„Menschen brauchen die Möglichkeit, zu zeigen, was sie können“
Bodo Janssen ist ein Visionär der neuen Arbeitswelt. In seinem neusten Buch teilt er Erfahrungen, wie Menschen mit der Unvorhersehbarkeit des Lebens konfrontiert werden – privat wie beruflich. Janssen appelliert an Unternehmen, Mitarbeitenden die Chance zu geben, Expertise zu zeigen und Frustrationen durch Zeitdruck zu vermeiden.
Bodo Janssen, Geschäftsführer der Upstalsboom-Gruppe, hat in seinem Leben große Krisen überwunden: 1998 wurde er als Student im Alter von 24 Jahren entführt – 8 Tage lang wurde er in einem der Grindelhochhäuser in Hamburg festgehalten und gefoltert, bis ihn das SEK befreien konnte. Nach der Befreiung stieg er 2005 in das elterliche Hotelunternehmen in Ostfriesland ein. Als sein Vater zwei Jahre später bei einem Flugzeugabsturz tragisch ums Leben kam, übernahm Janssen die Leitung des Familienunternehmens. Doch schlechte Bewertungen zu seinen Führungsqualitäten bei einer Mitarbeiterbefragung führten ihn für eineinhalb Jahre ins Kloster, wo er sein Entführungstrauma verarbeitete und durch die Beschäftigung mit Psychologie und Neurowissenschaften zu einem ganz neuen Führungsstil gelang.
Ein Interview von Doreen Biermann
Bodo, Du hast große Krisen durchlebt. Wie haben diese Deine Perspektive auf Führung und New Work geprägt?
Bodo Janssen: Die Krisen, die ich erlebt habe, haben das Fundament dafür geschaffen, mich überhaupt als Mensch zu entwickeln. Ich durfte erfahren, dass es zwei Möglichkeiten gibt, mit Krisen umzugehen: Man kann an ihnen zerbrechen oder wächst an ihnen. Durch die Unterstützung, die ich erfahren habe, habe ich gelernt, wie es möglich ist, an Krisen zu wachsen – das beschreibe ich als Selbsterkenntnis. Es entsteht dann, wenn Menschen sich selbst ein bisschen besser kennenlernen. Genau da schlage ich die Brücke zu New Work.
Ich durfte mich über jede einzelne Krise ein bisschen besser kennenlernen.Bodo Janssen, Hotelier und New-Work-Experte
Insbesondere zu der Intention von Frithjof Bergmann, dem Begründer der „New Work“-Bewegung, der gesagt hat, dass Menschen Arbeit als Mittel zum Zweck dafür betrachten, herauszufinden, was sie wirklich im Leben wollen. Es geht ihm immer darum, Menschen zu stärken. Menschen, die nämlich herausgefunden haben, was sie wirklich wollen, werden stärker. Man sagt ja auch: In den Krisen sind wir uns selbst am nächsten. Menschen versuchen besonders das zu schützen, was ihnen wichtig ist. Von daher waren die Krisen, jede einzelne, unglaublich wertvoll für mich. Ich durfte mich über jede einzelne Krise ein bisschen besser kennenlernen. Das entspricht für mich dem Geist von New Work.
Als Chef einer Hotelkette hast Du Dich mit der Jobsuche und der Einstellung von Mitarbeiter·innen auseinandergesetzt. Welche Tipps kannst du Jobsuchenden geben, um sich in der heutigen Arbeitswelt erfolgreich zu positionieren?
Bodo Janssen: Ich glaube, dass menschliche Skills immer mehr an Bedeutung gewinnen – gerade in Zeiten von KI. Menschliche Fähigkeiten sind eben nicht nur harte Fachkompetenzen, sondern vor allem Beziehungs- und Emotionsfähigkeit. Es geht auch darum, mit schwierigen Situationen gut zurechtzukommen. Um die Fähigkeit, den Mut und das Vertrauen, sich Herausforderungen zu stellen, statt vor ihnen zu flüchten.
Persönliche Skills, Haltungsthemen und für sich herauszufinden, was man wirklich will. Das ist das, was ich, natürlich in Ergänzung zur Fachkompetenz, voranstellen würde. Bei der Jobsuche würde ich als Bewerber sehr darauf achten, dass ich die Möglichkeit bekomme, das, was mir als Mensch gerecht wird, auch einbringen zu dürfen und umsetzen zu können.
