Teure Infrastruktur und üppige Aktienoptionen: Aktionäre kritisieren SAP
Die anstehende Hauptversammlung könnte ungemütlich werden. Der Umbau von SAP zur Cloud wird teuer, auch kosten Talente viel Geld. Die Aufwendungen belasten den Aktienkurs.
Zum Jubiläum will SAP unter den Aktionären festliche Stimmung verbreiten: Der Softwarehersteller zahlt anlässlich seines 50-jährigen Bestehens eine Sonderdividende in Höhe von 50 Cent. Insgesamt sollen es 2,45 Euro pro Aktie werden. Damit steigt die Ausschüttungsquote auf üppige 54 Prozent – von 41 Prozent im Jahr 2020.
Das große Handelsblatt-Finanzquiz – ETF-Paket im Wert von 10.000€ zu gewinnen
Trotz des Geldregens ist den Aktionären aber nicht zum Feiern zumute. Auf der Hauptversammlung am 18. Mai werden sich Vorstand und Aufsichtsrat Kritik anhören müssen. „Es läuft nicht mehr rund bei SAP“, sagt Markus Golinski, Fondsmanager von Union Investment.
Es sind vor allem die hohen Kosten, die den Aktionären aufstoßen. Die Transformation des Softwarekonzerns, der seine Dienstleistungen immer mehr per Cloud anbieten will, ist teuer. Die Nachfrage nach Speicherplatz, Rechenleistung und Software aus der Datenwolke ist zwar hoch, aber SAP muss dreistellige Millionensummen in Infrastruktur investieren, um davon zu profitieren. Kurz: SAP hat ein Kostenproblem.
Für Unmut sorgt auch die Personalie Hasso Plattner, der mit 78 Jahren für den Aufsichtsratsvorsitz kandidiert. Die Altersgrenze liegt bei 75. „Es wird Zeit, den Staffelstab zu übergeben“, sagte Ingo Speich von Deka Investment, der die „große Machtkonzentration“ von Plattner kritisiert.
Dazu kommen Belastungen durch Aktienoptionen, die vor allem Mitarbeiter der US-Tochter Qualtrics erhalten. „IT-Entwickler und Talente zu halten kostet viel Geld“, sagt LBBW-Analyst Mirko Maier.
Skeptische Investoren
Vorstandschef Christian Klein will die Transformation bis 2025 vollzogen haben, verspricht mehr Gewinn und Wachstum. „Ich bin mir sicher: SAP wird langfristig eines der größten Cloud-Unternehmen der Welt sein“, sagte er dem Handelsblatt im vergangenen November.
Die Nachfrage nach Cloud-Diensten ist hoch, weil Kunden ihre IT flexibler organisieren können und direkten Zugriff auf Innovationen erhalten. Die Anbieter wiederum profitieren von einer hohen Planungssicherheit. Der Markt wächst in diesem Jahr – trotz seiner Größe – um rund 20 Prozent auf fast 500 Milliarden Dollar, wie der Marktforscher Gartner prognostiziert.
Aber die Investoren sind skeptisch. Der Kurs kommt seit Jahren nicht vom Fleck und liegt seit Jahresanfang rund 30 Prozent im Minus. „Der Aktienkurs ist absolut und auch relativ zu den Wettbewerbern ein Trauerspiel“, sagt Deka-Fondsmanager Speich.
Die folgenden sieben Punkte beleuchten die positiven und negativen Aspekte in der Bilanz.
1. Hohe Ausgaben für das neue Geschäftsmodell
Die Umstellung kostet SAP bislang Umsatz und Rendite: Anstelle der einmaligen, aber lukrativen Lizenzverkäufe treten regelmäßige, aber geringe Abo-Zahlungen. Der Umsatz stieg daher 2021 um lediglich zwei Prozent auf 27,84 Milliarden Euro, das bereinigte Betriebsergebnis um ein Prozent auf 8,41 Milliarden Euro.
Als SAP-Chef Klein im Herbst 2020 seine neue Strategie ankündigte, stimmte er die Börse auf Einbußen bei der Profitabilität ein: „Ich will nicht das Wachstumspotenzial in der Zukunft für die kurzfristige Margenoptimierung opfern.“ Daher seien neue Investitionen ins Cloud-Geschäft nötig.
Ein Beispiel: SAP harmonisiert die Infrastruktur – alle Rechenzentren sollen auf der gleichen Technologie laufen, weshalb beispielsweise Investitionen für neue und Abschreibungen auf alte Systeme anfallen. 157 Millionen Euro Restrukturierungskosten verbuchte der Konzern dafür.
Die Belastung bleibt hoch: Im laufenden Jahr rechnet Finanzchef Luka Mucic mit mehr als 200 Millionen Euro an Aufwendungen, in der ersten Hälfte 2023 mit einer „niedrigen dreistelligen Millionensumme“, wie er Investoren sagte. Ab dann sei aber mit einem „signifikanten Anstieg“ der Bruttomarge im Cloud-Geschäft zu rechnen, die derzeit bei 67 Prozent liegt.
