Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Neue Qualitätsmaßstäbe in der Tourismusbranche

Seehotel Wiesler
Titisee | Schwarzwald

Jährlich werden in Deutschland tausende neue Hotelzimmer gebaut. Die Inneneinrichtung hat eine begrenzte Lebensdauer von etwa 15 Jahren, bevor die meisten Materialien entsorgt werden. Das führt zu erheblicher Ressourcenverschwendung, Umweltbelastung und hohen Kosten. Peter Bachmann und Fabian Wiesler erklären im Interview, dass durch eine gezielte Auswahl von kreislauffähigen Materialien und Produkten Ressourcenverschwendung reduziert, wertvolle Rohstoffe erhalten und Umwelt- und Klimaauswirkungen minimiert werden können, ohne dabei auf Qualität, Individualität und echtes Naturgefühl zu verzichten.

Interview mit Peter Bachmann und Fabian Wiesler

Was bedeutet im Idealfall gesünderes Bauen in der Hotel- und Tourismusbranche?

Peter Bachmann: Materialgesundheit ist ein Teil der 5 CircularCheck Transformationskriterien und die Grundvoraussetzung der Zirkularität neben sozialer Fairness, Biodiversität, CO2-Kriterien. Materialgesundheit und Innenraumhygiene sind Teile eines Gesundheitskonzepts in öffentlichen Gebäuden - und somit auch im Hotel. Hierzu gehören die Emissionen aus Produkten, Bauprozessen, Betrieb, Raumluftqualität in Bezug auf Keime, Feinstaub, CO2, Akustik und einige weitere Kriterien. Es partizipieren alle Nutzer des Hotels. Mitarbeiter sind leistungsfähiger und haben weniger Krankzeiten und selbstverständlich gilt dies auch für den Gast. Häufig sind Kopfschmerzen am Morgen auf die schlechte Luft im Zimmer zurückzuführen. Geschulte Mitarbeiter, geprüfte Materialien und qualifizierte Prozesse. Ganz wichtig ist eine regelmäßige oder dauerhafte Qualitätsüberwachung einige gesundheitlicher Faktoren. Hierfür gibt es kostengünstige Sensoren.

Fabian Wiesler: Neben den Schadstoffemissionen sind auch die schadstoffbezogenen Inhalte relevant. Dies ist wiederum vor allem für den Verarbeiter der Baustoffe von Bedeutung. Beispielsweise ist die Verarbeitung von asbesthaltigen Materialien aus diesem Grund in der heutigen Zeit ein absolutes No-Go, Viele Stoffe, die heute noch verarbeitet werden, beinhalten noch Schadstoffe.

Der Trend, natürliche Baustoffe zu verwenden, ist schon seit einiger Zeit zu beobachten. Doch worauf sollte bei der Verwendung geachtet werden? Und was sind wichtige Kennzeichen nachhaltiger Baustoffe?

Peter Bachmann: Das ist ein recht anspruchsvoller Aspekt. Es gibt so viele Begrifflichkeiten im Marketing – Attribute wie „nachwachsend“, „ökologisch, „nachhaltig“, „biologisch“ etc. sind oft sehr irreführend. Es braucht deshalb klare und messbare Qualitäten. Circular Living vereint höchste Standards für wohngesunde Materialien mit den Prinzipien der Circular Economy, insbesondere dem Cradle to Cradle® Designprinzip, und setzt damit neue Maßstäbe für nachhaltige zirkuläre Inneneinrichtung gemäß der EU-Taxonomie. Führende Experten in den Bereichen Design, Architektenberatung und Dekarbonisierung haben maßgeblich zur Entwicklung und Umsetzung dieses wegweisenden Konzepts beigetragen: RITTWEGER hat in Kooperation mit der CircularSkills GmbH und dem GreenSign Institut das Bewertungssystem für die GreenSign Circular Zertifizierung entwickelt, welches erstmals im Jahr 2023 bei der Zertifizierung der Circular Living Designzimmer des Hotels SCHWARZWALD PANORAMA angewendet wurde. Es bietet eine vollständig wiederverwendbare Inneneinrichtung ohne Kompromisse beim Erlebnis- und Wohlfühlcharakter. Die verbauten Materialien werden am Ende der Lebensdauer zurückgenommen, qualitätsorientiert aufbereitet und wiederverwendet. 

Richtet sich die GreenSign Circular Zertifizierung ausschließlich an Hotels?

