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Die hohen Zinsen könnten den Traum vom Eigenheim in eine enorme finanzielle Belastung verwandeln. - Foto: IMAGO/Harry Koerber
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Womit Eigentümer bei der Anschlussfinanzierung rechnen müssen

Viele Haus- und Wohnungsbesitzer blicken besorgt auf die gestiegenen Zinsen. Vor allem für eine Gruppe fürchten Experten schwere Folgen.

Berlin, Brüssel. Vielen Immobilienbesitzern drohen Schwierigkeiten, wenn sie bald eine Anschlussfinanzierung für ihre Immobilie verhandeln müssen. Denn die künftige monatliche Rate könnte wegen der stark gestiegenen Zinsen deutlich höher ausfallen und das Haushaltsbudget übersteigen.

Die Gefahr sieht auch die Europäische Kommission. „Ich fürchte einen sozialen Notstand“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni dem Handelsblatt. Das gilt gerade für Länder wie Portugal, in denen viele Immobilienkäufer Darlehen mit variablen Zinsen abgeschlossen haben.

Doch auch in Deutschland sind einige betroffen: Etwa 17 Prozent der neu abgeschlossenen Verträge im ersten Quartal 2023 hatten eine Zinsbindung von weniger als einem Jahr. Weitere zehn Prozent hatten eine Laufzeit zwischen einem und fünf Jahren, berichtet die European Mortgage Federation. Gerade bei sehr günstigen Finanzierungen droht eine wesentlich höhere Zahlung. Das Handelsblatt zeigt auf, wer von den steigenden Hypothekenzinsen besonders betroffen ist, wie stark die Raten steigen können und welche Hilfen in Deutschland diskutiert werden.

Und die Hilfe könnte benötigt werden, denn ein Ende der Zinserhöhung ist nicht in Sicht: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zur Eindämmung der Inflation Mitte September den Leitzins auf 4,5 Prozent angehoben. Es war bereits die zehnte Anhebung in Folge.

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„Problematisch kann es werden, wenn bei einer Immobilie eine Anschlussfinanzierung ansteht und die neuen Raten die finanziellen Mittel übersteigen“, sagt Dorothea Mohn, Leiterin des Teams Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV).

Mohn fordert eine konkrete Unterstützung: Den Schuldnern müsse geholfen werden, möglichst den Kredit und die Immobilie halten zu können. „Dafür sollte die KfW-Bank Förderkredite für in Not geratene Verbraucher anbieten“, sagt die Expertin.

Probleme bei günstigen Anschlussfinanzierungen

Die größten Gefahren drohen bei Finanzierungen, die zu sehr günstigen Bedingungen abgeschlossen wurden. „Bei der Umschuldung kann es schwierig werden für jene, die von einem Zinsniveau von einem Prozent oder weniger kommen und dann auf einem Zinsniveau von vier oder sogar fünf Prozent landen“, erklärt Caroline Anker, Abteilungsleiterin Privatinvestoren Immobilien der Investitionsbank Berlin (IBB).

Björn Pätzold, Spezialist für Baufinanzierung beim Immobilienfinanzierer Dr. Klein, rechnet vor: Wurde ein Darlehen von 600.000 Euro aufgenommen sowie eine zehnjährige Zinsbindung sowohl bei der Erst- als auch bei der Anschlussfinanzierung angesetzt, ergeben sich hohe Mehrbelastungen.

Konkret: Betrug der Startzins 0,8 Prozent und zwei Prozent Tilgung bei einer monatlichen Startrate von 1400 Euro, bleibt nach Ende der Zinsbindung eine Restschuld von 475.000 Euro. Nun greift ein hoher Folgezins von vier Prozent und zwei Prozent Tilgung. Somit ergibt sich nach der ersten Zinsfestschreibung eine monatliche Mehrbelastung von 975 Euro.

Pätzold warnt: „Wer schon zu Beginn der Finanzierung hart an die Grenze des Machbaren gegangen ist, um die Immobilie zu erwerben, der könnte dann in Schwierigkeiten geraten.“ Dass es zu massenhaften Notverkäufen und Zwangsversteigerungen kommen wird, davon gehen die Experten Anker und Pätzold indes nicht aus.

„Die Löhne sind in den letzten Jahren gestiegen und steigen weiterhin an, sodass die Haushaltseinkommen sich in vielen Fällen erhöht haben“, gibt Anker von der IBB zu bedenken. Dazu komme: „Die eigene Immobilie ist des Deutschen liebstes Kind. Da wird eher jeder Cent dreimal umgedreht und lieber auf den Urlaub verzichtet, bevor sich jemand von seinem Einfamilienhaus trennt.“ Die Menschen seien folglich sehr bemüht, Lösungen zu finden.

