Andersmachen (5/2020): Workhacks, damit Change-Maßnahmen endlich gelingen
Workhacks, so nennt man in jungen Unternehmen Methoden, Maßnahmen und Tools, die dazu dienen, ineffizient gewordene Vorgehensweisen möglichst rasch loszuwerden und laufend bessere, intelligentere, wirkungsvollere Wege der Arbeitsbewältigung, der Zielerreichung und der Zusammenarbeit zu installieren.
Die Wirtschaft und damit auch das Arbeitsumfeld verändern sich zunehmend schnell. Permanente Vorläufigkeit ist die neue Norm. Klassische Change-Projekte funktionieren deshalb nicht mehr. Von ihrer Grundlogik her sind sie reaktiv. Sie holen Veränderung nach, werden also erst dann angestoßen, wenn sich ein Problemfeld längst gezeigt hat.
Veränderung ist zudem ein Prozess, kein Projekt mit Anfang und Ende. Welche Art Vorgehen wird also gebraucht? Eine erstens fortwährende und zweitens vorausschauende Selbsterneuerung in kleinen Schritten. Ist man nämlich daran gewöhnt, sich fortlaufend anzupassen, dann ist es viel leichter, Wandel voranzubringen.
Beharrungstendenzen und Unlust entstehen auch dann, wenn etwas von Oben verordnet wird. Zustimmung hingegen entsteht, wenn man über eine Veränderung selbst entscheidet. Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und Umschwung. Dann tut man etwas nicht, weil man das muss, sondern deshalb, weil man es wirklich will.
Hier kommen die Workhacks ins Spiel. Sie werden von den Mitarbeitern selbst initiiert und sorgen für ständige operative Verbesserungen im Arbeitsbereich. Im Rahmen von „Hack the Org“-Veranstaltungen kann das sogar in größerem Umfang passieren. Dabei geht es natürlich um „White-Hat-Hacks“, also um solche, die guten Zwecken dienen.
Workhacks: in jungen Unternehmen längst üblich
In jungen Unternehmen entsteht Veränderungsbereitschaft natürlich und kontinuierlich, weil sie durch ständiges Ausprobieren, Reflektieren, Adaptieren und Optimieren quasi täglich trainiert wird. Viele der dort praktizierten Workhacks sind im Grunde nicht neu, sie werden allerdings erfrischend neu interpretiert.
Der entscheidende Unterschied: Dort werden Change-Maßnahmen nicht, wie in klassischen Organisationen üblich, „von oben“ angestoßen und dann zwangsweise über die ganze Firma „ausgerollt“. Vielmehr kann hierarchieunabhängig jeder einzelne Mitarbeiter Workhacks initiieren, wenn er die Notwendigkeit dafür sieht.
Workhacks brauchen keinen langen Planungsvorlauf und kein offizielles Controlling. Sie werden auch nicht als Muss vorgegeben, sondern stellen Anregungen dar. Weil im Vorfeld nicht klar ist, wie die Organisation darauf reagiert, werden sie zunächst ganz unkompliziert als Experiment konzipiert und dann iterativ weiterentwickelt.
Sie werden für eine festgelegte Weile getestet und nur dann implementiert, wenn sie von allen als hilfreich erachtet werden. Das Team entscheidet das unter sich. Der Chef wird weder als Ermächtiger noch als Schiedsrichter gebraucht. So machen Workhacks die Anwender frei von Fremdsteuerung - und ein Unternehmen rasch sehr viel besser.
Workhack für Bürokratieabbau: „Kill a stupid rule“
Um agiler, effizienter und innovativer zu werden, müssen zunächst die bürokratischen Altlasten weg. „Kill a stupid rule“ setzt genau an diesem Punkt an. Das Konzept wurde ursprünglich von US-Banker Vernon Hill entwickelt. Die Ausgangsfrage dazu:
„Kill a stupid rule!“ Von welchen untauglichen Standards, Regeln und Verfahren und von welchem administrativen Unsinn sollten wir uns schnellstmöglich trennen?
