Glasfaserausbau Deutschland: Protokoll eines Internet-Desasters
Endlich kommt die Glasfaser auch in unser Haus! Doch die Freude währt kurz: Tagebuch eines zeitraubenden Projektes voller Nebenwirkungen.
19. März 2024
Da ist er also, der Startschuss, auf den wir über 15 Jahre gewartet haben. Die Deutsche Telekom schickt an alle Bewohner unseres Sechsfamilienhauses in Essen eine „wichtige Information“: Der Glasfaserausbau soll beginnen. Endlich. In anderen Ballungszentren wie Köln, Hamburg und München fingen Tochtergesellschaften von Stadtwerken mit dem Bau von Glasfasernetzen bereits zwischen 2006 und 2009 an. Diese Vorreiter konnten jedoch nicht verhindern, dass Deutschland im internationalen Vergleich einen großen Rückstand beim Glasfaserausbau hat.
Insbesondere das Ruhrgebiet, mit über fünf Millionen Einwohnern der größte Ballungsraum im Land, kommt jetzt erst dran. Dabei sind Aufwand und Rendite fast genauso hoch wie in den drei Millionenstädten. Doch die nicht miteinander kooperierenden Bauämter in den kleineren und größeren Ruhrgebietsstädten machten die Planungen so schwierig, dass vielen Netzbetreibern die Lust am Verbuddeln von Glasfaser schnell wieder vergangen ist. Für die Telekom ist das heute ein Vorteil.
Sie geht in vielen Stadtteilen jetzt als Erste in diesen Markt und muss keine Kunden bei Konkurrenten abwerben. Die Freude ist groß, dass es endlich losgeht: Wie viele Hausbesitzer sind wir überzeugt, dass wir durch den Einbau den Wert unserer Immobilie erhalten und Leerstände verhindern können.
12. April 2024
Zwei Telekom-Mitarbeiter klingeln an der Haustür und werden freudig begrüßt. Und es wird noch besser: Die Mitarbeiter locken sogar mit einem Bonus: Wer sofort unterschreibt, erhält den Hausanschluss kostenlos, spart immerhin 800 Euro.
Das Vertragsformular ist ausgefüllt, da taucht völlig unerwartet ein Problem auf: Die Eigentümerin ist älter als 85, die Regeln der Telekom sehen es nicht vor, dass sie selbst den Vertrag unterschreiben darf. Eigentlich ist das eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme, so werden Drückergeschäfte an der Haustür sicher ausgeschlossen. In diesem Fall ist es dennoch, nach mehr als 15 Jahren des Wartens, ein zeitraubendes Ärgernis: Die Telekom-Mitarbeiter ziehen ohne Vertrag wieder ab. Immerhin hinterlassen sie eine Rufnummer, bei der ich mich als Bevollmächtigter melden soll.
15. April 2024
Jetzt geht es doch ganz schnell. Am Telefon bestätigt der bevollmächtigte Sohn den Auftrag. Und die Mitarbeiter versprechen, dass der Bonus weiterhin bereitstehe, das Haus beim „aktuellen Ausbau berücksichtigt“ werde. Groß mitbekommen sollten wir davon zudem kaum etwas. Geplant ist eine „fast unsichtbare Verlegung“. Das hauchdünne Glasfaserkabel werde unterirdisch mittels Luftdruck unter unserem Vorgarten durchgeschossen. „Diese Arbeiten hinterlassen keine Spuren.“
10. Mai 2024
Ein Monat vergeht, dann steht der Termin: Mitte Juni soll die erste Besichtigung stattfinden. Ein Telekom-Techniker werde in Absprache mit uns eine grobe Planung des Übergabepunktes und des Verlaufs der Glasfaser im Haus vornehmen. Eine böse Vorahnung aber bleibt, denn die Adresse stimmt nicht ganz: Das Mehrfamilienhaus hat zwei Eingänge mit zwei Hausnummern, die 13 und die 15. Angegeben ist aber nur die 13. Telefonisch weisen wir auf den Fehler hin.
