Auf dem Weg in eine regenerative Wirtschaft
Update statt Kollaps
Unternehmen und Organisationen stehen heute vor einschneidenden Problemen und Veränderungen, die mit alten Navigationsinstrumenten nicht mehr bewältigt werden können. Benötigt werden deshalb neue Hilfsmittel. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich in allen gesellschaftlichen Bereichen unser Betriebssystem ändert. Probleme entstehen zwangsläufig, wenn das System von seiner Umwelt überfordert ist. Sie „können nicht mit der gleichen Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind“, sagte schon Albert Einstein. Um sich an die Komplexität anzupassen, muss die technologische, soziale und ökonomische Vernetzung der Gesellschaft durch Updates erhöht werden. Wird zu lange auf ein veraltetes Betriebssystem gesetzt statt das Update zu programmieren, droht der Kollaps. Wer nur das Entweder-Oder sieht, aber nicht die Vernetzung, wird den Transformationsprozess kaum wirksam mitgestalten können. Ihm müssen sich heute alle gesellschaftlichen Bereiche, Unternehmen und Organisationen stellen. Damit verbunden ist ein neues, ganzheitliches Denken über Strukturen, Prozesse, Denkmuster und Werte sowie ein verstärkter Umgang mit Komplexität. Viele Organisationen können damit nicht umgehen und sind verunsichert, was oft zum Kollaps von Systemen führen kann, wenn auf nachhaltige Reformen verzichtet wird. Auch wird regeneratives Wirtschaften in vielen Organisationen immer noch als reines Strategie-, Reporting-, Kommunikations- oder CSR-Thema betrachtet. Das ist zwar nicht falsch, doch es genügt nicht, wenn innerhalb kürzester Zeit das gesamte Unternehmen umgebaut werden muss. Erforderlich ist ein “synchrones Vorgehen und ein Anpacken aller Teams in allen Bereichen“.
Der Stellar Approach
Simon Berkler und Ella Lagé sind Experten für regenerativen Wandel stellen in ihrem aktuellen Buch „Der Stellar Approach“ ein Framework vor, der Organisationen dabei unterstützt, die Nachhaltigkeitstransformation strukturiert und mit einem klaren Prozess flächendeckend und in der gesamten Breite der Organisation zu verankern: Schrittweise lernen Teams, wie sie in ihrem eigenen Einflussbereich zur Nachhaltigkeitstransformation beitragen können. Dabei geht es nicht nur um regenerative Strategien, Prozesse und Strukturen, sondern auch um regenerative Kulturen und Haltungen. Regenerative Praktiken beginnen auf der individuellen Ebene an, lassen sich auf Team-Ebene und auf Organisationsebene beschreiben. In ihrem Stellar Approach haben sie vier Stellar-Prinzipien entwickelt, die sich auf Strategie, Prozesse und Kultur anwenden lassen.
Die Stellar-Prinzipien für regenerative Organisationen
Stellar-Prinzip 1: Embedded
Lebende Systeme ziehen gegenseitigen Nutzen aus den wertschöpfenden Beziehungen ihrer Komponenten. Die Prinzipien der gegenseitigen Abhängigkeit und Kooperation gelten für Organisationen und globale Ökosysteme gleichermaßen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten zu Stakeholdern sollten so gestaltet sein, dass der positive Impact einen möglichen negativen Impact übersteigt.
Stellar-Prinzip 2: Diverse
Diversität und Inklusion sind wichtige Basiselemente für eine regenerative Transformation: Vielfalt sichert das Überleben, weil sie die Optionen erhöht und die Resilienz des Gesamtsystems steigert. Ausgrenzungen von sozialen Gruppen würde dazu führen, dass deren potenzielle Beiträge zur Gesellschaft fehlen. Unternehmen, denen es nicht gelingt, die Bedürfnisse einer diversen Gesellschaft zu erfüllen, werden künftig an Bedeutung verlieren.
