Resilienz in der Organisation: Warum deutsche Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen werden
Die Corona-Pandemie wurde zu einem unfreiwilligen Stresstest für deutsche Unternehmen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Microsoft Deutschland wollten in einem Resilienz-Check herausfinden, ob deutsche Betriebe über ausreichend Resilienz verfügen, um die Corona-Krise gut zu bewältigen. INQA-Botschafter und Mitglied des Präsidiums der BDA Dr. Gerhard F. Braun spricht im Interview über wesentliche Erkenntnisse und die Relevanz der Digitalisierung in Krisenzeiten.
Herr Braun, haben deutsche Unternehmen den Resilienz-Check bestanden?
Ja, das würde ich sagen. Der Resilienz-Check 2020 ist eine repräsentative Umfrage deutscher Beschäftigter, die von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass die meisten Firmen in Deutschland gut auf die Krise reagiert haben: Die Unternehmen wurden flexibler, trieben die Digitalisierung voran, führten neue Arbeitsformen ein und investierten in die Software-Ausstattung und IT-Hardware. Laut der Studie sind Unternehmen und Beschäftigte in Deutschland heute besser ausgestattet als vor der Krise. Was aber viel wichtiger als die Technik ist: Die Umfrage zeigt, dass die deutschen Beschäftigten eine hohe Innovationsbereitschaft haben. 80 Prozent der Befragten haben die Notwendigkeit von kontinuierlicher Weiterbildung erkannt und 60 Prozent setzten sich gerne mit neuen Arbeitsweisen und Technologien auseinander. Das hat mich besonders gefreut.
Ich bin zuversichtlich, dass deutsche Unternehmen aus der Krise gestärkt hervorgehen werden.Mitglied des Präsidiums der BDA Dr. Gerhard F. Braun
Sie sprechen in der Studie von fünf Resilienz-Faktoren. Welche sind das?
Die fünf Resilienz-Faktoren haben mit technischen und menschlichen Elementen zu tun:
Anpassungsfähigkeit der Organisation: Wie schnell kann die Arbeit im Krisenfall umgestellt werden? Kann die Belegschaft im Homeoffice arbeitsfähig bleiben?
Klarheit über Geschäftsprozesse und Strategie: Was will das Unternehmen? Was sind die langfristigen Ziele? Wie erfolgt Innovation?
Einstellung der Beschäftigten: Sind die Beschäftigten bereit, sich auf Neues einzulassen? Sind sie neugierig und experimentierfreudig? Haben sie Spaß an neuen Arbeitsweisen?
Führung und Vertrauen: Werden klare Ziele definiert? Schafft die Führung ein vertrauensvolles Betriebsklima?
Agile IT: Welche Maßnahmen wurden im Zuge der Corona-Krise ergriffen? Hat das Unternehmen in digitale Infrastruktur investiert? Sind die Beschäftigten gut mit den notwendigen Geräten ausgestattet?
Resilienz – oder auch Widerstandskraft – wird oftmals mit der psychischen Belastbarkeit des Einzelnen in Verbindung gebracht. Sie sprechen von einer, die Organisation als Ganzes betreffenden Eigenschaft. Welcher Zusammenhang besteht zwischen organisationaler Resilienz und Digitalisierung?
Resilienz betrifft sowohl die Beschäftigten als auch die Unternehmen. Beides muss man im Blick behalten. Je besser die Beschäftigten in der Lage sind, psychische Belastungen zu meistern, desto resilienter sind natürlich auch die Unternehmen, in denen sie arbeiten. Darüber hinaus gehören Resilienz und Digitalisierung zusammen. Es ist seit Jahren wissenschaftlich belegt: Je besser die Unternehmen digital aufgestellt sind, desto besser kommen sie durch die Krise. Und viele Geschäftsmodelle sind natürlich überhaupt nur möglich, wenn eine digitale Grundausstattung vorhanden ist.
Sind denn die Beschäftigten in Deutschland offener gegenüber Transformationsprozessen und Digitalisierung geworden?
