„Die Landwirtschaft ist inzwischen mit viel Theorie organisiert und nicht nach dem Leben mit der Natur“
Böden leisten weltweit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Hunger, Armut und Klimawandel und sind wichtig für die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln, Bioenergie sowie Biomasse. Sie sind die Grundlage unserer Landwirtschaft und beherbergen einen Großteil der weltweiten Biodiversität. Das Interview mit Stefan Bergmair zeigt, vor welche Herausforderungen und Probleme Landwirte heute gestellt sind, und warum es höchste Priorität hat, Böden zu schützen und wiederaufzubauen, unsere Ernährungssicherheit zu stärken, die biologische Vielfalt zu fördern und ländliche Räume zukunftsfest zu machen.
Interview mit dem Landwirt Stefan Bergmair
Warum braucht die Welt regionale Lösungen, um die globalen Probleme richtig meistern zu können?
Die EU macht es sich leicht: Wenn wir etwas brauchen, dann kaufen wir es, denn wir können ja weltweit bezahlen, so ist es auch mit Lebensmitteln. So können wir bei uns immer mehr Ökologie-Programme und Flächenstilllegungen machen, denn wenn wir die notwendigen Nahrungsmittel in Europa nicht mehr produzieren können, dann kaufen wir sie extern zu. Nur kaufen wir es denjenigen in der Welt weg, die es nicht mehr bezahlen könnenn, und das ist eine Sauerei!
Kaum jemandem ist bewusst, dass es fast zweitausend Jahre dauert, bis zehn Zentimeter fruchtbarer Boden wächst. Allein in Deutschland gehen täglich Bodenflächen in der Größe von über hundert Fußballfeldern verloren. Warum sind fruchtbare Böden lebenswichtig?
Fruchtbare Böden sind deshalb so wichtig, weil sie weltweit immer mehr abnehmen. Die Fläche, die für die Ernährungssicherung der ganzen Welt dient, wird damit weniger, ist aber unsere Lebensgrundlage.
Warum sind gesunde Böden auch in Jahren mit ungünstiger Witterung ertragsstabil?
Weil sie entweder bei Trockenheit mehr Wasser halten oder bei Nässe Wasser nach unten wegdrainieren. Ein intakter Boden kann zudem notwendige Wärme speichern, die man braucht, um optimale Erträge zu produzieren.
Wie wirkt sich Bodengesundheit auf die Pflanzengesundheit aus?
Die Basis eines gesunden Pflanzenwachstums ist ein gesunder Boden. Mit Pflanzenschutzmitteln können nicht mehr Erträge produziert, sondern die Pflanze nur geschützt werden, wie es schon im Wort drin steckt. Bei einem gesunden Boden ist ein natürliches Gleichgewicht vorhanden und Schädlinge sind von Haus aus reduziert.
Wie lässt sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das Nötigste begrenzen?
Wie gerade gesprochen, ist die Basis ein gesunder Boden. Dann eine gesunde, weite Fruchtfolge (zum Beispiel Weizen nur alle drei bis vier Jahre auf der gleichen Fläche). Und ein Unkrautmanagement, das verhindert, dass Unkräuter Samen bilden und diese auf dem Acker verbleiben, sprich man muss früh genug erkennen, dass Unkraut da ist und muss mit geeigneten ackerbaulichen und pflanzenbaulichen Maßnahmen dafür sorgen, dass es sich nicht extrem vermehren kann. Weil jedes Unkraut, das absamt, schafft neues Samenpotenzial. Bestimmte Unkräuter, wie der Ackerfuchsschwanz, haben ein derartiges Samenpotenzial, dass dann bei Verbreitung zum Beispiel der Anbau von Winterweizen auf dieser Fläche nicht mehr möglich ist.
Immer wieder gibt es öffentliche Kritik zum industriellen Lebensmittelsystem (Überdüngung, zu hoher Pestizideinsatz und Monokulturen), das dazu führt, dass Böden ausgelaugt und geschädigt werden. Was sagen Sie als Landwirt dazu?
Das stimmt so nicht, wir haben eine Düngemittelverordnung, in der die Stickstoffmenge gedeckelt wird, die auf den Felder ausgebracht werden darf. Wir kommen mit weniger aus, und die Erträge gehen bei uns trotzdem nicht zurück. Wir düngen also nicht so viel, wie wir eigentlich dürften. Die Bodenqualitäten sind in Deutschland sehr unterschiedlich: Es gibt sandige Böden bis humusreiche Böden. Wir haben den Vorteil in unserer Region, dass wir gute Bodenqualitäten und gleichzeitig gute Niederschläge haben. Denn in Regionen, in denen es keine Niederschläge gibt, wächst nichts. Monokulturen sind vom EU-Recht her aktuell gar nicht mehr erlaubt. Gleichzeitig bringen sie nichts, denn egal mit welchem Aufwand, man könnte nie Höchsterträge produzieren. Höchsterträge kann man nur mit einer gesunden Fruchtfolge produzieren. Jeder Pestizideinsatz kann auch negative Wirkung haben, man muss deshalb die Pestizide auf ein notwendiges Maß beschränken, um die Chance zu haben, Höchsterträge zu erzeugen (hier gilt nicht das Sprichwort: „Viel hilft viel.“).
