Selbstbewusst ins Jahresgespräch: Mit diesen neun Tipps holst du für dich am meisten raus
Bammel vor dem Jahresgespräch? Karriere-Coach Ragnhild Struss verrät, wie der Dialog mit deiner Führungskraft auf Augenhöhe gelingt.
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Frage der Woche
Mein Jahresgespräch steht an – wie bereite ich mich inhaltlich darauf vor, und worauf sollte ich im Dialog mit meiner Führungskraft unbedingt achten?Marie, XING Nutzerin
Liebe Marie,
in vielen Organisationen stellen Jahresgespräche gefühlt die einzige Möglichkeit dar, sich mit der Führungskraft über die eigene Entwicklung im Unternehmen auszutauschen. Daher ist der Druck immens, und diese Termine werden selten als eine besonders angenehme Veranstaltung empfunden. In unseren Beratungen erfahren wir immer wieder, wie angstbesetzt das Thema sein kann und welches Optimierungspotenzial noch besteht.
Dabei ist das Jahresgespräch eine tolle Chance. Deshalb gebe ich aus meiner Perspektive als Führungskraft einerseits und Karriereberaterin andererseits gern Tipps, was bei derartigen Gesprächen zu beachten ist, sowohl inhaltlich als auch zwischenmenschlich.
Die folgenden neun Hinweise lassen sich ebenso im laufenden Tagesgeschäft anwenden – generell gilt: Wenn du etwas mit deiner Führungskraft besprechen willst, sei mutig und geh auf sie zu, sprich an, was dir auf dem Herzen liegt und teile mit ihr Ideen und Vorstellungen von deiner Arbeit sowie eurer Zusammenarbeit.
1. Austausch auf Augenhöhe: Führungskräften selbstbewusst begegnen
Ein Jahresgespräch sollte auf Augenhöhe stattfinden – auch wenn unterschiedliche Hierarchieebenen aufeinandertreffen. Denn leider fällt es Mitarbeiter*innen dadurch häufig schwer, ihrer Führungskraft selbstbewusst zu begegnen, dass der sogenannte „authority bias“ wirkt: ein klassischer Denkfehler, der uns Autoritätspersonen gegenüber tendenziell angepasst und unterwürfig verhalten lässt. Es lohnt sich, das Phänomen zu kennen und zu reflektieren, denn dieser Automatismus kann beiden Parteien schaden: Mitarbeitende verkaufen sich durch eine selbstwertmindernde Haltung unter Wert und Vorgesetzte verlieren wichtige Sparringspartner für einen konstruktiven Austausch.
Wer sich nur mit Menschen umgibt, die die eigene Meinung bestätigen und einem nach dem Mund reden, wird sich nicht weiterentwickeln und verpasst die Chance, wertvolles Potenzial an Wissen und Ideen auszuschöpfen.
Daher sind auch Führungskräfte dankbar, wenn kompetente und eigenverantwortliche Mitarbeiter*innen sich trauen, für ihr Potenzial einzustehen, auch mal zu widersprechen oder einen ungewöhnlichen Standpunkt zu vertreten. Und für das eigene Selbstwirksamkeitserleben (also die Erfahrung, durch die persönlichen Kompetenzen das eigene Leben aktiv gestalten zu können) ist es allemal wichtig, für sich selbst als potenzialstarke Person einzustehen, statt ein Hierarchiegefälle zu einer reduzierten Selbstpräsentation führen zu lassen.
2. Eine gute Vorbereitung ist unerlässlich für ein erfolgreiches Gespräch
Im besten Fall findet ein Austausch zwischen dir und deiner Führungskraft nicht nur einmal im Jahr statt, sondern regelmäßig im laufenden Arbeitsprozess als selbstverständliches gegenseitiges Feedback. Falls das noch nicht der Fall ist, gewinnt das Mitarbeiterjahresgespräch umso mehr an Bedeutung.
Eine gute Vorbereitung – am besten schriftlich und zusätzlich im Gespräch mit einer vertrauten Person – ist hier unerlässlich, sie dient nicht nur als Chance, deiner oder deinem Vorgesetzten zu zeigen, dass du diese Form des Austauschs ernst nimmst, Interesse daran hast, dich und deine Arbeit weiterzuentwickeln und dir Gedanken über deinen Beitrag zum Unternehmensziel machst, sondern auch, um die Ideen und Vorstellungen von deiner Arbeit sowie eurer Zusammenarbeit sichtbar zu machen.
