Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Das Schneidebrett als Schnittstelle von Innovation und Nachhaltigkeit

Pixabay

Das Schneidebrett ist heute weitaus mehr als eine zweckmäßige Arbeitsunterlage, auf der Brot, Gemüse oder Fleisch geschnitten werden. Im Mai 2010 hielt der Unternehmer herwig Danzer an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm eine Vorlesung für 700 Studierende über die Geschichte des Internets, was ihn zur „regionalen Schnittstelle“ inspirierte: „Die serielle Schnittstelle RS-232 stammt aus dem Jahr 1962 und dient(e) dem unkomplizierten Datenaustausch zwischen Computern und technischem Kleinzeug.“ Der Anschluss RS-2011 der Möbelmacher funktioniert zwar nur mental, aber er symbolisiert für ihn regionale Wirtschaftskreisläufe in der Hersbrucker Alb und im Internet: Er steht für die Verbindung unter den Menschen, die sich für lokale Lebensqualität einsetzen. Die regionale Schnittstelle besteht aus einem Schneidbrett aus dem Holz der Hersbrucker Alb und einem Profi-Messer von Felix-Solingen (früher bekannt als Goldhamster-Messer). Das in das Schneidbrett eingefräste Symbol steht für den für den modernen Datenaustausch mit seinen Kunden. Der Trend zu „handgreiflicher“ Arbeit mit Küchenutensilien ist in gewisser Weise auch ein Reflex auf das digitale Zeitalter.

Je komplexer unser Alltag wird, desto größer die Sehnsucht nach einer greifbaren kleinen Gegenwelt.

Massives Holz hat nicht nur eine warme Ausstrahlung und ist sehr langlebig – wenn wir es in den Händen halten und damit arbeiten, entspricht dies auch unserem Bedürfnis nach Individualisierung, denn unser haptischer Alltag ist heute vor allem von glatten und hochpolierten Oberflächen geprägt - mit einem hohen Anteil an synthetischen Materialien. Dies folgt einer historisch gewachsenen Bearbeitungslogik, weil glattes Material für technologische Entwicklung steht. Unsere „emotionale Haut“ wird im Kontakt mit rauen Materialien wie Holz dünner. Kaum ein Material kommt heute dem ausgeprägten Wunsch nach Individualität und Naturverbundenheit mehr entgegen. Als Beleg dafür führte Martin Rolff vor einigen Jahren in der Süddeutschen Zeitung den Besuch eines Holzstandes auf einem beliebigen Weihnachtsmarkt an: „Birne, Bergahorn, Bambus, Eibe, Hainbuche, Walnuss, Wenge, Zebrano - in Sachen Holzvielfalt übertrifft die Brotbrettauslage jeden Waldlehrpfad.“

Nachhaltige Tragflächen

Im Rahmen der Kampfmittelsondierung mussten auf dem Fliegerhorst in Oldenburg Bäume gefällt werden, denn auf dem ehemaligen Militärflughafen entsteht ein neuer Stadtteil. Ziel war es zunächst, den Baumbestand auf dem Gelände weitestgehend zu erhalten. Da sich im Boden allerdings viele Munitionsreste befanden, musste er metertief ausgehoben und durchgesiebt werden. Die Rodung war deshalb notwendig. Die Stadtverwaltung wollte aus den gerodeten Bäumen Schneidebretter herstellen lassen. Koordiniert wurde das Projekt vom Büro des Oberbürgermeisters. Unterstützt wurde es vom Amt für Stadtgrünpflege, die Fachwissen technisches Gerät zur Verfügung stellten. Allerdings eigneten sich nicht alle Hölzer für die Brettchen. Ein Tischler der Gemeinnützigen Werkstätten Oldenburg, die die Produktion übernahmen, riet zu Birkenholz, da es rasch trocknet, sich gut verarbeiten lässt und schön aussieht. Im Februar 2019 erfolgte die Auswahl von geeigneten Birkenstämmen, die zu großen Brettern geschnitten wurden, die etwa zehn Monate trocknen mussten. Während dieser Zeit lagen sie in einer offenen Halle auf dem Fliegerhorst-Gelände. Anfang 2020, als das Holz getrocknet war, wurde es zu ca. 1.000 Brettchen in drei unterschiedlichen Größen verarbeitet. Anschließend erfolgte die Aufbringung des Motivs mit einem elektrischen Brennstempel. Die Gravur informiert über die Baumart und das Jahr der Fällung. Der eingravierte Schriftzug „Tragfläche“ (die Idee hatte eine Kollegin des Rechtsamtes) verwies einerseits auf die ursprüngliche Nutzung des Geländes als Flugplatz und andererseits auf die Nutzungsmöglichkeit des Produktes: Tragfläche für belegte Brote. Das Pressebüro des Oberbürgermeisters realisierte die Gestaltung zur Vermarktung der Schneidebretter, die in kürzester Zeit verkauft waren. Der Ertrag wird für das Anpflanzen von Bäumen im neuen Stadtteil verwendet.

