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Wie lassen wir diese Krise hinter uns? - © Klaus Vedfelt/Getty Images

Arbeit steckt in einer Identitätskrise – wie kommen wir da wieder raus?

„Eine Krise hat zwei Entwicklungsmöglichkeiten: Lösung oder Verschärfung“, schreibt Alice Hasters in ihrem Buch „Identitätskrise“. Sind diese 5 Trends des Zukunftsinstituts der Ausweg?

Die Journalistin und Bestsellerautorin Alice Hasters hat ein Buch über Identität geschrieben. Genauer: über Identitätskrisen. Ihre eigene, aber auch unsere kollektive Identitätskrise, die wir als Deutsche, als Europäer·innen, als Menschen gerade erleben. Dort definiert sie: „Identität ist eine Geschichte, die man über sich selbst erzählt.“

Beim Lesen bin ich oft berührt, aber auch überrascht. Ihre Analysen haben eine Metaebene, die mich an die Arbeitswelt denken lässt: Wie steht es um die Identität von Arbeit, des Arbeitsmarkts, unser Verständnis von Erwerbsarbeit? Wie passen die Narrative von „New Work“ und den sogenannten Arbeitnehmermarkt mit den Erfahrungen zusammen, die Arbeitnehmende und Freiberufliche jeden Tag machen?

„Im Zusammenhang von Identität“, schreibt Hasters weiter, „definiere ich ,Krise‘ als die Erkenntnis, dass die Geschichte nicht aufgeht.“ Stehen sich Old Work und New Work nicht permanent im Weg? New Economy sollte eine Zeit der Disruption sein, aber fühlt es sich nicht viel mehr an wie Destruktion? Die Bewertung von Berufen, die Verteilung von Erwerbs- und Carearbeit, das Image von Voll- und Teilzeit, die Gratwanderung zwischen Selbstoptimierung und Burn-out. Beim Lesen wird deutlich: Arbeit steckt in einer Identitätskrise.

Die Arbeit ist tot

„Das Angsteinflößende am Wandel ist nicht nur, dass etwas Neues, Unbekanntes bevorsteht, sondern auch, dass etwas Bekanntes stirbt“, schreibt Hasters in ihrem aktuellen Buch „Identitätskrise“. Und wahrscheinlich ist das die Wahrheit, mit der wir kämpfen so schwierig macht – das Loslassen. Wir müssen unser Verständnis von Arbeit zu Grabe zu tragen, um neue Arbeitsrealitäten zuzulassen. In ihrem Buch beruft die Journalistin sich dabei auf die klassischen Phasen des Trauerbewältigung nach Elisabeth Kübler-Ross: Denial (Verleugnung),**Anger (Wut),**Bargaining (Verhandeln),**Depression (Trauer),**Acceptance (Akzeptanz).

Lang lebe die Arbeit

„Eine Krise hat zwei Entwicklungsmöglichkeiten: Lösung oder Verschärfung“, schreibt Hasters in ihrem Buch und je länger ich „Identitätskrise“ lese, desto plastischer wird es: So wir jetzt gerade arbeiten, in dieser Gefangenschaft zwischen Old and New, zwischen Tradition und Innovation, irgendwo zwischen „das Alte loslassen“ und „das Neue erfinden“ wird die momentane Lage auf dem Arbeitsmarkt eher verschärft, als konstruktiv gelöst.

Es gibt keine magische Glaskugel, welche die Zukunft voraussagen kann, aber wir haben Mittel und Wege, um glaubhafte Thesen zu formulieren. Das Zukunftsinstitut hat im November 2023 fünf New Work Trends identifiziert, auf die wir uns einstellen müssen. Generational Leadership | Flexibility | Explorer Networks | Transition Work | KI-Empowerment. Sind sie der Weg aus unserer Arbeitskrise?

Sind diese Zukunftstrends der Weg aus der Krise? - ©gettyimages/KlausVedfelt
Sind diese Zukunftstrends der Weg aus der Krise? - ©gettyimages/KlausVedfelt

Der Trend: Generational Leadership

Die Krise: Bis zu vier Generationen arbeiten in Unternehmen zusammen. Die Welten und die Wertvorstellungen von Babyboomern und den Generationen Z und Alpha klaffen weit auseinander. Daran kann man verzweifeln, da herrscht viel Wut, viel Neid, viel Unverständnis. Und es ist naheliegend, ärgerlich zu sein, wenn man selbst hart gekämpft hat und die jungen Generationen es jetzt leichter haben wollen.