Dafür ist es entscheidend, dass du dir selbst über deine eigene Job-Person-Passung klar wirst, dass du dich gut kennst und auf Basis deiner Persönlichkeit sicher formulieren kannst, was du an deinem Job schätzt, was dir weniger gefällt, wo deine beruflichen Stärken liegen, was du an dir entwickeln und was du an den bestehenden Umständen und Bedingungen deiner Stelle verändern oder verbessern möchtest.
Folgende Fragen helfen dabei:
Welche Talente hast du?
Welche beruflichen Stärken konntest du daraus entwickeln?
Was schätzen deine Kolleginnen und Kollegen, deine Kundinnen und Kunden an dir?
Wofür wirst du immer wieder um Rat oder Hilfe gebeten?
Wann und bei welchen Tätigkeiten hast du das Gefühl, so richtig in deiner Kraft zu sein und dein Potenzial voll anwenden zu können?
3. Wie hast du dich entwickelt? Diese Fragen helfen bei der Analyse
Als Grundlage für diese Beurteilung betrachtest du am besten, wie sich deine Aufgaben, dein Job, deine Position im Laufe des vergangenen Jahres entwickelt haben und in welchem Zusammenhang das mit deinem persönlichen und fachlichen Wachstum steht.
Kannst du in deinem Job das tun, was du am besten kannst?
Hast du das Gefühl, dein Potenzial zu leben?
Findet deine persönliche Weiterentwicklung auch eine Entsprechung in deinen Aufgaben oder sollte ein Update vorgenommen werden?
Dafür kann es helfen, dir folgende zehn Fragen zu stellen und sie gegebenenfalls vorher schriftlich für dich zu beantworten:
Sind neue Aufgaben zu den bisherigen hinzugekommen?
Hast du neue Verantwortungsbereiche übernommen?
Hat sich vielleicht der Fokus von einer Tätigkeit zur anderen hin verschoben?
Welche Inhalte oder Themen sind es, die dich besonders anspornen und zu Höchstleistung antreiben?
Welche Pflichten bremsen dich eher?
Was lief gut im letzten Jahr, was nicht so gut?
Wovon wünschst du dir mehr, wovon weniger?
An welchen Stellschrauben kannst du drehen, um deiner Abteilung oder deinem Unternehmen noch mehr zu nutzen, um deine Fähigkeiten noch stärker einzubringen?
Wie und worin möchtest du dich weiterentwickeln?
Und wie kann deine Führungsperson dich dabei unterstützen, was wünschst du dir von ihr?
4. Job-Person-Passung: Was brauchst du, um gut arbeiten zu können?
Zur Beurteilung deines Jobs gehört neben der Betrachtung deines persönlichen Potenzials und der Inhalte deiner Arbeit auch ein Blick auf die äußeren Bedingungen, beobachte also auch deine Umgebung, die Räumlichkeiten, die Gestaltungsmöglichkeiten und deine individuellen Bedürfnisse: Wie fühlst du dich bei der Arbeit, wann bist du besonders produktiv, wann sinkt dein Energielevel?
Möglicherweise stellst du fest, dass die Arbeit im Großraumbüro mit vielen Unterbrechungen und Störquellen dich eher erschöpft, wohingegen deine Produktivität im Homeoffice steigt, weil du dich dort besser konzentrieren kannst. Vielleicht ist es auch genau umgekehrt: Zu Hause fällt es dir schwer, dich von Kindern, Partner*in oder Haushalt abzugrenzen und der Wechsel des Arbeitsortes hilft dir, dich voll und ganz deinem Job zu widmen. Diese äußeren Faktoren sollten nicht unterschätzt werden – häufig ist uns nicht bewusst, was genau uns stresst oder motiviert, daher liegt hier ein wichtiger Schlüssel zur Optimierung deiner Arbeitssituation.
Diese individuelle Anpassung deines Jobs an deine Persönlichkeit wird mit der Methode des Job Crafting verfolgt. Hierbei geht es darum, den Arbeitsplatz, die Arbeitsbedingungen und die Inhalte aktiv mitzugestalten und deinen aktuellen Job so gut es geht auf deine Bedürfnisse zuzuschneiden.
