Schlafexperte verrät: „Der ideale Mittagsschlaf dauert 26 Minuten“
Dieses Mal sprechen wir mit dem Perfomance- und Recovery-Experten Chris Surel. Chris coacht weltweit Menschen und Unternehmen dabei, eine erholsame Schlafroutine zu erlangen – und somit frischer und vitaler in Job und Alltag zu sein.
Chris, wie wichtig ist Schlaf für unsere Produktivität und Effizienz im Job?
Extrem wichtig. Auch wenn es viele nicht glauben wollen. Ich selbst habe das Thema Schlaf für lange Zeit ignoriert und für Zeitverschwendung gehalten. Doch im Schlaf passieren ganz wichtige Prozesse in unserem Körper. Die Wissenschaft dazu ist mittlerweile sehr weit und kann sehr genau messen, welchen Anteil Schlaf für die körperliche und geistige Erholung hat. Beispielsweise gibt es eine Studie, die zeigt: Wenn wir über 18 Stunden wach sind, haben wir die kognitiven Fähigkeiten eines Betrunkenen. Das wirkt sich natürlich auf die Produktivität und Effizienz im Job aus. Und kein Unternehmen würde betrunkene Mitarbeitende gutheißen – aber leider gibt es immer noch viele Unternehmenskulturen, in denen wenig Schlaf als Zeichen von Fleiß und Committment angesehen wird.
In einer Phase deines Lebens hast du über ein Jahr lang nur 2 Stunden am Tag geschlafen. Was macht das mit Körper und Seele?
Das ist ein schleichender Prozess. In dieser Zeit habe ich mir selbst zwei Jobs zugelegt: Tagsüber war ich Manager in einem mittelständischen Unternehmen – und abends habe ich an meinem eigenen Start-up gearbeitet. Damals war mein großer Irrglaube, an Schlaf sparen zu können, um diese Doppelbelastung zu schultern. Mit genug Leidenschaft und viel Ausschüttung des Stresshormons Cortisol kann man sich schon eine ganze Zeit mit wenig Schlaf durchkämpfen. Der Mensch ist stark. Aber die Effekte sind schleichend. Als ich eigentlich wieder Zeit hatte, genug zu schlafen, konnte ich es nicht mehr. Ich habe in dieser Zeit eine nachhaltige Schlafstörung entwickelt. Körperlich war ich viel anfälliger für Krankheiten. Auch seelisch war ich an einem absoluten Tiefpunkt. Erst später habe ich gelernt, wie wichtig Schlaf auch für die geistige Erholung ist. In der sogenannten REM-Schlafphase findet die u.a. emotionale Verarbeitung der Tagesereignisse statt. Wenn wir diese Schlafphase nicht haben, weil wir zu kurz schlafen, leidet die Selle, es können Angstzustände entstehen, Burn-out und Depressionen.
Sport ist gesund und notwendig, um tief zu schlafen.Schlafexperte Chris Surel
Warum leiden heute immer mehr Menschen an Schlafproblemen?
Ich denke, wir müssen hier etwas differenzieren. Die erste Frage lautet: Was empfinden Menschen als Schlafproblem? Manchmal kommen Klienten zu mir, die erst nach 20 Minuten im Bett einschlafen. Das ist noch kein Schlafproblem, sondern ganz normal. Es ist sogar umgekehrt: Wenn wir nur sehr kurze Zeit zum Einschlafen benötigen, kann das ein Anzeichen für Übermüdung und Mangel an Erholung sein. Wenn wir dagegen sehr häufig wach werden oder Stunden brauchen, um einzuschlafen – dann können wir von einem Schlafproblem sprechen. Und das passiert tatsächlich immer häufiger. Zweitens, zeigen Studien: In unserer schnelllebigen Gesellschaft schlafen wir Menschen einfach weniger, als noch vor 40 Jahren. Und das macht natürlich etwas mit uns.
Hat die verstärkte digitale Mediennutzung einen Anteil daran?
Das ist sicherlich ein Grund – aber ich lasse dieses Argument nicht so gerne als Ausrede gelten. Ich bin selbst ein großer Freund von Medienkonsum, ich bin viel am Smartphone und am Laptop. Und für viele Menschen ist es einfach nicht realistisch, sich beispielsweise ab 17 Uhr ein Handyverbot zu verordnen. Aber es gibt dennoch Strategien, wie wir unseren Medienkonsum gestalten können. Konsumieren wir kurz vor dem Schlaf Medien, die uns emotional aufwühlen und Cortisol ausschütten, werden wir schwieriger einschlafen können. Ich rate zum Beispiel davon ab, abends E-Mails von der Arbeit zu checken. Wenn wir aber eine entspannte Doku oder ähnliches anschauen, dann können wir hinterher auch ganz normal einschlafen. Also sollten wir den Medienkonsum differenziert betrachten und nicht per se verteufeln.
Tipps, Tricks und Tools: Was kann ich tun, um meine Schlafprobleme zu lösen und erholsamer zu schlafen?
Auch hier gibt es nicht DIE EINE Lösung. Aber nehmen wir mal Sport am Abend: Sport ist gesund und notwendig, um tief zu schlafen. Allerdings sollten wir ca. drei Stunden vor dem Schlafen keine sportlichen Aktivitäten ausführen, die unseren Puls über 125 Schläge pro Minute hochtreiben. Empfehlenswerter sind ruhige Übungen: leichtes Joggen, Spazierengehen oder Yoga. Die intensiven Einheiten, wie Sprints, Gewichtheben oder Crossfit sollten besser in der ersten Tageshälfte stattfinden.
Gibt es eine ratsame Tagesroutine für erholsameren Schlaf?
