Abschied und Neubeginn: Das Schöne erkennen und bewahren
Circle of Life
Das Leben vom Ende her sehen ist immer dann angebracht, wenn es darum geht, richtige Entscheidungen zu treffen und sich aufs Wesentliche im Leben zu konzentrieren. Dass das auch für einige Bücher gilt, zeigt die aktuelle Publikation „Das Schöne bewahren“ von Tom Veltmann. Das Buch schrieb er in dem Jahr, in dem seine Schwiegermutter gestorben ist. Für ihn und seine Familie war es eine schwere Zeit – auch, weil sie sich nicht verabschieden konnten. Doch der Abschied selbst hatte etwas Tröstliches: „Wir suchten eine schöne Grabstätte unter großen, alten Bäumen aus, die ihr bestimmt gefallen hätte und die wir gern besuchen. Die Bäume zeigen in ihrer jahreszeitlichen Verwandlung stets die Schönheit und die Kraft der Natur, wie das vielleicht kein anderes Wesen vermag." Das Entschwinden des Menschen nach seinem Tod ist unfassbar. Ein Trost ist allerdings, dass die Energie nicht stirbt und nichts von ihr verloren geht – auch nicht nach dem Tod eines Menschen. Das folgt aus dem Energieerhaltungssatz: Energieformen werden ineinander umgewandelt, können aber nicht vernichtet werden. Sie bleiben im Raum und sind spürbar. „Nichts geht auf diesem Planeten verloren“, schreibt Tom Veltmann, der als Seminarentwickler, Hochschul-Dozent und Speaker arbeitet, aber auch nachhaltigkeits- und marktführende Unternehmen, Banken, die DIHK und Naturschutzorganisationen berät. Der Philosoph Wilhelm Schmid beschreibt ebanfalls in vielen seiner Bücher diesen Kreislauf des Werdens und Vergehens in der gesamten Natur. Was für eine Weile die Lebensenergie eines Menschen war, geht dieser Deutung zufolge über endlose Prozesse der Transformation wieder in die kosmische Energie über, die allem zugrunde liegt. Ein anderes Wort für Energie könnte seiner Ansicht nach Seele sein, von der alle Kulturen (außer der modernen) schon immer angenommen haben, dass sie unsterblich sei.
Das „Ende“ des Buches von Tom Veltmann erinnert mich an den Tod meines Vaters, dessen Asche ebenfalls unter einem Baum liegt. Rückblickend wirkt alles wie ein Kreis, der sich geschlossen hat – und vielleicht sind die neun Monate, die er nach der Krebsdiagnose noch gelebt hat, auch symbolisch zu sehen: Es ist auch die Zeit, in der ein Kind im Bauch der Mutter heranreift und sich alles von Grund auf ändert. Ankunft und Abschied haben viel gemeinsam. Vielleicht fällt uns das Abschiednehmen leichter, wenn wir uns alles noch einmal bewusst machen und dann erkennen, wie alle Teile ineinandergreifen. Einen Tag vor seinem Tod kam im Radio den Song „Circle of life“ von Elton John, den ich zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Darin heißt es: „Einige von uns bleiben auf der Strecke / Und einige von uns steigen auf zu den Sternen / Und einige von uns kommen leicht mit allen Problemen klar / Und einige müssen mit den Narben leben… / Im Kreislauf des Lebens.“
In seiner Familie vertritt Veltmann die mittlere Generation um die Fünfzig, was für ihn vor dem Hintergrund begrenzter Zeit auch Anlass ist, auch über das Alter zu reflektieren.