Wenn du für dich herausgefunden hast, wie im besten Fall deine Tage, Wochen, Arbeitszeiten, -abläufe und -orte strukturiert werden, kannst du mit deinem Anliegen ganz konkrete Vorschläge an deine Führungskraft richten. Verdeutliche dabei, weshalb sie bzw. das Unternehmen davon profitiert, schließlich sollte es eine Win-Win-Situation für euch beide sein.
5. Sammle gute Argumente für eine Gehaltsverhandlung
Das Jahresgespräch ist ein guter Anlass, um finanzielle Aspekte deines Jobs anzusprechen. Dabei sollte nie eine Forderung ohne Begründung im Raum stehen bleiben. Indem du dir folgende Fragen beantwortest, kannst du Selbstbewusstsein und Reflexionsvermögen unter Beweis stellen und diese Argumente für eine fundiert begründete Neuverhandlung deines Gehalts verwenden.
Welche Projekte hast du durch dein Engagement besonders vorangebracht?
An welcher Stelle haben sich dein Wissen und deine Talente für das Unternehmen besonders ausgezahlt?
In welchen Aufgaben oder Projekten und wie konntest du dich erfolgreich einsetzen?
Welche Entwicklungsfelder siehst du, denen du dich zukünftig mit besonderem Augenmerk widmen möchtest?
Hierbei ist es wichtig, realistisch zu bleiben und ein angemessenes Wunschgehalt zu benennen. Zwar wird nicht jede Gehaltsverhandlung von Erfolg gekrönt sein, trotzdem lohnt es sich, in den Austausch zu gehen und dein Anliegen gegenüber Vorgesetzten zu kommunizieren. Für viele mag das selbstverständlich sein, für andere, häufig weniger selbstwertstarke Menschen, besteht eine große Hürde, in Verhandlung über das Gehalt zu gehen.
Ich kann nur dafür plädieren, es immer wieder zu versuchen, zumal es auch aus Sicht der Unternehmer*innen von Vorteil ist, offen für Gehaltsgespräche zu sein. Durch individuelle Gehaltsanpassungen kann das Human- und Sozialkapital, das gute Mitarbeiter*innen durch ihre Erfahrungen und ihr angesammeltes Unternehmenswissen darstellen, erhalten werden, gleichzeitig steigen Arbeitszufriedenheit und -motivation, was sich wiederum positiv auf die Produktivität sowie die Identifikation mit dem Unternehmen auswirkt.
Wenn der Gehaltswunsch nicht erfüllt wird, solltest du nicht aus der Rolle fallen oder gar beleidigt oder sauer reagieren, sondern Charakterstärke beweisen, indem du selbstbewusst im Gespräch bleibst. Frage höflich nach den Gründen und schließe mit der Frage: „Was müsste ich denn tun, damit mein Gehaltswunsch erfüllt wird? Welche Erwartungen sind an ein derartiges Gehalt geknüpft?“.
6. Ist gegenseitiges Feedback gewünscht?
Es profitieren sowohl die Vorgesetzten als auch das Team, wenn sich alle über Entwicklungsmöglichkeiten der Zusammenarbeit austauschen und ehrliche Gespräche über Arbeitsabläufe, Kommunikation und gemeinsame Ziele stattfinden. Dieser offene Austausch fördert Zusammenhalt und Teamgeist und verhindert Flurfunk oder Frontenbildung.
Eines sollte also vor dem Gespräch geklärt werden, sofern es nicht bereits in einer Agenda oder einem Leitfaden nachzulesen ist: Handelt es sich um ein gegenseitiges Feedback-Gespräch? Erwartet deine Führungskraft auch von dir Rückmeldung für ihre Arbeit/ihre Rolle/ihren Führungsstil – oder ist sie zumindest offen dafür?
7. Feedback annehmen und verarbeiten
Wer von seiner Führungskraft eine sachliche Rückmeldung zu seiner Arbeit erhält, ist gut damit beraten, nicht sofort und im Affekt auf das Gesagte zu reagieren. Hierbei hilft eines meiner Lieblingszitate, ein Ausspruch von Viktor Frankl:
Zwischen Reiz und Reaktion ist ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.Viktor Frankl, Neurologe und Psychiater
Diesen Raum sollte man nutzen, er bewahrt uns vor vorschnellen, impulsiven Reaktionen, mit denen wir uns selbst schaden, und auch vor Rechtfertigungen, die gar nicht nötig sind.
Daher lautet mein Tipp:
Nimm dir Zeit, die Kritik sacken zu lassen und versuche, sie als hilfreichen Hinweis zur Verbesserung deiner Arbeit/eurer Zusammenarbeit/deiner Entwicklung zu verstehen.