14. Juni 2024
Der Telekom-Techniker ist da. Wir zeigen ihm das Sechsfamilienhaus mit jeweils zwei Wohnungen auf jeder Etage und entscheiden, welchen Weg das Kabel vom Keller bis ins Dachgeschoss nehmen soll. Am linken Rand des Vorgartens soll „unsere“ Glasfaser von der Straße bis in den Trockenraum neben der Waschküche im Keller gelegt werden. Ein ungenutzter Kaminschacht macht es sehr einfach, von einer Etage in die andere zu kommen. Die Glasfaser erreicht so alle sechs Wohnungen.
15. Juni 2024
Per Mail erhalte ich das Protokoll des Planungsgesprächs – und wundere mich. Mit Glasfaser versorgt werden plötzlich nur die fünf Wohnungen mit der Hausnummer 13. Die Bewohnerin der sechsten Wohnung, die den gesamten Vertrag mit der Telekom ausgehandelt hatte, kommt nicht mehr vor.
17. Juni 2024
Wir legen schriftlich Widerspruch gegen die Pläne ein, bitten „inständig, das Protokoll so zu korrigieren, dass alle sechs Familien der Immobilie mit den zwei Eingängen und den zwei Hausnummern Glasfaser bekommen“.
3. Juli 2024
Trotz des Widerspruchs rücken die Bauarbeiter mit Spaten und Hacke an. Eine von der Telekom beauftragte Firma gräbt einen rund 80 Zentimeter tiefen Graben im Vorgarten neben dem Eingang der Hausnummer 13, um dort die Glasfaser bis in den Keller zu verlegen.
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4. Juli 2024
Ganz umsonst war der Widerspruch offenbar nicht. Ein Baukoordinator der Telekom erscheint zum Gespräch. Er erklärt die Erfassung beider Hausnummern in einem Projekt zunächst für technisch unmöglich. Dann schlägt er vor, unser Sechsfamilienhaus pro forma aufzuteilen: ein Fünffamilienhaus unter der Hausnummer 13 und ein Einfamilienhaus unter der Hausnummer 15. Schriftlich wird bestätigt: „Ein Glasfaser-Hausanschluss für die Hausnummer 15 wird trotzdem gebaut.“
12. August 2024
Eine weitere Baufirma der Telekom rückt an, um die Glasfaser für Hausnummer 15 zu legen. Die beiden Männer kommen aus Rumänien und verstehen weder die deutsche noch die englische Sprache. Sie wollen sofort loslegen und den Durchbruch für die Glasfaser dort vornehmen, wo wir im Keller ein Gäste-Badezimmer eingerichtet haben. Wir protestieren, zunächst erfolglos, der Vorgesetzte des Bautrupps ist nicht erreichbar, er macht gerade Urlaub. Schließlich ziehen die Männer ab.
2. September 2024
Zweiter Versuch. Eine andere Baufirma der Telekom rückt an und erklärt sich bereit, den Durchbruch ein paar Meter weiter links anzusetzen, wo sich der Heizungskeller befindet. Nicht verhindern können wir, dass in einem bisher unberührten Teil des Vorgartens ein weiterer Graben ausgehoben wird. Vom ursprünglichen umweltschonenden Plan, die Kabel mit hohem Luftdruck unterirdisch durch den Boden zu schießen, ist nie die Rede.
9. Oktober 2024
Ein Telekom-Techniker erscheint, montiert die Verteilerdosen für die Hausnummern 13 und 15. Dann drückt er mir eine kleine Dose mit 20 Metern aufgerollter Glasfaser in die Hand. Um die letzten Meter sollen wir uns selbst kümmern.
10. Oktober 2024
Ich teile der Telekom telefonisch mit, dass ich mich zur Verlegung des Kabels nicht imstande sehe. Das Unternehmen verspricht, Hilfe zu schicken. Die aber kostet extra: 250 Euro stellt die Telekom dafür am Ende in Rechnung.