Ja, einen Tagesablauf mit viel Bewegung. Gerade in dieser Pandemie- und Home-Office-Zeit bewegen wir uns viel weniger als sonst. Es ist wichtig, dass wir uns dennoch eine Routine schaffen und uns regelmäßig bewegen. Alle 50 Minuten sollten wir uns vom Arbeitsplatz erheben und ein wenig in unserer Wohnung oder herumlaufen oder eine Runde um den Block drehen. Viel Trinken hilft auch, weil wir dadurch öfter aufstehen und zur Toilette gehen. Es sind kleine Dinge, die für eine Routine mit mehr Bewegung sorgen – und dafür, dass wir abends besser schlafen können. Und daran arbeite ich auch mit meinen Klienten: Wir schaffen eine passende, individuelle und schlaffördernde Routine.
Welche Rolle spielt Ernährung für die Erholung und den Schlaf?
Eine sehr große Rolle – und zwar in vielfachen Dimensionen. Es sowohl wichtig, was wir essen, als auch, wann wir essen. Und: wann wir nicht essen. Aber der Reihe nach. Wir müssen unserem Körper die Bausteine geben, die er braucht, um die Schlafprozesse zu unterstützen. Es gibt ein Schlafhormon, das Melatonin. Melatonin wird u.a. aus Tryptophan, einer essentiellen Aminosäure, hergestellt, die unser Körper nicht selbst produzieren kann. Darum müssen wir Proteine aufnehmen, die für die Tryptophan-Produktion nötig sind. Kohlenhydrate dagegen sollten wir eher in der ersten Tageshälfte konsumieren, weil sie eine negative Auswirkung auf unsere Schlafarchitektur haben. Zum Thema Timing gibt es auch eine Daumenregel: abends sollten wir mindestens drei Stunden vor dem Schlafen nichts mehr essen.
Müde am Arbeitsplatz: Was können wir tun, um mehr Energie im Job zu haben? Gibt es im Home-Office andere Strategien als im Büro?
Wir hatten das Thema Home-Office ja gerade schon angesprochen. Bewegung und eine gesunde Ernährung sind immer hilfreich. Zuhause haben wir die Möglichkeit, wesentlich gesünder zu essen, als in so mancher Unternehmenskantine. Was ich auch empfehle, ist Mittagsschlaf – auch in der Pause am Arbeitsplatz. Das ist für viele im Büro noch ungewohnt. Jetzt im Home-Office ist die Hemmschwelle aber niedriger. Sich für gut 20 Minuten hinzulegen, fördert die Erholung, das Wohlbefinden und die Produktivität.
Der Power Nap: Wie lang sollte der schnelle Mittagsschlaf im Job dauern?
Der ideale Mittagsschlaf dauert 26 Minuten. Nach 26 Minuten besteht die Gefahr, dass wir in die erste Tiefschlafphase fallen. Und wen wir in dieser Phase vom Wecker geweckt werden, dann wachen wir schlaftrunken und gerädert auf. Wenn Menschen sagen, Mittagschlaf sei nichts für Sie, dann immer, weil sie zu lange schlafen. Selbst, wenn wir eine Stunde Mittagspause haben, sollten wir nur 26 Minuten schlafen. Und noch ein kleiner Tipp: Vor dem Mittagsschlaf eine Tasse Kaffee trinken. Koffein braucht 20 bis 25 Minuten, um im Körper zu wirken. Wenn wir nach 26 Minuten Power Nap aufwachen, sorgt das Koffein für einen Extraschub – und wir sind topfit am Nachmittag. Aber es geht auch ohne den Kaffee davor.
Wie gehen Unternehmen in Deutschland mit dem Thema Schlaf und Ruhe ihrer Mitarbeitenden um?
Es gibt schon noch einiges zu tun. Ich beobachte aber, dass das Thema immer relevanter für Unternehmen wird. Interessanterweise sind das häufig Unternehmen, die auch am Markt erfolgreich sind. Die Führungskräfte sind oftmals offener für die wissenschaftlichen Grundlagen zum Thema Erholung und gehen zunehmend auch selber mit gutem Beispiel voran. Sie fördern Schlaf im Unternehmen und nehmen somit auch den Mitarbeitenden die Hemmschwelle.
Das Thema Schlaf gehört damit auch ganz klar zum Thema New Work. Moderne Unternehmen wie Google haben sogenannte „Napping Pots“, also Schlafkabinen für Mitarbeitende. Generell sind innovative Firmen solchen neuen, auf Schlaf und Erholung basierten Konzepten aufgeschlossener als die traditionellen. Denn sie haben verstanden, was im Leistungssport schon immer Gang und Gebe war: Wer Hochleistung bringt, benötigt immer auch Erholungsphasen. Das Bild des Workaholics, der auch mal eine Nacht im Büro durcharbeitet, wirkt da fast schon altmodisch.
Welche Rolle spielen Führungskräfte für die Erholung und Performance ihrer Mitarbeitenden?
Sie haben auch hier eine klare Vorbildfunktion. Die Führungskraft lebt Werte vor. Wenn die Führungskraft selbst keine E-Mails mehr um 22 Uhr verschickt und eine Antwort erwartet, ist das natürlich einfacher für die Mitarbeitenden. Auch meine Arbeit mit Klienten ist einfacher, wenn Führungskräfte und das gesamte Team gemeinsam an einem Strang ziehen und die Wichtigkeit der Erholung verstehen. Auch bei der Gestaltung von Ruheräumen ist es in der Regel für die Mitarbeiter förderlicher, wenn die Geschäftsführung wirklich dahintersteht – und nicht jede Person mit einem strengen Blick bestraft, sobald sie sich diesen Räumen nur nähert. Je nachdem, wie die Führung mit dem Thema Erholung und Performance umgeht, beeinflusst das natürlich die Organisationskultur.