Frage höflich nach, wenn du etwas nicht richtig verstehst.
Für den Fall, dass nach dem Gespräch und nachdem du dir Gedanken über das Feedback gemacht hast, noch immer Klärungsbedarf bestehen sollte, beispielsweise weil du dich nicht richtig gesehen oder an der falschen Stelle kritisiert gefühlt haben solltest, kannst du im Nachgang erneut den Dialog mit deiner Führungskraft suchen.
Die Erfahrung zeigt allerdings: Mit etwas Abstand erledigt sich vieles von selbst und bedarf gar keiner weiteren Aussprache.
8. SMARTE Ziele formulieren
In manchen Unternehmen gehört die Zielfestsetzung für das nächste Jahr zum Standard der Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeiter*innen, oft sind diese in vorgefertigte Formulare zu notieren.
Dieses Vorgehen kann ein Vorteil sein, weil die Vereinbarungen schriftlich festgehalten werden, es kann allerdings auch unflexibel machen und verhindern, dass man sich über die festgeschriebenen Bereiche hinweg regelmäßig austauscht und neue Ziele hinzunimmt oder alte, überholte, über Bord wirft.
Bei der Definition von eigenen und auch gemeinsamen Entwicklungszielen kann man sich an der sogenannten SMART-Methode orientieren. Ziele sollten folgende Kriterien erfüllen:
spezifisch
messbar
attraktiv
realistisch
terminiert
Das bedeutet auch, sie so konkret wie möglich zu formulieren. Ein Beispiel könnte lauten: „Bis zum 31. Januar 2023 habe ich eine Fortbildung im Bereich Online Marketing begonnen“ oder „bis Quartalsende soll meine Abschlussquote um xy Prozent gestiegen sein“. Auch die Optimierung von Arbeits- und Kommunikationsabläufen kann ein erstrebenswertes Ziel sein.
**Mach dir ernsthaft Gedanken, welche Routinen, Methoden und Gepflogenheiten sinnvoll und erhaltenswert sind und welche vielleicht eine kleine Aktualisierung gebrauchen könnten. **
9. Diese beiden Fehler solltest du vermeiden
Zu den beiden größten Fehler beim Jahresgespräch zählen meiner Ansicht nach unrealistische Erwartungen und persönlich genommenes Feedback – das gilt für beide Seiten.
Als Führungskraft sollte man seine Ansprüche an die Mitarbeiter·innen reflektieren und auch persönliche oder globale Umstände miteinbeziehen: Hat der Angestellte vielleicht privat eine harte Zeit hinter sich, weil Krankheit, Scheidung oder andere Krisen viel Kraft gekostet haben? Oder hat sich die Weltlage, die uns alle auf irgendeine Weise durch Pandemie, Krieg und Klimakatastrophe mehr oder weniger belastet, auf die mentale Gesundheit und die Leistungsfähigkeit ausgewirkt?
Als Mitarbeiter•in sollte man sich in Selbstverantwortung üben und vor Augen halten, dass Vorgesetzte unmöglich all den verschiedenen Anliegen und Bedürfnissen, die an sie gerichtet werden, gleichermaßen gerecht werden können und dass so gut wie nie eine böse Absicht hinter ihrem Verhalten steckt.
Manchmal prallen schlicht unterschiedliche Wünsche aufeinander, die sich aus divergierenden Zielen und Vorstellungen verschiedener Rollen ergeben. Dann geht es darum, einen Kompromiss zu finden, der für beide Seiten akzeptabel ist.
Ich wünsche dir ein gutes Gespräch und einen Austausch auf Augenhöhe!
Ragnhild Struss
Wer schreibt hier?
Mit ihrer etablierten Karriereberatung Struss & Claussen Personal Development auf der einen und dem neuen Online-Studienwahltest Toni Knows auf der anderen Seite hilft Ragnhild Struss Menschen dabei, ihre innere Stimme zur Autorität zu machen und ein langfristig erfülltes (Berufs-)Leben zu führen.
Vielleicht interessiert dich weiterführend zu dem Thema Ragnhild Struss Online Coaching “Inner Voice, Inner Choice”. Ein Kurs für alle, die ihr Leben selbstbewusst gestalten wollen.
Wie bereitest Du Dich auf Dein Jahresgespräch vor? Teile Deinen besten Tipp in den Kommentaren!