Peter Bachmann: Nein, sie bietet auch Bauherren und Investoren im Bereich von Wohnanlagen, Einkaufsmärkten, Büros, Kliniken, Schulen, Kitas, Sportstätten und mehr eine klare und messbare Perspektive für zukunftssichere Investitionen. Das System gewährleistet die Erfüllung höchster ökologischer und sozialer Standards und dient als Wegweiser für visionäre Gestaltungsmöglichkeiten im Bauwesen. Im Kontext der ESG-Kriterien ermöglicht es eine klare Positionierung und erhöhte Transparenz bezüglich der Umweltperformance. Es trägt somit dazu bei, das Vertrauen von Investoren und Stakeholdern zu stärken und den Zugang zu nachhaltigen Finanzierungsquellen zu erleichtern. Das System setzt den derzeit höchsten Nachhaltigkeitsstandard um, basierend auf den Kriterien des EU Green Deal und der EU-Taxonomie. Dabei integriert es Indikatoren zur Messung von Zirkularitätsfaktoren, die an der ETH Zürich entwickelt wurden. Zusätzliche Bewertungskriterien leiten sich aus den Anforderungen der EU-Transition Pathways sowie dem Cradle to Cradle-System ab.

So hat der Investor und Nutzer der Hotelimmobilie eine klare Anforderung an die Qualität. Da die Green Claims Directive glücklicherweise in den Markt kommt, werden die Nachhaltigkeitsaspekte künftig messbarer und valider werden. Verbraucher erhalten dadurch zuverlässige, vergleichbare und überprüfbare Umweltinformationen über Produkte. Dazu gehören klare Kriterien, wie Unternehmen ihre Umweltaussagen und -labels nachweisen sollen, Anforderungen an die Überprüfung dieser Angaben und Etiketten durch einen unabhängigen und akkreditierten Prüfer und neue Regeln für die Verwaltung von Umweltkennzeichnungssystemen, um sicherzustellen, dass sie solide, transparent und verlässlich sind. 

Fabian Wiesler: Prinzipiell erkennt man einen kreislauffähigen Baustoff daran, wenn dieser entweder aus recyceltem Material, aus nachwachsenden Rohstoffen oder aus wiederverwendetem Material besteht. Außerdem muss dieser nach Nutzungsdauerende leicht entweder dem biologischen oder technischen Kreislauf wieder zurückgeführt werden können.

Warum garantiert die Verwendung eines aus natürlichen Rohstoffen hergestellten Bauproduktes noch keine Nachhaltigkeit bzw. warum sagt eine Zertifizierung oder Kennzeichnung von Bauprodukten nur bedingt etwas über die Nachhaltigkeitskriterien aus?

Peter Bachmann: Die gefährlichsten Giftstoffe kommen aus der Natur. Somit garantiert ein natürliches Material zuerst einmal gar nichts. Es braucht wissenschaftlich valide Kriterien, welche vereinbart werden und kontrolliert werden. Vorrangig braucht es Transparenz über die Summe aller Materialien, die Eigenschaften und Verarbeitungsprozesse. Ein extrem kreislauffähiges und wohngesundes Holz, welches mit einem problematischen Kleber verarbeitet wird, bringt ein Problem in den Innenraum. Eine Zertifizierung kann man machen, ist aber immer ein Aspekt der Verteuerung. Ein Produkt von einem seriösen Hersteller mit einer rechtssicheren Konformitätserklärung ist in meiner Welt auch sehr hochwertig.

Fabian Wiesler: Problematisch wird es dann jedoch, wenn irreführende Siegel nachhaltige Baustoffe suggerieren. Dem Verbraucher, der letztendlich die Kaufentscheidung trifft, lässt sich dadurch sehr schnell die falsche Botschaft vermitteln. Schließlich kann man vom durchschnittlichen Verbraucher nicht erwarten, dass dieser sich bis ins kleinste Detail mit allen Siegeln am Markt auskennt.

Wie wird in Ihrem Hotel gewährleistet, dass auch nachwachsende und recyclebare Rohstoffe so genutzt werden, dass sie recyclefähig bleiben?

Peter Bachmann: Durch die Schulung der Planer, Fachplaner, Verarbeiter und dem Reinigungspersonal kann eine weitestgehende saubere Trennung der Ressourcen gewährleistet werden. Es braucht innovative Ansätze. Oft geht es darum, dass die Stoffe nicht miteinander vermischt werden. Nehmen wir ein Betthaupt, welches mit einem weiteren Material untrennbar vermischt ist. Dies kann nach der Nutzungsphase (von nur zwei bis vier Jahren) nur linear in der Müllverbrennung entsorgt werden.

Fabian Wiesler: Außerdem ist eine detaillierte Dokumentation der verarbeiteten Materialien notwendig. Diese Dokumentation sollte unter anderem Pflegehinweise, eine Demontageanleitung und den vorgesehenen zweiten Lebenszyklus beinhalten.

Welche Faktoren beeinflussen die Gesamtbilanz?

Fabian Wiesler: Das hängt von der Art des Projektes ab. Bei einem Neubau macht der Rohbau in der Regel einen Großteil des Rücksacks eines Gebäudes aus. Daher ist beim Rohbau auf möglichst wenig CO2-intensive Baustoffe zu setzen. Handelt es sich um eine Modernisierung/Renovierung, sollte vor allem Wert auf die sich häufig wechselnden Materialien in einem Zimmer fokussiert, beispielsweise Stoffe, konzentriert werden. Da diese verhältnismäßig häufig getauscht werden, sollten diese besonders kreislauffähig/nachhaltig ausgesucht werden.

