Beigeschmack von trauriger Notwendigkeit: Selbstversorgung in Krisenzeiten
In vielen Geschäften und Supermärkten fehlen Mehl, Nudeln oder Sonnenblumenöl, was einmal mehr verdeutlicht, wie sehr wir auf globale Lieferketten angewiesen sind.
Große Importeure wie China „bunkern“ Lebensmittel und erschweren über Zölle und andere Restriktionen den Handel. Hinzu kommt der Krieg am Schwarzen Meer und der Ausfall zweier Großexporteure von Getreide, Ölsaaten, Dünger und Energierohstoffen. Das treibt die globalen Preise weiter nach oben und führt in vielen Regionen zu Hamsterkäufen. Nahrungsmittel kosteten im Februar 2022 bereits 5,1 % mehr als im Vorjahr, bei Fleisch lag der Aufschlag bei 4,1 %, bei Milch bei 6,2 % und bei Brot bei 5,2 %. Die Preise für Pflanzenöle sind mit 19 % am stärksten gestiegen. Neben dem European Green Deal, Klimaschutz und Klimaneutralität beschäftigen sich auch Unternehmen aller Größenklassen und Branchen mit dem Thema Versorgungssicherheit. 2010 erschien „Das Handbuch der Selbstversorgung" von Marion und Michael Grandt, das sich dem Überleben in der Krise widmet. Die Fragen, denen es sich widmete, berührten damals nicht wirklich, weil vieles in unserer Wohlstandsgesellschaft nicht vorstellbar war: Wie ist die Versorgungslage in Deutschland? Wie viel Nahrung und Wasser braucht der Mensch? Was ist zu tun, wenn es keine Lebensmittel mehr zu kaufen gibt, wenn Geld kein Zahlungsmittel mehr ist, und es keine ärztliche Versorgung mehr gibt? Wenn es zu einem Crash kommen sollte, der zu Versorgungsengpässen führt, bleiben nach Meinung der Autoren nur wenig Alternativen: Flucht aus der Stadt, Tauschmittel und Selbstversorgung.
Die Konsument:innen sind umwelt- und gesundheitsbewusster geworden. Es wird verstärkt darauf geachtet, wo die Produkte herkommen, und dass sie möglichst regional sind. Während in der Nachkriegszeit bis in die 1960er und 1970er Jahre war das Anbauen von Obst und Gemüse im eigenen Garten selbstverständlich. Mit dem Aufkommen von Fertiggerichten, Mikrowellen und Lieferdiensten verlor das Anbauen von Nahrungsmitteln immer mehr an Bedeutung. Vielen diente der Garten vorrangig der Erholung. Das änderte sich allerdings in den letzten beiden Jahrzehnten: Auch viele junge Menschen engagieren sich in flexiblen regionalen Netzwerken mit weitgehend geschlossenen Stoffkreisläufen. Sie möchten ihr eigenes Lebensumfeld bewusster gestalten, legen wieder Obst und Gemüse ein, kochen Eintöpfe vor, frieren ein, marinieren oder beschäftigen sich mit traditionellen Konservierungstechniken. Einige pachten sogar Ackerboden zur Selbstversorgung, weil sie dadurch die Behandlung ihrer Lebensmittel selbst in der Hand haben, lange Transportwege umgehen und sich die Auswahl nach eigenen Bedürfnissen zusammenstellen können. Hinzu kommt, dass angebautes Essen nicht nur nährstoffreicher ist, sondern auch besser schmeckt.
Eigenarbeit, Tauschringe, Nachbarschaftshilfe und Community-Gärten sind ebenfalls einige der Umsetzungsmöglichkeiten, die Fremdversorgung zu Gunsten der Selbstversorgung zurückzufahren. Auch Vorräte werden durch den Anbau im eigenen Garten und die anschließende Konservierung selbst über längere Zeit lagerfähig gemacht. Plötzlich stehen auch wieder Produkte im Fokus, die in den vergangenen Jahren ein Schattendasein führten – zum Beispiel Dörrautomaten, um Obst, Gemüse, Kräuter oder Fleisch schonend zu trocknen und zu konservieren, Weck-Gläser und Zubehör sowie Aufbewahrungsbehälter aus nachhaltigem Material. Dadurch wird eine längere Lagerfähigkeit zahlreicher Lebensmittel gewährleistet als mit Behältern aus Kunststoff. „Dennoch sollten Vorratsdosen und Brotdosen aus Kunststoff nicht einfach weggeworfen werden, weil dadurch noch mehr unnötiger Müll erzeugt wird“, sagt Claudia Silber, die beim Ökoversender memo die Unternehmenskommunikation leitet. Allen, die neue Behälter kaufen möchten, empfiehlt sie plastikfreie Alternativen aus Edelstahl, Glas oder Holz, die in der Produktion teils etwas aufwändiger als Plastikdosen sind, doch würden ihre Stärken überwiegen, denn sie sind langlebiger und gesundheitlich unbedenklicher.
Das Bewusstsein für den richtigen Umgang mit Vorräten verdeutlicht zugleich, was es bedeutet, nachhaltig mit Ressourcen umzugehen. Ökoläden und nachhaltige Onlineshops wie memolife verzeichnen aber auch einen vermehrten Verkauf von Produkten rund um das Thema Camping und autarkes Leben. Beliebt sind beispielsweise Solartaschenlampen und Sonnengläser, die im Rahmen eines regionalen Projekts aus Johannesburg in Handarbeit von zuvor arbeitslosen Männern und Frauen hergestellt werden. Das „tragbare Solarkraftwerk“ besteht zu 70 Prozent aus regionalen Materialien und ist in Afrika vor allem in Gebieten ohne zuverlässige Stromversorgung im Einsatz.
Reserven anlegen: Warum wir einen Blick für Ressourcen entwickeln sollten
Kathrin Hollmer: Waschen, schneiden, einlegen. In: Süddeutsche Zeitung (19./20.3.2022), S. 64.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen von Amazon Media EU S.à r.l. 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Küchen-Kultur und Lebensart: Warum Verantwortung nicht zwischen Herd und Kühlschrank aufhört. Amazon Media EU S.à r.l. 2017.
Matthias Krieger: Der Weg als Quelle zum Erfolg. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.