Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Das Klimaschutzziel der EU ist nicht mehr zu erreichen – warum unsere Anstrengungen trotzdem nicht nachlassen sollten

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Ob das ambitionierte Klimaschutzziel der EU, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, noch realistisch ist, wird heute mehrfach infrage gestellt. 

Der EU-Klimadienst Copernicus prognostizierte, dass das Jahr 2024 das erste sein wird, in dem die Durchschnittstemperatur die des Zeitraums 1850–1900 um mehr als 1,5°C übersteigt. Soll das Engagement deshalb aufgegeben werden? Nein. Es ist das Trotzdem, das uns im Großen und im Kleinen immer weitergebracht hat. Wer selbstständig handelt, ist auch für etwas zuständig und dafür verantwortlich. Natürlich ist allein handeln zu wenig – große Veränderungen gelingen nur in Gemeinschaft. Aber zuvor sollte sich jeder seiner selbst bewusst werden. Roman Herzogs berühmte „Ruck-Rede“ von 1997 ist vor diesem Hintergrund noch immer aktuell: „Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe auf zu mehr Selbstverantwortung. Ich setze auf erneuerten Mut. Und ich vertraue auf unsere Gestaltungskraft. Glauben wir wieder an uns selber. Die besten Jahre liegen noch vor uns.“ Ruck bedeutet damals heute: sofort etwas machen, auch wenn das Ergebnis unvollständig und das Ziel in weiter Ferne ist. Im Positionspapier „Umgang mit dem 1,5°C-Ziel“ hat das Deutsche Klima-Konsortium DKK), ein Zusammenschluss von 27 Institutionen der deutschen Klima- und Klimafolgenforschung, zu dessen Mitgliedern das Max-Planck-Institut für Meteorologie gehört, Empfehlungen zum Umgang mit dem 1,5-Grad-Ziel gegeben.

Die zentralen Aussagen im Überblick

  1. Das Überschreiten des 1,5°-Grad-Zieles sollte transparent kommuniziert und in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Im sechsten IPCC-Sachstandsbericht heißt es, dass der 20-Jahresdurchschnitt der globalen Erwärmung vermutlich zu Beginn der 2030er Jahre über die 1,5-Grad-Marke hinausgehen wird. Maßnahmen zur Klimaanpassung sollten auf realistischen Temperaturprognosen basieren. Dennoch bleibt es dringlich, weiterhin am Engagement gemäß den Vorgaben des Pariser Abkommens festzuhalten.
  2. 1,5°C ist keine eindeutige physikalische Schwelle für den Klimawandel. Es gibt keinen klaren Übergang „von einem sicheren Klima zu einem gefährlichen Klimawandel.“ Gegenwärtig verursacht der Klimawandel weltweit dramatische und teilweise irreversible Schäden. „Die Veränderung der lokalen Durchschnittstemperatur weicht an vielen Orten deutlich nach oben und unten vom globalen Mittel ab.“
  3. Jeder weitere Anstieg der globalen Temperaturen führt zu einer Verstärkung der Wetterereignisse. Der Weltklimarat IPCC hat in seinem Sonderbericht zum 1,5°C-Ziel die Unterschiede in den erwartbaren Klimafolgen zwischen 1,5°C und 2°C analysiert und zeigt, dass es bei 2°C weitaus mehr Klimaschäden geben wird als bei 1,5°C. Im sechsten Sachstandsbericht des IPCC wird dargelegt, dass mit jedem halben Grad Celsius ein weiteren Temperaturanstieg verbunden ist (Zunahme von Hitzewellen, Starkniederschläge und Überflutungen).
  4. Das Pariser Abkommen ist völkerrechtlich verbindlich und steht nicht zur Disposition. Es benennt das Ziel, die Erwärmung auf deutlich unter 2°C zu begrenzen und konkretisiert dies mit Verweis auf die 1,5°C.
  5. Das Pariser Abkommen definiert für das Temperaturziel keinen genauen Zeithorizont. Jedoch kann der Wortlaut „deutlich unter 2°C ... gehalten wird“ (Pariser Abkommen, Art. 2, Betonung hinzugefügt) als Hinweis interpretiert werden, dass der klimatisch gemittelte Temperaturanstieg dauerhaft und jederzeit deutlich unter 2°C gehalten werden soll. Im Klimawandeldiskurs entstand das Konzept des „Overshoot“ (temporäres Überschreiten des Temperaturziels von 1,5°C). Gelänge ein auch nur temporäres Überschreiten des Temperaturziels von 1,5°C, erhöht dies dennoch das Risiko irreversibler Schäden.
  6. Gesellschaftliche Treiber (z.B. Konsumverhalten und Unternehmensstrategien) wirken der der Einhaltung des 1,5°C-Ziels entgegen. Bisher sind die getroffenen politischen Entscheidungen für das Erreichen der klimapolitischen Ziele, vor allem für das Ziel der Dekarbonisierung, unzureichend. So steht die große soziale Ungleichheit in vielen Gesellschaften der Welt einer Dekarbonisierung bis 2050 im Weg. Dennoch gibt es Entwicklungen, die das Erreichen des 1,5°C- Ziels befördern (z.B. Investitionen in erneuerbare Energien).

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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