2. Die Ausgaben für Mitarbeiter steigen an
Auch fürs Personal gab SAP 2021 deutlich mehr aus. Zum einen wuchs die Belegschaft um knapp 3000 auf 104.000 Köpfe, zum anderen stieg der durchschnittliche Aufwand pro Mitarbeiter um 13 Prozent auf rund 149.000 Euro.
Größter Kostentreiber war die anteilsbasierte Vergütung: Die Aktienboni kosteten den Konzern 2,79 Milliarden Euro, also rund zehn Prozent des Umsatzes – im Branchenvergleich ein hoher Wert. Ein beträchtlicher Teil ging dabei an die Mitarbeiter der Tochterfirma Qualtrics in den USA.
Einen Gutteil der Optionen gab Qualtrics im Zuge des Börsengangs aus, insgesamt 1,06 Milliarden Dollar, umgerechnet rund eine Milliarde Euro. Auch ohne die Tochterfirma lagen die Aufwendungen auf dem Niveau von 2019, als die SAP-Aktie große Zuwächse verzeichnete. Der Kampf um kluge Köpfe ist teuer.
3. Die Gewinnmarge fällt
Das neue Geschäftsmodell ist angesichts der hohen Investitionen längst nicht so profitabel wie das alte. Die bereinigte operative Marge, die SAP als Steuerungsgröße verwendet, sank um 0,7 Prozentpunkte auf 29,6 Prozent. Auch die bereinigte Bruttomarge im Cloud-Geschäft sank auf 69,5 Prozent, primär wegen der Investitionen. Zum Vergleich: Salesforce schafft laut der Finanznachrichtenagentur Bloomberg 73,5 Prozent, Workday 72,2 Prozent.
„Unsere Unterhaltungen zeigen, dass Investoren in diesem Jahr wegen der Margenentwicklung von SAP besorgt bleiben“, schreibt die Société Générale in einer Analyse. Analysten und Aktionäre werden genau hinsehen, ob der Konzern die Profitabilität steigern kann. Immerhin: In den letzten Monaten hat sich eine Verbesserung abgezeichnet.
Im laufenden Jahr kommen allerdings unerwartete Belastungen hinzu, etwa durch den Krieg in der Ukraine und den daraus resultierenden Rückzug aus Russland. Die Einbuße für das Betriebsergebnis – etwa durch verlorenes Geschäft und die Abschreibung von Investitionen – schätzt der Konzern auf rund 350 Millionen Euro.
Der Mittelzufluss aus der operativen Tätigkeit verringerte sich 2021 auf 6,22 Milliarden Euro, vor allem wegen höherer Ertragsteuerzahlungen. Der freie Cashflow sank auf 5,05 Milliarden Euro. Fürs laufende Jahr erwartet SAP 4,5 Milliarden Euro freie Mittel. Trotz eines erneuten Rückgangs bleibt also immer noch ausreichend Cash, um Investitionen zu stemmen und Schulden zurückzuzahlen. Zumal die Nettoverschuldung mit 1,56 Milliarden Euro, dem gerade einmal 0,24-Fachen des Ebitda, überschaubar ist.
Dass der Gewinn nach Steuern 2021 leicht auf 5,38 Milliarden Euro stieg, verdankt SAP einer Besonderheit: Der Risikokapitalgeber Sapphire Ventures investiert für den Softwarehersteller in Start-ups. Mit Erfolg: Der Wert der Beteiligungen wuchs deutlich, weshalb der Konzern das Finanzergebnis auf 2,17 Milliarden Euro verdreifachte. Angesichts von Zinswende und Konjunkturschwäche dürfte der Beitrag im laufenden Jahr indes kleiner ausfallen.
4. Softwareverkauf sorgt weiter für Cash
Trotz der Umstellung ist das Softwaregeschäft für SAP weiterhin einträglich – nicht alle Kunden wollen die Cloud nutzen, gerade wenn es um geschäftskritische Anwendungen und Daten geht. Der Lizenzumsatz sank 2021 zwar um elf Prozent auf 3,25 Milliarden Euro. Der Support, der mit den Verträgen einhergeht, war mit 11,41 Milliarden Euro jedoch fast stabil. Und das bei einer üppigen Bruttomarge von 86,9 Prozent.
Im Zuge dieser Wartung berücksichtigt SAP beispielsweise gesetzliche Veränderungen in den Geschäftsprozessen und liefert Sicherheitsupdates – übrigens auch für Lizenzen, die die Kunden nicht nutzen, etwa weil das Geschäft geschrumpft ist. Ein Punkt, der immer wieder für Unmut sorgt.
Dank des traditionellen Geschäftsmodells hat SAP eine beachtliche Kundenbasis, in der viele Unternehmen die Umstellung in die Cloud in den nächsten Jahren angehen wollen. Der Konzern kann überdies mit einem beständigen Zufluss von Cash für die Transformation planen.
