am liebsten vermieden.
Probleme beim Ausbau vor allem bei 1&1
In Branchenkreisen sorgen indes vor allem die Schwierigkeiten von 1&1 für Häme. Der Neueinsteiger, der bislang die Infrastruktur von Telefónica für seine Mobilfunkangebote nutzt, will die Konkurrenten mit einem besonders leistungsfähigen System angreifen.
Mithilfe des japanischen Digitalkonzerns Rakuten soll ein ultraschnelles Netz ohne Altlasten entstehen. „Unser Netz wird das modernste in Europa sein“, versprach 1&1-Boss Ralph Dommermuth im Mai im Interview mit dem Handelsblatt.
Mittlerweile fragen sich Kenner wie Beobachter, ob Dommermuth sich mit seinem Zeitplan nicht übernommen hat. Weitere Verzögerungen seien „extrem wahrscheinlich“, schätzt ein Insider. In Konzernkreisen ist etwa von „erst einer Handvoll“ Antennenstandorten die Rede, die Dommermuths Partner American Tower bislang aufgestellt habe.
Auch seine eigene Tochtergesellschaft Versatel, die für die Glasfaserversorgung der Standorte zuständig ist, soll in Verzug sein. Dabei plant Dommermuth damit, schon im kommenden Jahr die ersten 1&1-Kunden auf das neue Netz zu übertragen. Über das moderne Rakuten-Netz werden sie dann jedoch nur vereinzelt surfen und telefonieren können. Dessen Aufbau verzögert sich offenbar um mehr als ein Jahr.
1&1-Chef Ralph Dommermuth in Not
American Tower wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern. 1&1 teilte mit, dass der Netzstart von den Verzögerungen „nicht tangiert“ werde. Man werde aber in mehr Regionen als geplant vorerst weiterhin auf die Infrastruktur von Telefónica angewiesen sein. Der ambitionierte Ausbauplan verändere sich insofern, als dass die Hälfte der deutschen Haushalte, nicht schon – wie ursprünglich kommuniziert – bis 2025 erreicht werden würde, sondern erst ein bis zwei Jahre später.
Der politische Wille, einen vierten Wettbewerber im deutschen Mobilfunkmarkt aufzubauen, dürfte das Sanktionsrisiko für 1&1 dabei relativ gering halten. Die Bundesnetzagentur stellt hier auf Anfrage indes ebenfalls Strafen in den Raum. 1&1 sei mehrfach aufgefordert worden, zu seinen Ausbauplänen „konkret“ Auskunft zu geben.
Die größten Sorgen dürften Dommermuth die Probleme bei Vantage Towers machen, einem seiner wichtigsten Partner. Der britische Telekomriese Vodafone hatte sein Mobilfunkturmnetz 2019 in Vantage ausgegliedert und in Frankfurt an die Börse gebracht. Seitdem buhlt das Unternehmen um Mieter wie 1&1, um die Auslastung seiner Türme – und damit seine Rendite zu steigern. Bis zu 5000 Antennen will Dommermuth auf Vantages Infrastruktur montieren lassen.
Offenbar ist die Zusammenarbeit mitunter aufreibend. Im Umfeld der Vodafone-Tochter – die Briten halten zumindest derzeit noch über 80 Prozent der Anteile – ist seit Monaten von Missmanagement oder Ausfällen die Rede; die Fluktuation von Führungskräften gilt als auffällig. CEO Vivek Badrinath hatte im Frühjahr von „Herausforderungen“ in Sachen Lieferkette gesprochen, die laut einer Unternehmensmitteilung bis 2023 anhalten werden.
Mobilfunk: Vantage überfordert mit Ausbau bei Vodafone und 1&1
In Vantage-Kreisen ist man deshalb skeptisch, was die Erfüllung der Auflagen der Bundesnetzagentur betrifft. Das Unternehmen, heißt es dort, sei derzeit mit dem parallelen Ausbau für Vodafone und 1&1 überfordert. Der Personalaufbau dauere an. Das könnte auch erklären, weshalb sich Vodafone hinsichtlich der Erfüllung der eigenen Versorgungsauflagen relativ zugeknöpft gibt.
Vantage äußert sich dazu nicht konkret. Dommermuth werde man in diesem Jahr „erste“ Antennenstandorte bereitstellen, teilt eine Sprecherin mit. Am Plan, 1&1 „mindestens 3800 und potenziell bis zu 5000 Standorte bis Ende 2025 zur Verfügung zu stellen“, habe sich nichts geändert.
