„Als Unternehmer geht es um Verantwortung, nicht um Selbstdarstellerei“: Interview mit Matthias Krieger
Herr Krieger, weshalb ist die Unternehmenskultur in Zeiten des demografischen Wandels von besonderer Bedeutung?
Sie beinhaltet die Summe der Grundüberzeugungen, die sich in einem Unternehmen entwickelt haben und erleichtert nicht nur den Umgang mit der Zukunft und mit Überraschungen, sondern macht auch klar, wofür das Unternehmen steht, und was es kann. Die Firmenkultur zu pflegen und dafür Sorge zu tragen, dass sie mit der Kultur der Leistung, Professionalität und Effektivität der Organisation übereinstimmt und zu deren Funktionieren beiträgt, ist eine der wichtigsten Managementaufgaben - heute und in der Zukunft.
Welche Rolle spielt dabei der magische Würfel bei Ihrer kybernetischen Organisation?
Die Kybernetik ist Wissenschaft vom Funktionieren – im Unternehmenskontext bedeutet das: Erst durch richtiges Management können Menschen ihre Stärken in Leistung umwandeln, erfolgreich sein und durch ihr wirksames Handeln Lebenssinn finden. Unser magischer Würfel besteht aus sechs Werttreiber mit je neun Einflussfaktoren. Die Haupttreiber sind Kundennutzen, Teamentwicklung, Qualität/Prozesse, Steuerung, der bzw. die Inhaber sowie das Individuum. Gezeigt wird beispielsweise, dass Nachhaltigkeit nicht im luftleeren Raum steht, sondern vom Gesellschafter kommt, der dies wollen muss. All diese Aspekte sind hier übersichtlich dargestellt. Dadurch ist ein ganzheitlicher Blick gewährleistet, und es werden die unterschiedlichen Denkprofile, Kernqualitäten und Wahrnehmungsfilter des Einzelnen berücksichtigt.
Wie jemand gestrickt ist, und mit welchen Gefühlen er an seine Arbeit geht, spielt eine große Rolle. Denn nur mit den richtig eingesetzten Charaktereigenschaften und der richtigen Einstellung kann sich Erfolg einstellen und die gesetzten Ziele erreicht werden. Jeder Mensch besitzt besondere Eigenschaften, die ihn auszeichnen. Obwohl das alle wissen, machen wir zu wenig daraus. Der Mensch (Individuum), der Gesellschafter und die Organisation verschmelzen miteinander. So wird das Ganze mehr als die Summe der 54 Einzelteile.
Ist der Würfel nicht auch symbolisch dafür zu sehen, dass Erfolg mehr als die Summe seiner Teile ist?
Ja, nur wer alle Teile richtig und in Verbindung zu einander einsetzt, wird erfolgreich sein. Jeder Punkt steht für sich, hängt aber wiederum mit allen anderen zusammen. Lässt man ein Teil aus oder vernachlässigt ihn, stockt der ganze Prozess bzw. das System. Weiterhin ist es aber auch wichtig, dem Erfolg Zeit zu geben. Man muss alle Instrumente und Tätigkeiten kontinuierlich verfeinern und weiterentwickeln. Alle Anstrengungen müssen stetig hinterfragt und an die Gegebenheiten angepasst werden. Zunächst ist es wichtig, eine Vision zu entwickeln. Allerdings reicht eine Vision an sich nicht aus, um langfristig erfolgreich zu sein. Entscheidend ist, dass man handelt – und das immer im Hinblick auf das Ziel, die Vision.
Die Erfolgsformel: E = V x H²
Erfolg ist das Produkt von Vision und Handeln zum Quadrat.
Wobei man erst einmal definieren muss, was Erfolg für einen selbst bedeutet. Was verbinden Sie damit?
Für mich als ehemaligen Leistungssportler, Unternehmer, Autor und Redner ist Erfolg das Erreichen eines Zieles und beflügelt die Lebensfreude. Erfolg ist individuell. Der Weg ist jedoch stets gleich. Erfolg wird bestimmt durch das Denken, die Einstellung zu einem selbst, zu anderen Menschen und zum Leben. Man muss sich fragen: Was will ich erreichen? Damit misst sich Erfolg nicht zwingend an der Höhe des Einkommens oder am Gewinn. Was dem Athleten die Goldmedaille, dem Unternehmer sein gut laufender Betrieb, ist dem Mönch oder der Nonne die Spiritualität. Erfolg ist planbar, systematisch und vor allem für jedermann realisierbar, ganz egal ob Athlet, Unternehmer oder Mönch. Das ist ganz zentral.
Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das lebenslange Lernen?
Lebenslanges Lernen ist etwas Wunderbares, Nützliches und Bereicherndes. Geistiger Input macht fit, öffnet den Geist und hält Menschen neugierig und kreativ. In der Arbeitswelt, aber auch im Privatleben ist es wichtig und wird auch in Zukunft immer wichtiger. Wir stehen vor dem Übergang von der Wissensgesellschaft zu einer Komplexitäts- und Potenzialentfaltungsgesellschaft. Deshalb ist es wichtig, dass Lernen, Wissen und Können schon früh eine Einheit bilden. Wie bereits erläutert, erkennen Kinder, ob ihnen etwas zugetraut wird. Sie sollten deshalb bereits so früh wie möglich die größtmögliche Freiheit für Erfahrungen und die notwendigen Grundlagen für ein fundiertes Wissen und Können erhalten. Wissen und Fertigkeiten aus der Berufsausbildung und die ersten Berufsjahre genügen in den meisten Fällen nicht mehr. In den letzten Jahrzehnten hat sich nicht nur im technischen Sektor unheimlich viel getan.
Weiterbildungen sind also auch für Karrieren elementar! Mit Fort- und Weiterbildungen steigen die Chancen für den persönlichen Aufstieg. Jedoch geht es hier jetzt nicht mehr nur um das Erlernen neuer Computerprogramme oder Maschinenfunktionen. Es geht darum den Kopf frei und offen zu halten für frische Ideen, innovative Geschäftsmodelle oder neue Unternehmensstrukturen. Nicht nur die Angestellten müssen weiter lernen, auch die Chefs und leitenden Angestellten haben die Aufgabe, sich geistig fit zu halten. Schon allein um ihren Angestellten ein Vorbild zu sein. Unternehmen, die zielgerichtete und praxisorientierte Beschäftigungsfähigkeit fördern und fordern, begreifen sich auch als „lernende Organisation“ mit durchlässigen und flexiblen Strukturen.
Was bedeutet das konkret?
Dass Führungskräfte auch Macht abgeben und Eigenverantwortung bei ihren Mitarbeitenden fördern sollten. Dies erfordert Vertrauen in die Mitarbeitenden, aber auch loszulassen und zu akzeptieren, dass andere in Teilbereichen besser sind als man selbst.
Weshalb funktioniert es heute nicht mehr, Mitarbeiter nur sporadisch weiterzubilden?
Management und Angestellte müssen akzeptieren lernen, dass es keine endgültigen Antworten mehr gibt und dass Antworten, wenn sie denn gegeben werden, kurze Halbwertszeiten haben – für die Firma wie für den eigenen Arbeitsplatz und die tägliche Arbeit. Deshalb funktioniert es nicht mehr, Mitarbeiter nur sporadisch weiterzubilden. Das wäre nicht nachhaltig. Was es braucht, ist eine Unternehmenskultur, in der Lernen und Selbstdenken selbstverständlicher Teil des Alltags ist.
Gelassenheit ist die Fähigkeit, sich im Vertrauen und in Kenntnis der eigenen Begabungen und Möglichkeiten auf ein inneres, intuitives Wissen zu verlassen, das jenseits rationaler Erklärungen Orientierung und Sicherheit gibt. Wie kommt man dorthin?
Sie lässt sich nicht herstellen, sondern nur lernen, denn sie ist die Folge einer selbstreflektierten Lebensweise: Wo stehe ich und warum? Wo finde ich mein Rüstzeug und die notwendigen Ressourcen? Wo sind meine Grenzen?
Haben Sie Ihre eigenen Grenzen erkannt?
Jede Form der Beschränkung wirkt heute wie ein Defizit und klingt wie ein implizites Scheitern, doch ist es so, dass Gelassenheit deutlich macht, dass wir nur dann zu wirklichen „Höchstleistungen“ auflaufen können, wenn wir von unserem bisherigen Denkparadigma abrücken. Nur durch das Vertrauen darin, dass wir nicht scheitern, selbst bzw. gerade weil wir nicht alles können, werden wir ein „glückliches“ Leben auch als solches erkennen. Die beständige Anstrengung, die Arbeit an sich selbst und der Glaube, dieses Glück in konkreten Schritten für sich beanspruchen zu können, ist der beste Weg, es zu verfehlen.