Es geht darum, keinen Tag mehr für selbstverständlich zu nehmen, denn das Leben ist endlich. Um es als glücklich zu empfinden, braucht es Bewusstheit und Geistesgegenwärtigkeit, denn nur dann kann man auf das hinhören, was der Augenblick bietet - fernab des „Ich-müsste-noch“, durch das eine Struktur des Aufschubs und des indirekten Lebens entsteht. Beschrieben werden auch die Bedingungen, unter denen sich unser Bewusstsein verändert. Dazu gehören neben dem technischen Fortschritt auch die Veränderung unserer Aufmerksamkeit, die Instabilität und Flüchtigkeit. Veltmann fragt, wie es möglich sein kann, dass wir angesichts der weltweiten Krisen und Katastrophen keine Konsequenzen für unser Handeln gezogen werden. „Der große Gegner der Natur ist unsere Normalität“, schreibt Veltmann, denn viele Menschen machen sich keine Gedanken um ihren Konsum und die Auswirkungen ihres Handelns im Alltag. Dabei kommt es auf jeden Einzelnen an, wenn es darum geht, das, was uns heilig ist, nämlich unser Zuhause“, nicht zu zerstören. Vieles von dem, was Veltmann beschäftigt und heute Gegenstand öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Untersuchungen ist, wurde vor über hundert Jahren von Indianern, die nicht lesen und schreiben konnten, bereits erkannt. So ist von Häuptling Sitting Bull folgende Aussage aus dem Jahr 1866 überliefert: „Sie beschmutzen unsere Mutter (die Erde) mit ihren Gebäuden und ihrem Abfall. Sie zwingen unsere Mutter, zur Unzeit zu gebären. Und wenn sie keine Frucht mehr trägt, geben sie ihr Medizin, damit sie aufs Neue gebären soll. Was sie tun, ist nicht heilig.“
Echter Naturschutz fängt mit dem Wissen um Zusammenhänge an
Mutter Natur ist heute überall bedroht, und Ankündigungen und Schutzmaßnahmen reichen nicht aus, um das Schöne und Lebensnotwendige zu bewahren. Für einen wirkungsvollen Klima- und Naturschutz müssen wir die Art unseres Wirtschaftens verbessern, so die Botschaft seines Buches, denn sie hat die Erde in einen existenziell bedrohlichen Zustand gebracht. Die massiven zusätzlichen CO2-Emissionen und der Naturverlust verändern das Ökosystem und können lebensbedrohlich werden. Auch wenn die nur 447 Millionen EU-Bürger im Vergleich zu den USA, Australien und China mit ihren Schritten gegen den Klimawandel vorne liegen, aber bislang auch weiterhin wachsende CO₂-Emissionen liefern und ihre eigenen Klimaziele nicht erreichen – „die Milliarden Menschen der ärmeren Länder beginnen gerade erst, sich zu industrialisieren und den Klimawandel weiter zunehmend zu befeuern. Die Vermehrung der klimaschädlichen Gase in der Luft steigt weltweit weiter, in jüngster Zeit sogar noch schneller“, so Veltmann. Die Naturschädigung des Planeten schreitet weiter schnell voran.
Doch wie kann ein wirksamer Natur- und Klimaschutz konkret aussehen? Veltmann setzt bei der maßgeblichen Ursache an: „Alle menschlichen Produkte und Objekte werden mit Energieeinsatz aus Naturmaterialien hergestellt, teils mit großen Kollateralschäden in der Natur: Gebäude, Straßen, Autos, Kleidung, Computer, Lebensmittel – alles Menschengemachte. Häufig kennen wir ihre Auswirkungen in der Natur und für unsere Gesundheit nicht.“ Hier liegt für ihn das größte Potenzial für echten Natur-, Klima- und Gesundheitsschutz - und sogar für ein besseres Leben. Die Naturbedingungen und das innovative Naturwissen müssen in die Herstellung sämtlicher Produkte einfließen: „Es gilt viel mehr, von der Natur zu lernen, bessere Produkte zu designen und sie mit besser geeigneten Materialien herzustellen.“ Erläutert wird, wie Unternehmen durch konkrete Produktverbesserungen weltweit Wettbewerbsvorteile erreichen können und wie eine konsequente Erweiterung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie aussehen kann. Zudem sollten wir der Natur auf verfassungsrechtlicher Basis Grundrechte einräumen. Tom Veltmann zeigt, dass wir alle die Möglichkeit haben, mit unserem Geld unsere Art des Wirtschaftens zu beeinflussen – und in eine bessere Richtung zu bringen. So wird von ihm auch das Thema „Geld/Finanzen“ in einen direkten Zusammenhang mit der Natur gestellt. Ob das Leben eine Zukunft auf dieser Erde hat, liegt in unseren Händen.
Das Buch:
- Tom Veltmann: Das Schöne bewahren. Handeln für eine lebenswerte Zukunft. Oekom Verlag, München 2023.
Weiterführende Informationen:
- Der Trost der Schönheit
- Zeit der Rose: Momentaufnahmen eines Lebens
- Alexandra Hildebrandt: Das Leben als Aufgabe. Was bleibt. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
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