Die 5 Transformationsschwerpunkte des CircularChecks beeinflussen die Gesamtbilanz des Produktes am maßgeblichsten. Vor allem die Kreislaufführung, Schadstoffgeprüftheit und die Treibhausgasemissionen sind absolut essenziell.

Warum ist eine Entscheidung für ökologische Baustoffe in der Regel vor der Planungsphase und vorzugsweise vor der Entwurfsplanung notwendig?

Peter Bachmann: Jede Entscheidung vor Baubeginn ist um ein Vielfaches einfacher und kostengünstiger. Materialverfügbarkeit ist eines der Stichworte. Manche Materialien brauchen langfristige Vorbestellung. Zudem ist in Bezug auf Gesundheit und Kreislaufwirtschaft immer das System zu betrachten. Was hilft der Fußboden ohne Unterkonstruktion?

Fabian Wiesler: In der Planungsphase werden die Weichen gestellt. Die ökologische Bauweise ist leider noch nicht die konventionelle Bauweise, daher gibt es gewisse Dinge, auf die von Beginn an geachtet werden sollte. Teilweise lassen sich innovative/ökologische Produkte nur ökonomisch sinnvoll einbauen, wenn diese von Anfang an in der Konzeptionierung berücksichtigt werden.

Wer oder was hat Ihre nachhaltigen Ideen und ihre Überzeugung inspiriert?

Peter Bachmann: Meine verwandtschaftliche Verbindung zu Erich Schöndorf (ehemaliger Staatsanwalt im Frankfurter Holzschutzmittelskandal), meine eigenen gesundheitlichen Anforderungen an Produkte und Innenräume und eine langjährige Leidenschaft für kreislaufgeführte und gesunde Materialien und Gebäude.

Fabian Wiesler: Meine Überzeugungen wurden maßgeblich durch meine Ausbildung und mein intensives Studium der Nachhaltigkeit als solches beeinflusst. Inspirationsquelle für mich ist die ständige Recherche nach neuen Lösungen und der Adaptierung auf meine praktischen Anwendungsmöglichkeiten. Dabei hilft es mir ungemein, die Dinge einfach zu tun und auszuprobieren.

Was sind die Meilensteine Ihrer Hotelgeschichte?

Peter Bachmann: Ich liebe Hotels und bringe gleichzeitig eine hohe Erwartungshaltung an den Innenraum (Gesundheit) und die ehrliche Nachhaltigkeit für das Gesamtsystem Hotel mit. Seit vielen Jahren kenne und schätze ich Klaus-Günther Wiesler als visionären und innovativen Pionier für alle Aspekte der Nachhaltigkeit. Er hat im Seehotel Wiesler mit seinen Kindern und seinem Schwiegersohn ein Vorzeigeprojekt auf allen Ebenen etabliert. Wenn es nur solche Unternehmer gäbe, bräuchte es keine Green Claim Directive!

Fabian Wiesler: Meine Frau kommt aus einer Hotelfamilie, in welcher die Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt. Gemeinsam mit ihr darf ich auch Teile der Führung des Hotels übernehmen. Dadurch ist auch mein Netzwerk innerhalt dieser Branche sehr ausgeprägt.

Wo sehen Sie das Potenzial zu noch mehr Nachhaltigkeit?

Peter Bachmann: Zuerst müssen wir uns nun um ehrliche Transparenz kümmern. Dann suchen wir Optimierungspotenziale, von welchen es leider massenhaft gibt. In meiner Lebensarbeitszeit werden wir meine Vision nicht auf breiter Fläche ins Leben bringen. Aber es gelingt uns schon jetzt durch bezahlbare, planbare und praxistaugliche Lösungen mit ehrlichen Kriterien weitere Akteure zu inspirieren.

Fabian Wiesler: Die größten Hebel sehe ich bei den Themen Treibhausgasemissionen, Energie bzw. Energieeffizienz und der Kreislaufwirtschaft. Eine naheliegende und greifbare Möglichkeit ist beispielsweise die Modernisierung der bestehenden Heizungsanlage.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zu den Personen:

Peter Bachmann ist Nachhaltigkeitsexperte und Strategieberater mit den Schwerpunkten Gesundheit und Kreislaufwirtschaft, Strategieentwicklung, Vertriebs- und Marketingkonzepte, Materialgesundheit, Entwicklung und Vermarktung von Baustoff- und Materialdatenbanken. Aktuell arbeitet er an der Integration zirkulärer Methoden in die Bau- und Immobilienwirtschaft. 2024 erfolgte die Gründung der CircularSkills GmbH.

Fabian Wiesler war seit 2013 war er in zahlreichen handwerklichen Positionen im Bereich des Anlagenbaus tätig. Im Jahr 2020 folgte die Gründung Sustainegy als selbstständiger Umwelt- und Energieberater. Gleichzeitig übernahm er die Leitung Technik im Seehotel Wiesler. 2024 Gründung der CircularSkills GmbH.

Weiterführende Informationen:

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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