5. Qualtrics-Deal zahlt sich aus
Als SAP Ende 2018 die Übernahme von Qualtrics ankündigte, war die Kritik groß: Mit einem Preis von acht Milliarden Dollar, damals umgerechnet 6,5 Milliarden Euro, war es die teuerste Übernahme der Firmengeschichte. Allerdings zeigte der Börsengang im Januar 2021, dass der Konzern ein gutes Gespür hatte.
Zum einen konnte SAP einen Teil des Kaufpreises wieder reinholen – die Erstemission und ein weiterer Anteilsverkauf im November brachten 2,85 Milliarden Euro ein. Wobei ein Teil der Summe gleich in die Tilgung eines Darlehens floss, das man im Zuge der Übernahme aufgenommen hatte. Die Marktkapitalisierung des Cloud-Spezialisten liegt trotz dieser Schritte und des schlechten Börsenumfelds immer noch bei rund zehn Milliarden Dollar.
Zum anderen trägt Qualtrics beträchtlich zum Cloud-Geschäft bei. Im vergangenen Jahr stieg der konsolidierte Umsatz um 37 Prozent auf 929 Millionen Euro, währungsbereinigt sogar um 41 Prozent. In der Halbdistanz zum Mutterkonzern setzt das Unternehmen aus Utah weiter voll auf Wachstum durch Übernahmen und Investitionen.
Allerdings sind die Kosten enorm. SAP benennt diese nicht dezidiert, Qualtrics weist sie aber im eigenen Geschäftsbericht aus: Demnach war der Nettoverlust mit 1,06 Milliarden Dollar praktisch genauso hoch wie der Umsatz – maßgeblich wegen aktienbasierter Optionen für die Mitarbeiter.
6. Cloud-Geschäft auf Augenhöhe mit der Konkurrenz
Das Cloud-Geschäft wuchs im vergangenen Jahr um 17 Prozent auf 9,42 Milliarden Euro. Dabei lassen einige Faktoren das Bild schlechter aussehen, als es ist. Zum einen leiden die Plattformen Fieldglass und Concur, über die Kunden externe Arbeitskräfte und Geschäftsreisen buchen können, weiter unter der Coronakrise. Zum anderen verdient SAP mit der eigenen Cloud-Infrastruktur nicht sonderlich viel.
Die Cloud-Erlöse aus Programmen wie Success Factors und S/4 Hana Cloud wuchsen jedoch um 25,5 Prozent auf 5,67 Milliarden Euro. Das sei im Vergleich zu anderen großen Cloud-Anbietern wie Salesforce, Workday und Coupa ein Spitzenwert, notiert die Investmentbank Morgan Stanley – zumal die Reisebuchungen über Concur bald wieder zunehmen dürften.
Zudem wuchs der Auftragseingang deutlich: Die Kennzahl Current Cloud Backlog, die die vertraglich zugesicherten Erlöse für die kommenden zwölf Monate beschreibt, lag zum Jahreswechsel mit 9,45 Milliarden Euro um 32 Prozent höher als ein Jahr zuvor, im ersten Quartal stieg der Wert auf 9,73 Milliarden Euro.
Ein weiterer positiver Effekt: SAP kann wegen des Abo-Modells, das bei den meisten Cloud-Diensten gilt, das Geschäft besser kalkulieren. Für 2021 wies SAP bereits einen Anteil von 75 Prozent „besser planbarer Umsätze“ aus, vier Prozent mehr als im Vorjahr.
7. Durch Übernahmen wächst der Goodwill auf Rekordniveau
Auf große Übernahmen in der Preisklasse von Qualtrics verzichtet SAP vorerst, die Ausgaben für – vergleichsweise – kleine Deals sind aber durchaus beträchtlich. So kaufte der Konzern 2021 den Prozessmanagementspezialisten Signavio für 950 Millionen Euro. Qualtrics gab zudem umgerechnet 1,12 Milliarden Euro für den Datenanalyseanbieter Clarabridge aus, größtenteils in Form von eigenen Aktien.
Die finanzielle Belastung ist für SAP gut zu stemmen, allerdings steigt das bilanzielle Risiko: Die Geschäfts- oder Firmenwerte, für die es keinen materiellen Gegenwert gibt, steigen durch die Deals weiter an. 31,19 Milliarden Euro standen Ende 2021 in der Bilanz, 3,56 Milliarden mehr als im Jahr zuvor. 1,74 Milliarden Euro gehen auf die Zugänge zurück, weitere 1,84 Milliarden Euro auf Währungsdifferenzen.
Falls ein Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert oder die Konjunktur einbricht, drohen hohe Abschreibungen auf diesen Goodwill, also die Hoffnungswerte, die mit den Übernahmen verbunden gewesen sind. Immerhin stieg auch das Eigenkapital mit 41,5 Milliarden Euro deutlich an.