Stellar-Prinzip 3: Circular
Das fundamentale Muster des Lebens bildet einen geschlossenen Kreislauf, während das grundlegende Modell der modernen Wirtschaft linear ist. Eine Harmonisierung dieser beiden Grundmuster ist unerlässlich, um eine dauerhaft lebenswerte Umwelt zu sichern. Alles, was in der Natur wächst, gedeiht durch ihr zugrunde liegende Strukturen, die sich selbst verstärken. Auch in Unternehmen und Organisationen können selbstverstärkende Kreisläufe zu Veränderungen führen und nachhaltiges Wachstum bewirken. Verwiesen wird in diesem Kontext auch auf die Donat-Ökonomie von Kate Raworth: Der Donat weist in eine Zukunft, in der die Bedürfnisse jedes Menschen befriedigt werden, während zugleich die lebendige Welt geschützt wird. Er ist eine Visualisierung der sozialen und ökologischen Bedingungen, die das Fundament des allgemeinen menschlichen Wohlbefindens bilden. Die ökologische Decke stellt die äußere Grenze des Donuts dar, die durch den Druck des Menschen auf die lebensspendende Erde in gefährlicher Weise überschritten wird. Unterhalb des gesellschaftlichen Fundaments des Donuts liegen die Defizite und Unzulänglichkeiten. Der innere Ring (das gesellschaftliche Fundament) stellt die grundlegenden zwölf Komponenten des Lebens dar: ausreichend Nahrung, sauberes Wasser und funktionierende sanitäre Einrichtungen, Zugang zu Energie und sauberen Kochgelegenheiten, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, angemessenes Wohnen, ein Mindesteinkommen und eine ordentliche Arbeit, Zugang zu Informationsnetzen und zu sozialen Unterstützungsnetzen. Nach Raworth eignen sich diese sieben Wege am besten dazu, damit anzufangen, das alte ökonomische Modell zu beseitigen:
1. Das Ziel ändern (Der Donut)
2. Das Gesamtbild erfassen (Eingebettete Ökonomie)
3. Die menschliche Natur pflegen und fördern (Sozial anpassungsfähiger Mensch)
4. Den Umgang mit Systemen lernen (Dynamische Komplexität)
5. Auf Verteilungsgerechtigkeit zielen (Von vornherein Verteilungsgerechtigkeit anstreben)
6. Eine regenerative Ausrichtung fördern (Von vornherein regenerativ ausrichten)
7. Eine agnostische Haltung zum Wachstum einnehmen (Agnostisch gegenüber Wachstum).
In regenerativen Organisationen wird das Prinzip der Zirkularität auf vielfältige Weise umgesetzt. Hierbei werden nicht nur Materialien oder Dienstleistungen betrachtet, sondern auch die Energie, die jeder Mitarbeiter dem Unternehmen beisteuert (innere Ressourcen).
Stellar-Prinzip 4: Long-term
Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist vielfach durch Kurzsichtigkeit hinsichtlich seiner langfristigen Folgen gekennzeichnet (Tendenz zur Kurzfristorientierung). Die Zeitstrukturen des aktuellen Wirtschaftssystem harmonieren nur bedingt mit den Zeitstrukturen der natürlichen Systeme, von denen unser Überleben abhängt. Vor allem wurde es versäumt, den Ökosystemen genügend Zeit für ihre notwendige Regeneration zu gewähren. Regenerative Unternehmen setzen auf einen langfristiger Zeitrahmen (Entscheidungen werden über Quartalsergebnisse hinaus und im Kontext von Generationen getroffen).