Aber: Nur weil ich viele unbezahlte Praktika gemacht habe, bevor ich ein wenig Geld verdient habe, bedeutet das doch noch lange nicht, dass es ein fairer Vorgang war. Nur weil mein Vater kaum aktiv an meinem Alltag teilnehmen konnte, heißt das doch nicht, dass heutige Väter diese Freiheit nicht verdienen. Nur weil Frauen früher unbezahlte Carearbeit geleistet haben, gibt es keinen Grund, sie heute nicht fair dafür zu entlohnen. Wut auf Veränderung ist zwar nachvollziehbar, aber nicht konstruktiv. Sie bremst den Prozess des Loslassens.

Der Lösungsansatz: Das Zukunftsinstitut rät Unternehmen, sich folgende Fragen zu stellen:

  • Wie erfassen Sie die unterschiedlichen Motivationen der verschiedenen Altersgruppen und nutzen sie zur Steigerung der Leistung im Unternehmen?

  • Wie stellen Sie sicher, dass Wissen zwischen den Generationen im Unternehmen in beide Richtungen fließt?

  • Welche Instrumente nutzen Sie, um eine individuelle 1:1-Führung zu ermöglichen? Wird Führung in Ihrem Unternehmen als Vollzeitaufgabe betrachtet oder nur als Nebenbeschäftigung?

Der Trend: Flexibility

Die Krise: Immer mehr Unternehmen rufen ihre Mitarbeitenden zurück in die Büros. Zugestanden, Controller·innen, denen teure, aber ungenutzte Büroflächen ins Gesicht starren, mag es schwer fallen, sich für mehr remote Arbeit einzusetzen. Führungskräften, die Angst um ihren Einfluss auf ihr Team haben, mag es schwer fallen, jetzt weiter Freiheit und Selbstbestimmung einzuräumen. Wenn wir aber echte Veränderung suchen und Arbeitskräfte gewinnen wollen, dann sind 3:2 Regelungen oder gar die Aufgabe von Homeoffice keine Option mehr. „Der Trend Flexibility spiegelt die Notwendigkeit wider, sich in einer sich ständig verändernden Welt sowohl in der Arbeitswelt als auch im Privatleben anpassungsfähig zu zeigen“, schreibt das Zukunftsinstitiut. Wir dürfen nicht zurück in Arbeitsweisen verfallen, die sich bereits als kontraproduktiv herausgestellt haben. Flex-Work muss Teil der neuen Identität von Unternehmen werden.

Der Lösungsansatz: In einer unsicheren Welt, so das Zukunftsinstitut, ermögliche Flexibilität Organisationen und Einzelpersonen, sich effektiv an neue Herausforderungen anzupassen. Darum schlägt es folgende Fragen vor:

  • Können Ihre Organisationsstrukturen und -prozesse externe Veränderungen effektiv bewältigen oder ihre Auswirkungen minimieren?

  • Welche Faktoren beeinflussen die Anpassungsfähigkeit Ihrer Mitarbeiter:innen positiv oder negativ, wenn es um neue Herausforderungen geht?

  • Wer in Ihrer Organisation fördert eine moderne Flexibilitätskultur und wer stellt sich dagegen? Welche Beweggründe haben diese Akteur:innen?

Der Trend: Explorer Networks

Die Krise: Alles geht zu schnell. „Innovationsralley“ nennt es das Zukunftsinstitut. Wirtschaft und Politik bremsen sich selbst aus, indem sie ihre Hierarchien, ihre Alleinstellungsmerkmale und Privilegien schützen. Einigen wenigen wird zu Macht und Reichtum verholfen, anstelle gemeinsam auf Gemeinschaft zu setzen. Kluften wie der Income Gap, Gender Pay Gap, Pension Gap oder Opportunity Gap wachsen.

Der Lösungsansatz: Weg von Patriarchat und Wettbewerb – hin zu Austausch und Gemeinschaft. Sogenannte Explorer Netzwerke sollen die kollektive Intelligenz ihrer Mitglieder nutzen, „um Wissen, Erfahrungen und bewährte Verfahren auszutauschen und so Innovationszyklen zu beschleunigen.“ Folgende Fragen ebnen laut Zukunftsinstitut den Weg:

  • Welche strategischen Partnerschaften, beispielsweise in den Bereichen Wirtschaft, Forschung oder Zivilgesellschaft, könnten das Innovationspotenzial Ihres Unternehmens stärken?

  • Welche Maßnahmen werden von Ihrem Unternehmen ergriffen, um ein positives Innovationsumfeld im Unternehmen zu fördern und aufrechtzuerhalten?