Auch Ulla Richter-Reichhelm und Benjamin Simon aus Berlin verwenden lokal produzierte Hölzer.

Im August 2022 entdeckten sie während einer Urlaubsreise in einer kleinen skandinavischen Manufaktur ein Schneidebrett in Form einer Insel. Davon waren sie sofort begeistert und gründeten mit eigenem Startkapital (ohne Fremdfinanzierung) zunächst in Tempelhof eine kleine Werkstatt. Einige Zeit später richteten sie in Moabit bei einem befreundeten Künstler eine Produktion ein. Danach bauten sie ihre Maschinen bei der Union Sozialer Einrichtungen (USE) in Teltow auf. Hier werden Bretter aus 19 beziehungsweise 25 Millimeter starkem Buchen- und Eichenholz aus deutschen Wäldern mit markanten Umrissen der Stadt Berlin gefertigt. Es war ihnen von Beginn an wichtig, klimaneutral und nachhaltig zu produzieren. Das Muster ist geschützt. Auf Designmessen finden sich heute ebenfalls zahlreiche Umdeutungen des Schneidebretts. Gehobene Anbieter dringen mit Frühstücksbrettern in Preissegmente vor, „die früher handbemalten Porzellantellern vorbehalten waren.“ Die Kosten für teure Pflegeöle noch nicht eingerechnet. „Wie es auf deinem Schneidebrett aussieht, so sieht es in deinem Kopf aus“, sagte vor einigen Jahren der Rezeptentwickler, Kochbuchautor und Foodblogger Stevan Paul.

Ordnung auf dem Schneidebrett ist für viele Menschen sehr wichtig in der Unordnung der großen Welt.

Vor einigen Jahren sorgten Johannes und Joseph Schreiter, zwei Brüder aus Offenbach, mit der Weiterentwicklung des klassischen Schneidebretts im Internet für Begeisterung: Sie sammelten auf der US-amerikanischen Crowdfunding-Plattform Kickstarter für ihren Prototypen innerhalb kürzester Zeit 3600 Unterstützer und fast eine Dreiviertelmillion Euro ein. Johannes Schreiter testete das Brett vorab, indem er es mit zur Arbeit in die Restaurantküche nahm. Zuerst wurden die Abläufe auf einem herkömmlichen Schneidebrett betrachtet, dann wurden Arbeitszonen, Arbeitsrichtungen und Probleme benannt, und anschließend wurde das gleiche mit der Weiterentwicklung, dem so genannten Frankfurter Brett, getan, und die Ergebnisse miteinander verglichen. Mit Hilfe eines patentierten ausziehbaren Bügelsystems lassen sich Behälter für Abfall, Schnittgut, Zutaten und Küchenwerkzeuge befestigen. Häufig wird herwig Danzer (DIE MÖBELMACHER) gefragt, ob dessen Schneidbrett mit Gratleisten vom Frankfurter Brett (Markteinführung 2014) inspiriert wurde. Das ist nicht der Fall, denn die Idee des erhöhten Bretts mit Platz für Garbehäter darunter (und nicht davor!) stellte das Unternehmen bereits im Jahr 2009 auf der Hersbrucker Gewerbeschau vor. Durch die zusätzliche Höhe des Schneidbretts wird das Schneiden selbst ergonomischer und die vorne und hinten (oder links und rechts) darunter geschobenen Garbehälter nehmen das Schneidgut, oder die Schalen und Abfälle auf. „Eigentlich entstand es aus einer Probefräsung für Fingerzinken mit der damals neu angeschafften CNC-Maschine.“ 

Das Teststück erschien Danzer zu wertvoll, um es in den Zerhacker zu werfen. 

