Gefühle zeigen im Job: Warum Emotionen am Arbeitsplatz richtig und wichtig sind
Über das (fehlende) Gefühle zeigen bei der Arbeit: Ein Ehrfahrungsbericht plus Interview mit Lena Marbacher von "Neue Narrative"
Als ich 2010 in meine erste Festanstellung gestartet bin, habe ich in den 24 Monaten zuvor zwei wichtige Menschen verloren. Meine Trauer war also allgegenwärtig und ich habe sie überall mit hingenommen. Nur im Büro habe ich auf einmal gemerkt, dass dort kein Platz für meine Trauer ist. Selbst wenn ich das Thema nur am Rande erwähnte, führte das zu Irritationen und unangenehmen Situationen. Ich konnte also nicht als vollständiger Mensch zur Arbeit kommen, ein Teil von mir musste draußen bleiben. Das eine ist Arbeit, das andere Privatleben. Seitdem war ich den größten Teil der Zeit selbstständig oder habe in Unternehmen gearbeitet, in denen ich willkommen war – und zwar ganz.
Seit 2010 ist mir das Thema Emotionen und Arbeit immer mal wieder über den Weg gelaufen. Seit wir uns in einer Pandemie befinden, hat sich das extrem verstärkt.
Gefühle zeigen bei der Arbeit: Auch 2021 nicht die Regel
Warum ist es so, dass Arbeit oft noch ein emotionsfreier Raum ist? Wieso können wir im Arbeitskontext so schlecht mit (unangenehmen) Gefühlen umgehen? Warum gelten Emotionen im beruflichen Umfeld häufig weiterhin als unprofessionell? Und müssen Unternehmen einen neuen Umgang mit Gefühlen lernen, wenn sie zukunftsfähig sein wollen?
Wir haben mit einer Person gesprochen, die sich sowohl mit Emotionen als auch mit der neuen Arbeitswelt hervorragend auskennt. Lena Marbacher ist Mitgründerin von “Neue Narrative”, einem Magazin für Neues Arbeiten. Sie setzt sich für eine egofreie Wirtschaft auf Augenhöhe und für mehr Gleichberechtigung ein und glaubt, dass konsequente Selbstorganisation, Teilhabe von Mitarbeitenden und geteilte Führung der Weg dorthin sind. Und sie weint ab und zu in Meetings.
Lena Marbacher von “Neue Narrative”: Die New-Work-Expertin im Interview
VOGUE: Sie haben vor einigen Monaten einen Artikel mit dem Titel “Warum es okay ist, in Meetings zu weinen” geschrieben. Wie sind Sie auf das Thema gekommen und wie waren die Reaktionen darauf?
Lena Marbacher: Ich beschäftige mich mit diesem Thema deshalb schon lange, weil ich ein emotionaler Mensch bin. In meiner ersten Festanstellung hatten Gefühle keinen Raum. Es gab dort kein Meetingformat, in dem man sich persönlicher hätte begegnen können. Dadurch wurde ich dort auch nicht emotional. Die Konsequenz war, dass meine Bindung zu diesem Arbeitgeber gering blieb. Bei einer anderen Festanstellung habe ich dann mal aus Wut geweint. Meine Tränen haben bei den anderen zu Irritationen geführt und sie waren überfordert im Umgang mit dieser Situation. Das erste Mal habe ich das anders erlebt, als ich bei The Dive gearbeitet habe, einem Unternehmen, dass sich mit Organisationsentwicklung beschäftigt. Emotionen haben dort Raum. Jedes Meeting beginnt mit einem Check-in, der allen die Möglichkeit gibt, einen kleinen Ausschnitt ihres Befindens zu zeigen. Dass kann fröhlich, lustig, nüchtern, auch mal angespannt oder traurig sein. Ich habe dort Menschen aller Geschlechter in Meetings weinen sehen. Für mich hat das einen großen Unterschied gemacht. Ich musste nichts verbergen, was ohnehin da ist und konnte mich ehrlich zeigen. Denn, große Überraschung: Menschen sind auf der Arbeit eben keine Maschinen.
Gab es auch einen ganz konkreten Anlass für Ihren Artikel zu Tränen in Meetings?
Ich habe in einer Instagram-Story davon erzählt, dass ich in einem Meeting bei Neue Narrative geweint habe und darauf sehr viele Reaktionen bekommen. Die meisten Menschen fanden das total mutig und...konnten sich das in ihrem eigenen Arbeitskontext überhaupt nicht vorstellen. Das hat mich wirklich nachdenklich gemacht, denn in meinen vergangenen fünf Jahren Arbeitsleben, hatte ich es ja als unproblematisch erlebt. Aber offensichtlich war das eine sehr beschränkte Sicht.
Viele Menschen verbergen nach wie vor unangenehme Gefühle bei der Arbeit, deswegen habe ich diesen Artikel geschrieben. Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich. Ich habe überwiegend positive Nachrichten bekommen. Einige erzählten davon, dass es ihnen ähnlich geht wie mir, andere, dass sie sich gern zeigen würden, ihr Job das aber nicht zulasse. Und es gab auch ein paar Kommentator*innen, die der Meinung sind, dass Gefühle im Arbeitskontext nichts zu suchen haben, dass es unprofessionell sei und für umstehende Kolleg*innen schwierig.
Das vollständige Interview finden Sie hier.
Interview: Alicia Metz-Kleine