4. November 2024
Der große Tag ist da. Um 13 Uhr soll die Glasfaserleitung in Betrieb genommen werden. Eigentlich sind die verbliebenen Arbeiten kein großes Ding. Die Stelle im Heizungskeller, wo die Glasfaser ins Haus kommt, liegt direkt unter dem Arbeitszimmer im Erdgeschoss. Dort wollen wir den mitgelieferten Router aufstellen. Einfacher geht es eigentlich nicht, denn die beiden Orte sind Luftlinie nur drei Meter voneinander entfernt. Doch es kommt anders: Der Telekom-Techniker ist begeistert von der Suche nach einem ungenutzten Kamin, um mit der Glasfaser vom Keller ins Erdgeschoss zu gelangen. Den findet er auch, doch der Umweg ist groß. Weit über zehn Meter legt die Glasfaser jetzt durch mehrere Kellerräume zurück, dann biegt sie in den Kamin ab, kommt in einer Ecke unseres Wohnzimmers wieder raus und legt wieder zehn Meter auf den Raufasertapeten bis ins Arbeitszimmer zurück. Kurz vor 19 Uhr, nach etwas mehr als fünf Arbeitsstunden, kommt das erste Signal im Router an. Hurra!
11. November 2024
Bei einem letzten Ortstermin folgt dann die böse Überraschung. Im Gästezimmer im Keller hängt überraschend ein geriffeltes weißes Schutzrohr mit einem nagelneuen Glasfaserkabel auf der 50 Jahre alten Wandvertäfelung. Es zeigt sich: Unangemeldet war ein Techniker vorbeigekommen, um die Glasfaser für die fünf Mieter der Hausnummer 13 zu verlegen. Das Ergebnis: ein weithin sichtbares, direkt auf die Holzvertäfelung gedübeltes daumendickes Schutzrohr. Eigentlich war eine ganz andere Route durch das Treppenhaus geplant und mit der Telekom vereinbart. Als die Techniker davon abwichen, befragten Sie dazu lediglich: die 93-jährige Hausbesitzerin – die vor Monaten noch nicht als geschäftsfähig gegolten hatte.
14. November 2024
Die Telekom schickt die offensichtlich obligatorische SMS nach Abschluss der Bauarbeiten: „Sie hatten noch keine Zeit, uns Feedback zu geben?“ Guter Hinweis.
„Unter dem Strich“, schreiben wir in einem freundlichen Brief an die dafür Verantwortlichen in der Telekom-Zentrale in Bonn, „endet das Projekt für uns als Desaster.“ Gut, wir haben endlich Glasfaser. Aber beim Verlegen lief ziemlich alles schief, was schief laufen kann.
Erstens: Unser Vorgarten wurde ohne nachvollziehbaren Grund gleich zwei Mal umgegraben, obwohl eine „fast unsichtbare Verlegung“ versprochen war. Zweitens: Die von undurchsichtigen internen Vorgaben erzwungene Aufteilung unseres Sechsfamilienhauses in ein Fünffamilienhaus und ein Einfamilienhaus führte am Ende zu einem Aufpreis fürs Verlegen in Höhe von 250 Euro. Drittens: Wir müssen mit hässlichen weißen Rohren in den Wohnräumen leben, die gar nicht erforderlich gewesen wären. Viertens: Schnell ging die Verlegung beileibe nicht, insgesamt ist seit der Zusage fast ein Dreivierteljahr vergangen.
28. November 2024
Die Telekom reagiert auf unsere Kritik, räumt ihre Fehlplanung ein und entschuldigt sich. „Es tut uns leid, dass wir Ihre Erwartungen nicht erfüllt haben. Wir werden Ihre Anregungen umsetzen, damit Sie künftig mit unserem Service zufrieden sind.“
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