  • Welche Anreize und Strukturen sind in Ihrem Unternehmen vorhanden, um Innovationen zu fördern?

Der Trend: Transition Work

Die Krise: Veränderung ist der Status Quo. Vielleicht war das immer so, aber so schnell war der Veränderungsprozess noch nie. Es lohnt sich nicht mehr, sich einfach Wissen und Expertise anzueignen. Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit sind Key Skills für Arbeitnehmende und Organisationen. Transition Management wird gehypt, Transformation und Change sind Modebegriffe. Aber der notwendige (Werte)Wandel wird meist beiseite gewischt. Arbeit muss als lebenslanges Lernen verstanden werden und Unternehmen und Politik müssen sich besser darauf einstellen.

Der Lösungsansatz: Das Zukunftsinstitut rät dazu, von zielorientiertem Denken zu prozessorientiertem Denken überzugehen und sich folgende Fragen zu stellen:

  • Was erwarten die Mitarbeiter:innen und Führungskräfte in Ihrem Unternehmen vom Ergebnis dieser Veränderungsprozesse?

  • Wie werden die Mitarbeiter:innen in Ihrem Unternehmen auf kontinuierliche Veränderungsprozesse vorbereitet und geschult?

  • Fördert Ihre Unternehmensstrategie eher das Ankommen und Verweilen der Mitarbeiter:innen oder ihre kontinuierliche Weiterentwicklung und Fortschritt?

Der Trend: KI Empowerment

Die Krise: Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben. Die einen haben Angst, deshalb ihre Jobs zu verlieren, die anderen haben Angst vor digitaler Diskrimierung und gesellschaftlicher Kluft. Unternehmen sehen außerdem die Einsparungen und Prozessoptimierungen, die KI mit sich bringen kann. Um dieses Spannungsfeld zu navigieren, kann man KI nicht weiter ignorieren, sondern muss sich voll einlassen.

Der Lösungsansatz: Das Zukunftsinstitut rät: Scheuklappen runter, Konfrontation: Durch Schulungen in technischen und ethischen Aspekten der KI können Unternehmen das volle Potenzial ausschöpfen und gleichzeitig die Grenzen und Verantwortlichkeiten respektieren.

  • Welche KI-Technologien sind für Ihre Branche und Organisation besonders relevant, und wie könnten sie sich auf das Management und die Mitarbeiter:innen auswirken?

  • Welche Fähigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit KI haben die Führungskräfte und Teams in Ihrem Unternehmen bereits, und welche Weiterbildungsmaßnahmen könnten sie ergänzen?

  • Welche Strategien und Tools werden in Ihrem Unternehmen verwendet, um potenzielle Fehler oder Vorurteile in KI-Systemen zu erkennen und zu korrigieren?

Identität ist die Geschichte, die man über sich selbst erzählt – darum wird Arbeit für Jede und Jeden von uns immer ihre eigene Rolle spielen. Das Konzept der Arbeit dagegen, die Rolle, die Arbeit in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben spielt, muss und wird sich verändern. Wir befinden uns in der Phase der Verhandlung. Lassen wir sie nicht scheitern.

Alice Hasters, Journalistin, Podcasterin und Autorin. - ©paula winkler
Alice Hasters, Journalistin, Podcasterin und Autorin. - ©paula winkler

**Über das Buch:**In ihrem zweiten Buch taucht Alice Hasters tief in die Identitätskrise des kapitalistischen Westens ein. Sie seziert das deutsche Selbstverständnis von Wirtschaftswunder, Erinnerungskultur, Frieden und Freiheit. Das Buch ist kritisch, tiefgründig und schafft es, Identität und Krise auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene zu hinterfragen. Es sei Zeit, sich dieser Identitätskrise zu stellen und herauszufinden, wer wir wirklich sind, sagt Alice Hasters – denn nur so können sich Menschen und Gesellschaften verändern.

Identitätskrise, Sachbuch, Hanser Verlag, 240 Seiten, € 20,00 [D] - ©hanserblau
Identitätskrise, Sachbuch, Hanser Verlag, 240 Seiten, € 20,00 [D] - ©hanserblau

Bist du schon einmal durch eine Identitätskrise gegangen? Wie hast du sie überwunden?

Kommentare

Kristina Appel (she/her) schreibt über Frauen und Arbeit, New Work, Popkultur, Gesellschaft und Populärkultur

Ich sehe mich als Verstärkerin weiblicher* Stimmen und Themen Moderatorin | Autorin | Journalistin | Speakerin | Podcasterin

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