Bitten Sie zum Beispiel im Rahmen eines Abteilungsmeetings die Anwesenden, sich zu zweit zusammenzusetzen und innerhalb von zehn Minuten so viele „stupid rules“ wie nur möglich zu finden, auf Haftzettel oder Moderatorenkärtchen zu schreiben und anonym an eine umgedrehte Pinnwand zu heften. Sie werden sich wahrscheinlich wundern, wie auf einmal die Funken sprühen und was so alles zusammenkommt.
Ist die Sammlung komplett, wird eine Priorisierung vorgenommen. Danach machen sich bereichsübergreifende Dreier-Teams an die Arbeit, um „stupid rules“ ganz zu streichen oder durch neue, agilere Vorgehensweisen zu ersetzen. Zum Start fängt man am besten dort an, wo sich schnell etwas bewegen lässt. Dies deshalb, weil erste Erfolgserlebnisse dann zügig sichtbar werden und im Unternehmen via Storytelling die Runde machen.
Der Y-Talk: die Suche nach dem Sinn in der Arbeit
Einen ganz besonderen Workhack habe ich im gleichnamigen Buch der Organisationsentwicklerin Lydia Schültken entdeckt: den Y-Talk (gesprochen: Why Talk). Das ist ein Format, bei dem man über den Sinn seiner Arbeit spricht. Im Getriebe des Tagesgeschäfts geht der Blick auf das große Ganze und die Frage nach der Identifikation mit dem Unternehmen leider oft und schnell unter.
Die Menschen wollen mehr als nur Geld nach Hause tragen. Tief drinnen sehnt sich jeder nach einer Arbeit, die ihn mit Sinn erfüllt. Eingebunden sein, mitwirken können, mehr aus sich machen, Stolz auf selbst Erreichtes, das ist es, was uns treibt. So kann es bei einem Treffen unter sachkundiger Leitung auch mal um folgende Fragen gehen:
Warum bin ich hier, in dieser Firma? Und warum bin ich nicht woanders?
Warum mache ich das überhaupt? Was kann ich der Welt damit geben?
Was treibt mich im Innersten an? Was gibt Kraft? Was entzieht Kraft?
Stelle, Kollegen, Unternehmen: Passt das für mich (noch) zusammen?“
Wie sich eine solche Reflexionsarbeit konkret anpacken lässt? Am besten in Zweier-Teams stellt man einander folgende Frage:
„Kannst du dich an einen Arbeitsmoment erinnern, bei dem du wirklich das Gefühl hattest, eine sinnvolle Arbeit zu tun? Erzähl mir doch bitte davon.“
Der Fokus liegt also auf dem Positiven und hat klärende Wirkung. Grundsätzlich muss es jedem selbst überlassen sein, ob und in welcher Form er sich öffnet. Und wenn dabei Negatives zutage tritt? Gut so! Dann kann man es endlich beheben. Am Gefährlichsten ist immer das, was im Verborgenen gärt.
Und wenn daraufhin jemand geht? Besser so. Der Schaden, den maximal unzufriedene Mitarbeiter nicht nur intern sondern auch extern anrichten können, ist ganz enorm. Jeder Beschäftigte ist auch Sprachrohr am Markt, ein Ambassador und Meinungsmacher, der über die Reputation seines Arbeitgebers maßgeblich mitentscheidet: bei potenziellen Bewerbern, bei seinen Kollegen und bei den Kunden.
Mehr zum Thema in: Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft (Finalist beim International Book Award 2019)
Und für die, die sich echt an die Arbeit machen wollen: Die nächste Ausbildung zum zertifizierten Orbit-Organisationsentwickler findet vom 17. - 19. Feb. 2022 in München statt. Zu weiteren Infos und zur Anmeldung geht's hier.
Über die Autorin
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Zudem wurde sie mit dem BestBusinessBook Award 2019 ausgezeichnet. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus. www.anneschueller.de