So schraubte er gegenüber zwei Füßchen drunter, die den ersten Platz für Teller oder Garbehälter darunter boten. Das gefiel den ersten Kunden mit Dampfgarern. So wurden einfach vier Füße unter ein normales Brett geschraubt, später kam dann auch hier die Saftrille dazu. „Während unsere Garbehälter mithilfe der Schwerkraft auf dem Tisch unter dem Schneidbrett keinen Platz und keine aufwändige Metallmechanik brauchen, wird der Garbehälter beim Frankfurter Brett vor dem Tisch eingehängt. Dort stört er gewaltig beim ergonomischen Schneiden, bei dem man sich so nahe wie möglich ans Schneidbrett stellt. Nur zum Runterschieben des Schnittguts – mit dem Messerrücken – NIE mit der Schneide – macht man bei unserer Lösung kurz ein wenig Platz, um sofort wieder perfekt weiterschneiden zu können. Die Schalen oder Reste schieben wir nach hinten in einen ungelochten Garbehälter“, sagt der Unternehmer. Es ist möglich, auch seitlich noch welche anzustellen und Schnittgut direkt hineinzuschieben. Danzer selbst verwendet immer zwei, aber nie mehr Garbehälter. Sobald sich ein Kunde für das Messer entscheidet, das dort immer hängen soll, werden Lederschlaufen von unten befestigt, die die Verletzungsgefahr bannen, dass ein Messer über die Brettbreite nach unten rutschen könnte und man sich daran beim Abwischen schneiden könnte. 

Normale Schneidbretter gibt es bei den Möbelmachern schon seit der Unternehmensgründung 1988. Da herwig Danzer damals seine neue Küche nebst Schneidbrett (aus den Arbeitsplattenresten) bauen musste, als seine Frau Ute im Krankenhaus war und die gemeinsame Tochter Laura als Frühchen auf die Welt kam. Durch das Hantieren mit Früchten oder Fleisch kam er auf die Idee, eine Saftrinne zu fräsen, die die Flüssigkeiten zurückhält (bis heute in allen Größen und Holzarten verfügbar). Sie bildet auf diesem Brett nur ein U und keinen Kreis, „weil man das Schnittgut ja nach vorne in den Garbehälter fallen lässt, da würde die Saftrinne beim Drüberschieben nur stören. Dafür ist sie außen herum sehr praktisch. Nur um den Brennstempel des Unternehmens herum macht sie einen kleinen Bogen.“ Alle Bretter sind auch bei Kochaktionen auf Messen oder Workshops im Einsatz.

Die Beispiele zeigen auch, dass immer mehr Kunden Wert auf Qualität und Nachhaltigkeit legen.

Die meisten setzen auf klassische Schneide- und Frühstücksbrettchen aus Holz. Produkte aus Kunststoff mögen zwar pflegeleicht sein, aber sie werden aus Erdölprodukten hergestellt und stellen dadurch eine stärkere Belastung für unsere Umwelt dar. Auch in zahlreichen Untersuchungen schnitten bezüglich des Materials Holzbretter besser ab als Plastikbretter. Laut Studien haben bestimmte Hölzer antimikrobielle Eigenschaften, die Bakterien abtöten können. Plastik besitzt diese Eigenschaft nicht. Wem der hygienische Aspekt besonders wichtig ist, vertraut auf die antibakteriellen Eigenschaften von Kiefer. Eiche ist wegen ihrer Großporigkeit und des hohen Gerbsäureanteils eher ungeeignet für Schneidebretter. Profis setzen häufig auf besonders feinporige Rotkernbuche, Teak oder Olive gelten als besonders robust, enthalten allerdings Silizium (was die Messer stumpf macht).

Um unregelmäßiger Abnutzung vorzubeugen, sollten Schneidebretter regelmäßig gewendet und möglichst ebenmäßig benutzt werden. Wenn sie Gerüche (z.B. Knoblauch oder Zwiebeln) aufnehmen, kann aus dem Saft einer frischen Zitrone und normalem Salz im betroffenen Bereich direkt auf dem Brett eine sämige Paste hergestellt werden, die mit einem Topfschwamm auf die betroffenen Regionen verteilt und abgeschrubbt werden kann. Wenn dies über Nacht durchgetrocknet ist, empfiehlt sich eine Schicht Öl für das beanspruchte Holz. Holzbrettchen sollten regelmäßig geölt werden, beispielsweise mit Oliven- oder Sonnenblumenöl. Schneidebretter sind heute nicht nur eine Liebeserklärung an das Kochen, sondern auch an analoge Zeiten, bevor es virtuelle Träume im Internet gab. Ein messerscharfer Verstand weiß beides klug zu nutzen.

Weiterführende Informationen:

  • herweg Danzer: Die regionale Schnittstelle 
  • Martin Rolff: Gut Holz. In: Süddeutsche Zeitung (23./14./25./26.12.2017), S. 57.
  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Dinge des Lebens im Zeitalter der Digitalisierung. Beide in: Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.
  • Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
Dr. Alexandra Hildebrandt

Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
Mehr anzeigen