Grundlagen einer regenerativen Organisation
- Arbeit am System und im System
- Gemeinsames Begriffsverständnis
- Beziehungsfähigkeit
- Verstetigung des Brauchbaren und Verabschiedung des weniger Brauchbaren
- vom linearen zum zirkulären und systemischen Denken kommen (Kreislaufdenken)
- Bewusstsein für Dringlichkeit
- Regenerative Entscheidungen treffen
- Klares Gefühl für die richtige Richtung
- Gestaltungsfreude /Kombination aus Optimismus und Kreativität)
- Konzentration auf planetare Gesundheit und gesellschaftliches Wohlergehen
- radikale Entwicklungsorientierung (z.B. Änderung der „Flughöhe)
- Eigenen Einflussbereich nutzen
- Nutzung von Emotionen in Transformationsprozessen
- Neuer Blick den Begriff Erfolg („regenerativer Erfolg“, der den ökologischen Fußabdruck und den Handabdruck gleichermaßen berücksichtigt)
- Fortschritte sichtbar machen
- Nachhaltige und regenerative Gewohnheiten in der gesamten Organisation
- Philosophie des Handelns, die in der Lage ist, dem Leben einen Sinn zu geben
- moralischer Kompass: Kopf, Hand und Herz
- Komplexitätsdenken ist heute entscheidend für das Verstehen und die Gestaltung der Welt
- Prozesse als Kreisläufe gestalten
- Anerkennen von Komplexität
- Klare, gemeinsame Intention setzen
- Offenheit für Veränderungen
- Resiliente und sich selbst regulierende Organisationen sind so strukturiert, dass sie sich klug anpassen können („fit“ sind)
- Prozesse, die Aufgaben in der gesamten Organisation in handhabbare Schritte teilt
- Purpose als Wesenskern einer regenerativen Organisation
- Nutzung Regenerativet Praktiken, die auf der individuellen Ebene beginnen und sich auf Team-Ebene und auf Organisationsebene fortsetzen
- Einbeziehung vielfältiger Sichtweisen als zentraler Faktor für die organisationale Resilienz und Etablierung von Resilienzroutinen
- Entwicklung kooperativer Systeme
- Systemwandel der Wirtschaft: mutige Vereinbarungen auf politischer Ebene und aktive Gestaltungsarbeit in den Unternehmen
- Bewusstwerden und Ernstnehmen der eigenen Verantwortung
- Vernetztheit verstehen
- neues Verständnis von Organisationen und ihrem Platz in der Welt
- Schulung der eigenen Wahrnehmung
- Eine Weltsicht, die das konkrete Denken, Handeln und Fühlen in den Blick nimmt und gleichzeitig einen Blick von oben auf die Welt wirft
- Kritische Hinterfragung unseres Umgangs mit Zahlen, Rechenwerken und Auswertungen
- langfristiger Zeitrahmen: Entscheidungen über Quartalsergebnisse hinaus und im Kontext von Generationen treffen
- Zusammenschluss in Communitys.
Was es heute braucht, ist ein „offenes Betriebssystem“ (Joël Luc Cachelin), das sich mit dem stetigen äußeren Wandel ebenfalls ändern muss, aber nicht in Eigenregie entwickelt werden kann, sondern die Mitwirkung vieler braucht.
Das Buch:
- Simon Berkler, Ella Lagé: Der Stellar-Approach. Wie deine Organisation zum regenerativen Wandel der Wirtschaft beiträgt. Campus Verlag, Frankfurt am Mai 2024.
Weiterführende Informationen:
- Update! Warum komplexe Organisationen ein neues Betriebssystem brauchen
- Wie Science Based Targets Initiative (SBTi) Unternehmen beim Erreichen ihrer Klimaziele unterstützt
- Nachhaltiger Wandel mit Hand und Fuß: Ökologischer Fuß- und Handabdruck
- Gutes Leben im 21. Jahrhundert: Warum wir ein neues ökonomisches Denken brauchen
- Resilienz und Nachhaltigkeit: Was uns stark macht
- Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2021.
- Joël Luc Cachelin: Update! Warum die digitale Gesellschaft ein neues Betriebssystem braucht. Stämpfli Verlag AG, Bern 2016.
- Joël Luc Cachelin: Offliner. Die Gegenkultur der Digitalisierung. Stämpfli Verlag AG, Bern 2015.
- CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. 2. Auflage. Berlin, Heidelberg 2021.
- Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2020.
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
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