Wenn ich mit unseren Bewerbern spreche und sie frage „Warum möchtest du deinen Job wechseln?“, waren die vier Antworten:
„Ich möchte wieder mit Freude zur Arbeit gehen können“,
„Ich möchte wieder einer Aufgabe oder einem Job nachgehen, der nicht nur meiner Qualifikation, sondern auch meiner Persönlichkeit gerecht wird“,
„Ich möchte nicht nur fertig werden müssen, sondern auch die Chance und Zeit dafür zu bekommen, etwas wirklich gut machen zu dürfen“ und
„Ich möchte aus dem Hamsterrad austreten und nicht immer hetzen müssen“.
Das allein sind vier Dinge, die sich Bewerber wünschen. Deswegen würde ich den Unternehmen, gerade in diesen herausfordernden Zeiten, immer diese Fragen stellen:
Wie werdet ihr nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Menschen, die hier arbeiten, gerecht?
Wie helft ihr den Mitarbeitern dabei, wie ermutigt ihr die Menschen, die Herausforderungen im Arbeitsalltag oder im Leben anzugehen?
**Knapp 44.000 offenen Stellen für Fachkräfte in Hotel- und Gaststättenberufen stünden nur gut 29.000 entsprechend qualifizierte Arbeitslose gegenüber, hat das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im August 2023 berichtet.**Welche Ansätze und Maßnahmen empfiehlst Du demnach Hotels und Gastgewerbeunternehmen, um talentierte Mitarbeiter·innen anzuziehen, zu halten und zu fördern?
Bodo Janssen: Da komme ich wieder darauf zurück: Rahmenbedingungen schaffen, die es den Mitarbeitern möglich machen, ihre Arbeit gut zu machen. Der ausgebildete Sommelier bekommt gar nicht mehr die Chance, seine Qualifikation zeigen zu können, weil er permanent damit beschäftigt ist, Teller zu schleppen. Menschen brauchen die Möglichkeit, zu zeigen, was sie können: Und nicht an Fleiß, sondern Qualifikation.
Bei uns im Hotel haben wir beispielweise die Auslastung vorrübergehend reduziert und dadurch das Verhältnis zwischen Gast und Mitarbeiter verändert. Damit haben die Mitarbeiter wieder Zeit für den Gast und können einen guten Service anbieten. Das tat nicht nur den Gästen, sondern auch den Mitarbeitern gut. Menschen werden frustriert, wenn sie ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden können, weil die Zeit nicht reicht und permanent unter Druck stehen.
Ich erlebe sogar, dass Menschen bereit sind, Gehaltseinschränkungen hinzunehmen, nur für die Möglichkeit, sich als Mensch weiterentwickeln zu können.Bodo Janssen, XING Insider
Inwiefern können die Prinzipien von New Work und kooperativer Führung speziell in Hotels und Gastgewerbeunternehmen angewendet werden?
Bodo Janssen: Es ist erstmal wichtig, ein gemeinsames Verständnis von New Work zu gewinnen. Häufig erlebe ich, dass New Work mit Bequemlichkeit oder zeitgemäßen Menschenmethoden verwechselt wird. Am besten das, was der Begründer von New Work als Intention voraussieht: Menschen zu stärken. Im zweiten Schritt kann man dann überlegen, was man im Unternehmen umsetzen kann. Das hat weniger mit der Arbeit an sich zu tun, sondern mehr mit den Infrastrukturen, die wir schaffen, damit die Menschen die Möglichkeit haben, sich besser kennenzulernen.
Bei uns im Unternehmen haben wir eine Infrastruktur bestehend aus Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen. Diese hilft den Menschen dabei, sich folgende Fragen zu beantworten: Wer bin ich überhaupt? Was kann ich? Und was will ich? Das ist das Entscheidende und eine Währung, die weit über den Euro hinausgeht. Ich erlebe sogar, dass Menschen bereit sind, Gehaltseinschränkungen hinzunehmen, nur für die Möglichkeit, sich als Mensch weiterentwickeln zu können.
New Work beinhaltet oft Flexibilität und Selbstverantwortung. Wie können Führungskräfte ihre Teams dabei unterstützen, diese neuen Arbeitsweisen zu adaptieren, vor allem in Branchen, die traditionell hierarchisch organisiert sind?
