Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Die Bedeutung der Klimagerechtigkeit für eine zukunftsfähige und resiliente Gesellschaft

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Durch die Klimakrise bedingte Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen und Dürren haben im Jahr 2023 3,4 Millionen Menschen vertrieben (Quelle: Oxfam). Betroffen waren vor allem Somalia, China, die Philippinen, Pakistan, Kenia, Äthiopien, Indien, Bangladesch und Malaysia. Die Klimakrise führt zudem zu Ernteausfällen, Viehsterben und Hunger - besonders in Ländern, die kaum auf die Folgen vorbereitet sind und ohnehin mit Konflikten, wirtschaftlicher Instabilität und Ungleichheit zu kämpfen haben. Die Betroffenen haben kaum Möglichkeiten zur politischen Mitsprache und Gestaltung zur Bearbeitung der Klimakrise. Sie können sich zudem am wenigsten vor ihr schützen und an die damit einhergehenden Veränderungen anpassen.

Diejenigen, die am wenigsten dazu beitragen, sind am stärksten von der Klimakrise betroffen.

So hat Somalia weniger als 0,03 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht, erleidet aber durch den Klimawandel hohe Verluste und ist auf humanitäre Hilfe angewiesen, auch Bangladesch trägt nur 0,56 Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Reiche Länder sind deshalb aufgefordert, ihre Emissionen zu senken und betroffene Länder finanziell zu unterstützen, damit sie sich besser auf die Auswirkungen der Klimakrise vorbereiten können (Frühwarnsysteme etc.). Zugleich zeigen diese Beispiele, dass die Klimakrise nicht losgelöst von sozialen und anderen Krisen betrachtet werden kann, denn das Klimasystem, die Prozesse in Biosphäre und soziale Systeme stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis.

Herausforderungen:

  • Veränderungen in der Biosphäre
  • Strukturelle Diskriminierungen
  • Vielfältige lokale und globale Krisen
  • Machtungleichheit
  • Verschärfung von sozialen Ungleichheiten
  • Wohnungsnot und explodierende Boden- und Immobilienpreise
  • Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen.

Zur Klimagerechtigkeit gibt es keine eindeutige Definition. Klar ist jedoch, dass es sie nicht ohne einen leistungs- und handlungsfähigen, resilienten Sozial- und Rechtsstaat und konnektive Soziale Orte im Kommunalen geben kann. Der im Sammelband „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“ (herausgegeben vom Umweltaktivisten Tino Pfaff) hergeleitete Klimagerechtigkeitsansatz bezieht sich vor allem auf Theorien des Ökosozialismus, Theorien der sozialen Reproduktion und Theorien des Racial Capitalism. Diese Ansätze stehen in einer materialistischen Denktradition und haben diese mit unterschiedlichen Schwerpunkten weiterentwickelt. Die Autoren und Autorinnen fragen in ihren Beiträgen, ob und wie Vergesellschaftungsformen einen nachhaltigen Beitrag zur Bearbeitung oder Lösung der sozialökologischen Frage der Gegenwart leisten können. Der Ansatz ist lokal und global gleichermaßen von Bedeutung.

Wege zur Klimagerechtigkeit:

  • Sichere, faire und nachhaltige Arbeitsbedingungen
  • Stärkerer Austausch von Vergesellschaftungs- und Suffizienzdebatten
  • Sozial-ökologisches Bauen und Wohnen
  • Gute Bezahlung der Reproduktions- und Sorgearbeiten, die grundlegend für alle weiteren wirtschaftlichen Aktivitäten und für den Erhalt der Gesellschaft insgesamt sind
  • Schutz der Biosphäre
  • Nachhaltiger Ausbau der sozialen und öffentlichen Daseinsvorsorge (Bildung, Care-Arbeit, Gesundheit, Pflege, Mobilität oder Energie)
  • Degrowth- und Umverteilungsmaßnahmen
  • sozial gerechte Verteilung des Energie- und Ressourcenverbrauchs
  • Demokratisierung des ökonomischen Feldes und Entwürfe geeigneter Beteiligungsverfahren
  • Gemeinschaftliches Eigentum – organisiert und verwaltet durch demokratische und gesellschaftliche Prozesse
  • Mehr gesellschaftlicher Einfluss darauf, wie, was und wie viel produziert wird
  • klimafreundliche Methoden der Energiegewinnung
  • Ausrichtung am Gemeinwohl und am kooperativen Wirtschaften
  • Reduzierung der Klimaerhitzung
  • Solidarität (auch mit der Landwirtschaft)
  • Ausbau der sozialen Infrastruktur
  • Strategien für eine demokratischere und sozial-ökologisch gerechte Wirtschaft
  • Suffizienzpolitik: Begrenzung von Konsum- und Produktionsniveaus
  • Neuverhandlung, Bewertung und Umverteilung des Verhältnisses von bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten
  • Überwindung von sozialer Ungerechtigkeit
  • Verfügbarkeit von Dingen und Dienstleistungen, die zur Erfüllung der Grundbedürfnisse nötig sind
  • Investitionen in bezahlbares Wohnen und gerechte Verteilung von Wohnraum
  • Zugang zu bewohnbaren und lebenswerten Orten sowie zu Süßwasser und den Flächen, auf denen der Anbau von Lebensmitteln möglich ist.

Unsere Krisenzeiten machen sichtbar, dass Zusammenarbeiten ein sinnvoller Weg ist, Herausforderungen zu begegnen. 

Ein Aspekt sei deshalb hier herausgegriffen, der in besonders greifbarer Weise die unmittelbare Verzahnung dieser Themen in Deutschland zeigt: die Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi). Dabei handelt ews sich um einen Zusammenschluss von landwirtschaftlichen Betrieben oder Gärtnereien mit einer Gruppe privater Haushalte. Erzeuger:innen und Verbraucher:innen bilden eine auf menschliche Bedürfnisse abgestimmte Wertegemeinschaft, die das natürliche Umfeld berücksichtigt. Auf Grundlage der geschätzten Jahreskosten der landwirtschaftlichen Erzeugung verpflichtet sie sich, jährlich im Voraus einen festgesetzten (meist monatlichen) Betrag an den SoLaWi-Betrieb zu zahlen. Die Abnehmenden erhalten im Gegenzug die gesamte Ernte sowie (wenn der SoLaWiBetrieb diese herstellt) weiterverarbeitete Erzeugnisse. Eine Gruppe muss allerdings die Abnahme der Erzeugnisse garantieren und die Ernte bzw. alles, was notwendig ist, um diese zu erzeugen, vorfinanziert. Alle teilen sich die damit verbundene Verantwortung – auch das Risiko, die Kosten und die Ernte.

Nachhaltige Vorteile:

  • unabhängige, nachhaltige und klimaschonende Anbauweisen
  • geringere CO2-Bilanz (Wegfall des Langstreckentransports, Vermeidung von viel Verpackungsmüll, kurze Versorgungsketten)
  • Ermöglichung umfassender regionaler Ernährungssysteme
  • Ausweg aus der Existenzkrise kleinbäuerlicher Betriebe
  • ehrliche Kostenkalkulation und transparente Kommunikation
  • keine Marktzwänge: stärkere Unabhängigkeit vom internationalen Markt
  • Mehrwerte: Umweltschutz, Ernährungswende und Bildungsarbeit
  • Resilienz: flexibler und anpassungsfähiger an Krisen als wenige große Unternehmen, bei denen stets weite Zusammenhänge betroffen sind
  • ressourcenintensive Verteilung von Lebensmitteln
  • gemeinwohl- und kreislauforientierte Versorgung von Menschen mit regionalen und saisonalen Lebensmitteln 
  • Steigerung der Verantwortungsbereitschaft für die Nahrungsproduktion
  • Baustein zum kulturellen Wandel: weg von Konkurrenz hin zu Kooperation
  • regionale Wertschöpfung
  • Förderung des kooperativen Wirtschaftens
  • Einbettung der Wirtschaft in soziale und ökologische Gefüge (Erweiterung der Möglichkeitsräume).

Das Buch:

  • Tino Pfaff (Hg.) Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage. Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resilienter machen können. oekom Verlag, München 2024.

Weiterführende Informationen:

Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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