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Die Bedeutung der ESG-Kriterien für die Immobilienwirtschaft

Die ESG-Kriterien sind in der Immobilienwelt häufig noch mit Fragezeichen versehen: Was bedeutet beispielsweise der Aspekt "S" für Soziales? Eine neue Studie zeigt auf, wie sich Social Real Estate auf die Mieten und die Wertsteigerung von Immobilien auswirkt. Dafür wurden die Universitäten Real Estate Management Institute der EBS Universität für Wirtschaft und Recht (REMI) und die TU Darmstadt mit dieser gemeinsamen Auftragsforschung beauftragt. Auch andere Studien bestätigen, dass das "S" für Soziales unter den ESG-Kriterien enorme Chancen zur Steigerung der Immobilienwerte bietet. Dafür müssen allerdings die S-Kriterien im Gebäudebestand und in der Unternehmensführung berücksichtigt werden. Das ist ein Ergebnis aus dem "PMRE-Monitor 2023", den das Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE) gemeinsam mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und der Unternehmensberatung CCTM in einer Vorabversion kommuniziert hat. Es haben 239 Experten der Immobilienwirtschaft, 174 Studierende immobilienwirtschaftlicher Studiengänge aus Deutschland und 35 Studierende übergreifender Fachrichtungen aus dem internationalen Umfeld teilgenommen. Die Herkunftsländer reichen von den USA über den Nahen Osten bis nach China. Insgesamt umfasst die Stichprobe 448 Teilnehmende.

Rund ein Prozent weniger Rendite wird bei sozialen Immobilien für das Gemeinwohl in Kauf genommen. Der Gestaltungsspielraum für Social Real Estate ist groß (Beispiel "Quay Quarter Tower" in Sydneyt: Öffentlich zugängliche Erdgeschossbereiche und Außenanlagen, Gastronomie mit einer Vielzahl an Ernährungsvarianten oder eine integrierte Apotheke.)

Wohnungsmieter sind bereit, für soziale Immobilien einen Preisaufschlag in Höhe von 4,3 Prozent zu zahlen. Besonders hoch ist die Zahlungsbereitschaft bei den Kategorien Gesundheit für Nutzer (5,4 Prozent), bei nachhaltiger Gebäudequalität (5,3 Prozent) und Mobilität (5,3 Prozent) - damit ist eine gute Erreichbarkeit mit ÖPNV oder Fahrrad gemeint.

Die Generation Z stellt die höchsten Ansprüche an "S"-konforme Büros (58 Prozent) und klassifiziert sie sogar als Jobauswahlkriterium. Besonders stark gewichtet werden die Kategorien Gesundheit (67 Prozent) – die Aspekte Licht, Akustik, Kühlung, Luftqualität und nachhaltiges Mobiliar spielen hier eine Rolle – und Mobilität (64 Prozent). Der Faktor Mobilität umfasst die Erreichbarkeit der Immobilie per PKW, die Anbindung an den ÖPNV, das Rad- und Fußwegenetz und die Nähe zu einem Mobility Hub. Die Vernetzung der Nutzer spielt kaum eine Rolle (37 Prozent). Auch eine Mieter-App oder ein aktives Mieter- oder Quartiersmanagement bringen keine Pluspunkte.

Für gute Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze, Bildung, Kultur oder Grünanlagen in unmittelbarer Nähe des Wohnorts würden Mieter einen Preisaufschlag von bis zu 4,5 Prozent zahlen. Für das Büro ist das Umfeld weniger wichtig: als relevant bezeichneten das nur 42 Prozent. Das Büro wird seltener aufgesucht, dafür sind Cafés im Umfeld des Homeoffice geschätzt. Bei der Neuplanung von Büroobjekten spielt jedoch auch das kulturelle Umfeld eine besonders große Rolle.

Für Büroimmobilien (72 Prozent) und Wohngebäude (69 Prozent) rechnen die Studienautoren mit dem höchsten Transformationsaufwand bezüglich der "S"-Kriterien. Shopping-Center landen in der Rangfolge erst auf Platz 6 (58 Prozent). Soziale Standards in den Lieferketten wären eine Absage an Fast Fashion und würden eine Neuorientierung im Mietermix bedeuten. Wichtig ist deshalb eine umfassende Analyse der S-Kriterien für sämtliche Gebäudetypen.

Die erwartete Steigerung der Erlöse für "S"-konforme Immobilien liegt bei acht Prozent und bei Fondsprodukten 8,7 Prozent. Auf der Ausgabenseite verteuern sich die Baukosten um 10,8 Prozent, die Betriebskosten um 10,3 Prozent und die Transformationskosten zur Umstellung der Geschäftsprozesse um 10,1 Prozent. Auch die IT-Kosten steigen (plus neun Prozent), da zusätzliche Datenfelder zur Abbildung der "S"-Kriterien in den IT-Systemen installiert werden müssen (ebenso für ESG-Reporting).

Die S-Kriterien lassen Immobilienwerte um 9,6 Prozent steigen. Eine unzureichende Umsetzung könne allerdings zu Schäden führen.

Die Sicherstellung von bezahlbarem Wohnraum ist ein wesentliches Ziel der EU-Taxonomie. 32 Prozent meinen jedoch, dass das nicht zu erreichen sei. Auch die Bereitschaft der Mieter, für einen sozialen Mietermix mehr zu zahlen, ist gering: Mehr als 2,6 Prozent zusätzlich sind nicht akzeptiert. Anreize vom Staat, gesetzliche Vorgaben und Unterstützung aus dem Kapitalmarkt sind nötig. (Beispiel Singapur: Eine der teuersten Städte der Welt verzeichnet den höchsten Anteil an Sozialwohnungen. Die Wohnungsbaubehörde "Housing and Development Board" HDB subventioniert etwa Eigentumswohnungen und achtet dabei auf einen Mix aus Kulturen und Einkommensschichten.)

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben die deutschen Metropolen stark an Sogwirkung verloren (minus zwölf Prozent), während ländliche Regionen an Attraktivität gewonnen haben (plus drei Prozent). Wohnungen in Innenstädten sind aufgrund von Hitzeentwicklungen (59 Prozent) sowie wegen Lärm- und Luftverschmutzung (64 Prozent) unbeliebt. Die Ablehnung von Dachgeschosswohnungen stieg innerhalb von zwei Jahren um 19 Prozent auf nun 71 Prozent.

Der Implementierungsgrad der "S"-Kriterien liegt derzeit bei 41 Prozent. Dabei weisen soziale Arbeitgeber deutlich bessere Ergebnisse auf als andere ("die Jugend will Gesundheit, die Wirtschaft soziales Engagement"). 88 Prozent sind sich einig bei der Unternehmenskultur (Jobwechsel- und -auswahlkriterium).

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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