Bodo Janssen: Ich glaube, die Hierarchie ist gar nicht so entscheidend, sondern die Haltung der einzelnen Führungskraft: Sind meine Mitarbeiter Mittel zum Zweck, dafür, dass ich Karriere mache? Oder bin ich als Führungskraft Mittel zum Zweck, dafür, dass meine Mitarbeiter sich entwickeln und Karriere machen können? Es geht darum, mit welcher Absicht die Führungskraft führt. Wenn die Führungskraft ein ehrliches Interesse daran hat, die Mitarbeiter zu entwickeln und stark werden zu lassen, wird sich das immer positiv auf das gesamte Team auswirken.
In Deinem Buch „Das neue Führen“ sprichst Du über mehr Teilhabe und Verantwortung für alle im Unternehmen. Wie können Unternehmen sicherstellen, dass alle Mitarbeiter aktiv am Entscheidungsprozess teilnehmen können, unabhängig von ihrer Position?
Bodo Janssen: Das hat tatsächlich mit Methodik, aber auch mit einem Gefühl zu tun. Wann sind Menschen bereit, sich einzubringen? Wenn sie das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Es gibt ja die Aussage: Jeder ist ersetzbar. Das erstickt es sofort im Keim. Wenn jeder ersetzbar ist, brauchen Menschen sich auch nicht einbringen. Aber wenn jemand sagt „auf dich kommt es an“ oder „wir brauchen dich, damit es gut wird“, dann wird dieser Mensch über sich hinauswachsen und sich einbringen.
Bei uns arbeiten wir beispielweise holokratisch, nicht demokratisch. Es wird zwar gewählt, wer die Entscheidungen trifft, aber dieser Mensch, trifft die Entscheidungen auch allein – allerdings nicht willkürlich. Der Standard, wie wir Entscheidungen treffen, ist im gesamten Unternehmen gleich: Indem wir aus Betroffenen Beteiligte machen, indem wir sie einfach fragen. Wie ist deine Meinung? Welche Chancen und Risiken siehst du? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Diese Antworten werden bei der Entscheidung entsprechend gewürdigt.
Ein weiteres Kapitel widmest Du der „Toxischen Führung“. Woran erkenne ich, dass ich einem toxischen Führungsstil unterliege, und was empfiehlst Du Menschen, die darunter leiden?
Bodo Janssen: Das selbst herauszufinden, ist gar nicht so einfach. In der Regel wird es deutlich durch verschiedene Eigenschaften und Verhaltensweise, wie zum Beispiel: Arroganz, Menschen, die andere klein machen, um selbst größer zu sein, übermäßiges Maß an Bürokratie, Intransparenz schaffen, Menschen kränken und mit Sprache zerreißen, Mitarbeiter ignorieren, besserwisserisch sein. Alle Verhaltensweisen, die eigentlich Unsicherheit und Angst in der Quelle haben. Das sind alles Dinge, die Menschen krank machen. Das merkt man daran, wenn es jemandem in der Gegenwart einer Führungskraft schlecht geht. Wenn man mit einem schlechteren Gefühl aus der Begegnung rausgeht, als man reingegangen ist. Dann weiß man: da stimmt etwas nicht.
Toxische Führung beinhaltet aber nicht nur Verhalten, sondern auch die Rahmenbedingungen. Wichtig ist jedoch, dass Führungskräfte nicht für die Zufriedenheit der Mitarbeiter verantwortlich sind. Denn: jeder Mensch trägt auch ein bisschen Gift in sich. Vielleicht der Streit mit dem Freund, eine kranke Mutter, die gepflegt werden muss oder schlechte Kindheitserfahrungen. Jeder trägt etwas in sich, was er auch mit auf die Arbeit bringt und worauf die Führungskraft keinen Einfluss hat, das sich das ändert.
Und was kann ich dennoch tun, um zufriedener zu werden?
Bodo Janssen: Es geht um das Bewusstsein, zu verstehen, dass man Menschen nicht ändern kann. Jeder muss gegenüber dem Verhalten anderer Menschen eine Resilienz entwickeln. Das geht über die Selbsterkenntnis. Mein Führungsziel aus der stoischen, ethischen Philosophie ist: Innere Zufriedenheit jenseits äußerer Faktoren. Menschen zu unterstützen, unabhängig vom Verhalten anderer Menschen. Anderen Menschen nicht die Macht über die eigene Zufriedenheit geben und durch die Krisen hindurch. Das hat mit Arbeit an sich selbst zu tun. Führung besteht darin, die Menschen aus der Opferrolle hinaus in die Selbstbestimmung zuführen.