Diese Probleme betreffen jedoch nicht alle Anschlussfinanzierungen. Pätzold erläutert: „Wer vor zehn Jahren einen Immobilienkredit aufgenommen hat, bei dem die Zinsbindung nun ausläuft, der landet bei der Anschlussfinanzierung auf einem ähnlichen Zinsniveau wie damals.“ Für diese Käufer ändere sich im Grunde nichts. Bei zehnjähriger Bindung lagen die Zinsen Mitte 2013 bei knapp drei Prozent, 2011 sogar noch bei über vier Prozent.

Steigende Bauzinsen: Drohende Zwangsversteigerung

Anders liegt das Problem bei Hypothekendarlehen mit variablem Zins. So warnt die Wirtschaftsauskunftei Creditreform angesichts der steigenden Zinsen vor großen Belastungen für Immobilienkäufer.

„Hier drohen tatsächlich in vielen Fällen die Zwangsversteigerung und im schlimmsten Fall die Privatinsolvenz“, sagt der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch. „In Deutschland machen die fixen Zinsen Gott sei Dank den Großteil aus“, so Hantzsch. „Wer aber einen variablen Zinssatz gewählt hat, kann nachts deutlich schlechter schlafen.“

Variable Hypothekenzinsen werden immer wieder neu angepasst. Betroffene spüren damit Zinserhöhungen der EZB sofort. Vor ein paar Jahren sei dieses Modell aufgrund der Nullzinspolitik der EZB noch eine „verlockende Option“ gewesen, so Hantzsch. Nun sei es „ein Damoklesschwert“. Auch die temporären Wertsteigerungen der Immobilien „können die Kosten der Zinsrally nicht kompensieren“.

Wie viele deutsche Haushalte durch die gestiegenen Zinsen Probleme bei der Immobilienfinanzierung bekommen könnten, ist derzeit unklar. Das Bundesbauministerium von Klara Geywitz (SPD) teilte auf Anfrage mit, dass dazu keine Zahlen vorliegen.

Der Blick in die Zahlen der Hypothekenbranche ist allerdings besorgniserregend: Auch in Zeiten niedriger Zinsen wie 2020 wurde in rund 18 Prozent der Verträge in Deutschland nur eine Zinsbindung von bis zu fünf Jahren festgelegt. Viele Finanzierungen laufen also in einem Umfeld hoher Zinsen aus.

Sandra Weeser, Vorsitzende des Bauausschusses im Bundestag, sagt: „Wo die Selbstnutzung von Wohneigentum durch Familien in Gefahr ist, müssen wir genau hinschauen.“ Wie groß das Problem wirklich werde, sei aber noch offen, so die FDP-Politikerin.

Mit Blick auf staatliche Hilfen äußert sich Weeser skeptisch: Ministerin Geywitz habe zu Recht auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Familien mit geringem Einkommen Wohngeld beantragen könnten, um ihre Kreditrate bedienen zu können.

Wer einen variablen Zinssatz gewählt hat, kann nachts deutlich schlechter schlafen.
Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung

Die FDP-Politikerin betont, die Einhaltung der Schuldenbremse bleibe „essenziell“, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. „Deshalb müssen wir nun mit den zur Verfügung stehenden Mitteln sehr sorgfältig umgehen und dort investieren, wo es am drängendsten und sinnvollsten ist“, mahnt Weeser.

NRW legt Förderprogramm für Anschlussfinanzierung auf

Nordrhein-Westfalen hatte dagegen im Sommer entschieden, über die Landesbank NRW-Bank ein Förderprogramm für Wohneigentum erstmals auch für Anschlussfinanzierungen zu öffnen. „Damit greifen wir denen unter die Arme, die eine Anschlussfinanzierung ihres Kredits zu den gestiegenen Konditionen nicht mehr bedienen können“, erklärt Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU).

Das Angebot richtet sich an alle, die bei der Landesbank ein Immobiliendarlehen für Wohneigentum zur Selbstnutzung laufen haben. Bis zu 100 Prozent des zu finanzierenden Restkapitals können so finanziert werden.

Andere Bundesländer sehen davon noch ab. Aus dem ebenfalls CDU-geführten Bauministerium in Baden-Württemberg heißt es, man sehe im aktuellen Zinsumfeld „keine Notwendigkeit für Stützungsangebote im Bereich von Anschlussfinanzierungen einst mit zinsvergünstigten Darlehen geförderter Wohnungsbauvorhaben“.

IBB-Expertin Anker erklärt: „Immer wenn es Marktversagen gibt, wenn der Kunde nirgendwo anders eine Finanzierung bekommt“, stehe in Berlin die landeseigene Förderbank bereit, „um einzuspringen und zu prüfen, ob es eine Lösung gibt“.

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