Die Innovationsbereitschaft der Beschäftigten ist möglicherweise der entscheidende Faktor überhaupt, wenn es um Krisenmanagement geht. Noch vor zehn Jahren waren viele Mitarbeiter*innen skeptisch gegenüber neuen Lösungen. Doch in den letzten Jahren hat ein Generationswechsel bei den Belegschaften stattgefunden. Jüngere Beschäftigte begreifen Veränderung oftmals als eine Chance und freuen sich auf Neues. Sie sind bereit, Dinge auszuprobieren und eigene Lösungen zu erarbeiten. Die Krise hat den Wert solcher Einstellungen offenkundig gemacht. Das bedeutet auch, dass die Unternehmensführung das Thema Weiterbildung ernsthaft angehen muss. Der Umgang mit digitalen Technologien bedarf neuer Kompetenzen, die in Fortbildungen gefördert werden müssen.
Welche weiteren weichen Faktoren sind wichtig in der Krisenbewältigung?
Gute Führung ist ganz entscheidend für den Unternehmenserfolg und für das Krisenmanagement. Gute Führungskräfte fördern eine unternehmerische Kultur innerhalb des Unternehmens. Die Mitarbeiter*innen sollen über Freiräume verfügen, um eigene Ideen einbringen und neue Arbeitswesen ausprobieren zu können. Je vertrauensvoller der Umgang miteinander, desto erfolgreicher sind die Unternehmen. Ein weiterer weicher Faktor ist die Flexibilität von Belegschaften und Prozessen.
Was müssen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mitbringen, um die Krise zu meistern und für einen echten Neustart zu nutzen?
Die Unternehmensführung muss erkennen, wo die Chancen und Risiken in der aktuellen Krise liegen und die Mitarbeiter*innen darauf einstellen. Das Mindset der Belegschaft sowie die technische Ausstattung spielen eine wichtige Rolle. Und was heute besonders wichtig ist: Flexibilität. Da haben gerade kleine und mittlere Unternehmen einen klaren Vorteil.
Können KMU besser auf die Krise reagieren als Großunternehmen?
Natürlich haben große Unternehmen mehr Ressourcen, um in Hardware und Software zu investieren. Doch die Arbeitsprozesse in großen Konzernen sind oft kompliziert und Genehmigungswege lang, was oftmals Innovationen verhindert. Da haben kleine und mittlere Betriebe den Vorteil, weil ihre Prozesse viel flexibler sind. Sie können viel schneller auf Entwicklungen auf dem Markt reagieren und neue Prozesse umsetzen, ohne auf lange bürokratische Genehmigungsketten angewiesen zu sein. Aber grundsätzlich spielt die Betriebsgröße keine entscheidende Rolle in der Bewältigung der Krise. Viel wichtiger sind: das Geschäftsmodell, der Markt, in dem man sich bewegt, und die Art der Produktion oder Dienstleistung, die erbracht wird.
In der Studie ist vom Bounce Forward die Rede. Was steckt hinter diesem Begriff?
Resilienz ist nicht nur die Fähigkeit, nach einer Krise zum Ausgangslevel zurückzukehren (Bounce Back), sondern auch die Möglichkeit, nach der Krise besser dazustehen als vorher (Bounce Forward). Diese Entwicklung konnten wir bereits nach dem ersten Lockdown im Frühjahr beobachten. Als die Geschäfte und Betriebe wieder geöffnet wurden, haben sich viele Unternehmen besser entwickelt als erwartet. Natürlich wurde dieser Prozess durch den weiteren Lockdown gebremst. Ich bin aber zuversichtlich, dass deutsche Unternehmen aus der Krise gestärkt hervorgehen werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Braun!
Das Interview erschien zuerst bei INQA.de, einem Magazin der Initiative Neue Qualität der Arbeit des BUndesministeriums für Arbeit und Soziales. INQA begleitet Unternehmen, Verwaltungen und ihre Beschäftigten im Wandel der Arbeitswelt. Sie fördert eine gesunde, sichere wie erfolgreiche Arbeitskultur, von der Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen profitieren.
Service-Info: Weitere News zur Arbeitswelt der Zukunft und Spannendes aus dem Bereich New Work gibt es auch in unserem NWX Magazin.