Denn bessere Arbeitsbedingungen gibt es woanders schon, aber das Verhalten eines anderen Menschen als Kündigungsgrund zu nehmen, finde ich zu kurz gedacht.XING Insider Bodo Janssen
Welche konkreten Tipps gibst Du Mitarbeiter·innen, wenn sie unzufrieden sind und kündigen wollen? Welche Kriterien sind für nachvollziehbar, welche nicht?
Bodo Janssen: Es ist ganz wichtig, dass sich jeder einzelne bewusst macht, dass die Führungskraft, die als einer der häufigsten Gründe für einen Jobwechsel genannt wird, eben kein adäquater Grund für eine Kündigung ist. Weil: Die perfekte Führungskraft gibt es nicht. Egal wo man hingeht, es wird immer jemanden geben, an dem man sich stößt – ob Kollegen oder Vorgesetzte. Anstatt davor zu flüchten, möchte ich dazu ermutigen, zu lernen, damit umzugehen. Ansonsten sind Menschen ihr ganzes Leben lang auf der Flucht.
Nachvollziehbare Kündigungsgründe sind für mich unzureichende Rahmenbedingungen. Wenn die Arbeitsbedingungen die Gesundheit des Arbeitenden beeinträchtigen. Dass das, was Menschen lieben, nicht mehr gut machen können. Harte Faktoren, die es einfach nicht mehr möglich machen, die Arbeit gut zu machen. Denn bessere Arbeitsbedingungen gibt es woanders schon, aber das Verhalten eines anderen Menschen als Kündigungsgrund zu nehmen, finde ich zu kurz gedacht.
Dein Buch beschreibst Du als „Wegweiser für die Zeitenwende“. Kannst Du Beispiele nennen, die Führungskräfte und ihre Teams inspirieren können, sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten?
Bodo Janssen: Wir Menschen leben in unvorhersehbaren Zeiten: Wir wissen heute nicht, was morgen passiert. Die Welt, in der wir uns bewegen und, die uns früher viel Halt gegeben hat, die verliert diesen Halt. Wir verlieren den Halt, in einer Welt, die nicht mehr zu steuern und zu kontrollieren scheint. Also besteht die Aufgabe der Führungskraft nicht nur darin, für äußeren Halt zu sorgen, da ihr das irgendwann nicht mehr gelingen wird. Sondern sie muss dafür sorgen, dass ein innerer Halt entsteht.
Führungskräfte waren sehr lange damit beschäftigt, den Kontext zu bearbeiten. Jetzt sind sie aber dazu aufgefordert, den Menschen zu helfen, mit dieser Situation zurecht zu kommen. Mir ist wichtig, zu betonen: Es geht nicht um richtig oder falsch. Führung ist immer davon abhängig, mit welcher Absicht, in welchem Kontext und welche Menschen man führt. Deswegen sollten sich Führungskräfte folgende zwei Fragen stellen:
Passt mein Führungsbild, das ich hatte und habe, noch in die Zeit?
Hilft uns das, was ich als Führungserfolg für mich gefunden und beschrieben habe, die Probleme dieser Zeit zu lösen?
Welchen einen Ratschlag gibst Du den Leser·innen, um in der heutigen Arbeitswelt erfolgreich zu sein und gleichzeitig eine erfüllende Work-Life-Balance zu finden?
Bodo Janssen: Ich würde mir abends die Frage stellen: Was haben andere davon gehabt, dass es mich gibt?
Zum Buch: „Das neue Führen“
Noch nie waren Menschen mit der Unvorhersehbarkeit des Lebens so konfrontiert wie heute. Nicht nur privat, sondern auch beruflich. Führungsgräfte sind gefordert: sie müssen wirtschaftliche Zwänge und Probleme genauso abfedern wie die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter·innen. Wie gewinnen Führungskräfte die Gelassenheit und Klarheit, die sie jetzt brauchen, um Einzelne und die Gemeinschaft zu stärken?