Meditieren und Yoga sind längst nicht mehr in Spiritualitätsecke zu finden, sondern auch in Unternehmen wie SAP und Google, die Achtsamkeitskurse für ihre Mitarbeiter anbieten. Was verbinden Sie mit Achtsamkeit, und wie wird das Thema von Ihnen gelebt?
Achtsamkeit verbinde ich mit einer bewussten und nicht wertenden Wahrnehmung dessen, was im Hier und Jetzt geschieht. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei Gegenwärtigkeit durch Selbstbeobachtung (Körperempfindungen, Emotionen, Gedanken). Auch geht es darum, aus Multitasking One-Tasking zu machen.
Ein wichtiger Begriff ist in diesem Zusammenhang die Slow-Philosophie, die sich als Kulturrevolution gegen die Vorstellung versteht, dass schneller immer auch besser ist …
Das bedeutet allerdings nicht, Dinge im Schneckentempo, sondern in angemessener Geschwindigkeit zu tun und im Augenblick zu sein. Das Meditieren ist mir in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, denn es hilft, mit der richtigen Einstellung zu beginnen, sich selbst besser anzunehmen, sich auf den Moment zu konzentrieren und den Blick fürs Wesentliche zu schärfen. Auch für das Unternehmen ist es wichtig, denn es fördert Gesundheit, Teamgeist, Kreativität, Produktivität, aber auch Selbstverantwortung. Es geht um Qualität, nicht um Quantität.
Narzissten führen Unternehmen oft an die Wand weil sie sich selbst überschätzen. Welche Ego-Erfahrung haben Sie gemacht?
Der eigene Erfolg gibt dem eigenen Ego Nahrung. Es bläht sich dadurch auch immer mehr auf. Bei Kritik rastet das Ego aus. Erfolg macht einige Menschen eitel. Und die stürzen dann ab, weil sie unter Selbstüberschätzung leiden. Aber als Unternehmer geht es um Verantwortung, nicht um Selbstdarstellerei. Deshalb: Keine falsche Bescheidenheit, aber trotzdem auf dem Boden bleiben.
Welche Möglichkeiten gibt es, der Ego-Falle zu entkommen?
Selbstreflexion verhindert, dass man egozentrisch, verblendet und ignorant wird und nur noch einem inneren Stressprogramm folgt. Man muss bereit sein, sich selbst zu hinterfragen, sich zu verändern und sich stetig zu verbessern.
Viele Mittelständler mögen es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Lieber möchten sie in Ruhe für sich arbeiten. Weshalb halten Sie Vorträge und gehen auch ins Rahmenlicht?
Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, nicht Versteck zu spielen und sich deutlich zu positionieren sowie vor allem sein Wissen zu teilen. Die Themen Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung gelangen häufig nicht in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit oder werden von vielen Menschen aufgrund der austauschbaren Sprache für reine Werbung gehalten. Nur selten erreichen sie wirklich die Herzen. Deshalb setze ich auch darauf, Geschichten in meinen Vorträgen und Büchern zu erzählen, die vom Weg der eigenen Meisterschaft handeln. Die Erfahrungen aus dem Hochleistungssport spiegele ich in die Wirtschaft. Die Wirtschaft kann sehr viel vom Leistungssport lernen.
Zur Person:
Matthias Krieger, Jahrgang 1962, hat im Jahr 1992 die Unternehmensgruppe Krieger + Schramm (K+S) gegründet. Für das Hochbauunternehmen mit Hauptsitz in Dingelstädt und Niederlassungen in Kassel, Frankfurt/Main, München und Berlin ist unternehmerischer Erfolg eng mit einer wertebasierten Unternehmenskultur verbunden, die Partnerschaft, Dialog, Transparenz und Leistung fördert. Buchpublikationen: „Die Lösung bist Du! Was uns wirklich voranbringt“ (BusinessVillage Verlag 2011) und „Praxiswissen Eigentumswohnung: Was Sie vor dem Kauf einer Neubauwohnung wissen sollten“ (BusinessVillage Verlag 2020).
Weiterführende Literatur:
Matthias Krieger: Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Bau- und Immobilienbranche. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021, S. 459-466.