Was tun Sie für die Verbesserung der Bodenstruktur?
Wir arbeiten mit Branntkalk, ein Kalk, der an der Oberfläche schnell wirkt und eine gute Struktur schafft, um die Bodenstruktur zu verbessern. Aber das wird jetzt aufgrund der CO2-Steuer bald unwirtschaftlich. Wir achten zudem auf eine ausgewogene Kali-Düngung, weil diese auch bei trockenen Verhältnissen den Wasserhaushalt ausgleichen kann. Wir bauen Zwischenfrüchte auf den Feldern an, die Nährstoffe zuführen und die Humusstruktur aufbauen. In unserer eigenen Landwirtschaft arbeiten wir hier sehr akribisch und achten auf unsere Böden - leider macht das nicht jeder so.
Was ist die Folge? Hat dies auch klimatische Auswirkungen?
Wenn die Böden zum Beispiel durch schwere Maschinen zusammengefahren werden, dann sind sie ausgelaugt und nur noch schwer bewirtschaftbar. Klimatisch bedeutet dies, dass der Boden nicht mehr in der Lage ist, Wasser gut aufzunehmen, der Kreislauf verändert sich. Ein verdichteter Boden hat keine Kapillarität mehr, die Wasseraufnahme ist nicht mehr möglich oder erschwert.
Welche Möglichkeiten gibt es, Kapillarität im Boden zu fördern?
Vorsicht bei der Bodenbearbeitung, indem keine Verdichtung durch schwere Maschinen zugefügt wird. Dann hilft der Anbau von Zwischenfrüchten sowie eine ausgewogene Fruchtfolge, die dann auch die Folgen von Monokulturen verhindert, die es übrigens noch vor 30 Jahren viel mehr gab als heute. Außerdem muss man den Zeitpunkt der Bewirtschaftung ans Wetter anpassen, zum Beispiel nicht pflügen, wenn es sehr nass ist. Sonst geht mehr kaputt, als man gut machen kann. Es hilft, achtsam mit dem Boden umzugehen.
Welche Rolle spielt die Politik beim Erhalt gesunder Böden durch eine zukunftsfähige Landwirtschaft und den Bodenschutz? Gibt es politische Möglichkeiten hier ein Bewusstsein unter den Landwirten zu schaffen?
Politisch wäre es wichtig, dass in die Landwirte und die Landwirtschaft mehr vertraut wird. Es gibt inzwischen viele Gesetze und Reglementierungen, die Landwirtschaft mit gesundem Menschenverstand unmöglich machen. Ein Beispiel: Es gibt eine Verordnung, dass man bis zu einem bestimmten Datum Zwischenfrüchte angebaut haben muss. Ob es vom Wetter her passt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Das hat in meinen Augen mit Pflanzenbau nichts zu tun. Die Landwirtschaft ist inzwischen mit viel Theorie organisiert und nicht nach dem Leben mit der Natur.
Welche Maßnahmen für den Bodenschutz werden von der Politik gefördert und von Ihnen umgesetzt?
Auf unserem Hof brauchen wir keine politischen Maßnahmen, weil wir immer schon über Generationen hinweg auf einen schonenden Ackerbau, der gesunde Böden zur Folge hat, geachtet haben.
Was wäre denn, wenn wir wieder mehr Wald hätten? Wäre dann unser Klima gerettet?
Fürs Klima wäre das sicher gut. Früher war in Europa überwiegend Wald, die Menschen haben dann alles abgeholzt. Als Landwirt würde ich aber lieber den Wald hergeben und einen Acker dafür kaufen. Die Waldbewirtschaftung ist inzwischen extrem aufwändig geworden. Wir haben aktuell wieder Käferbelastung, jetzt haben wir 2 Wochen nur durchgeforstet, um die Schäden zu minimieren. Der Holzerlös ist am Ende weniger, als der Aufwand alles zu pflegen.
Warum ist die Käferbelastung so hoch?
Ich glaube, dass es auch damit zu tun hat, dass es klimatisch wärmer wird, es ist trockener und wir haben überwiegend die Fichtenreinkultur.
„Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden.“ Diese Metapher für Nachhaltigkeit ist in Goethes Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ enthalten - in einem „Lehrbrief“, der mit dem Satz endet: „... gebackenes Brot ist schmackhaft und sättigend für Einen Tag; aber Mehl kann man nicht säen, und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“. Was bedeutet Ihnen diese Aussage?
In meinen Augen bedeutet es, dass ein Ganzkorn für die Ernährung gesünder und ergiebiger ist, weil im ganzen Korn alles ist, was man braucht. Im Mehl fallen Schale und sonstige Bestandteile, in denen die Vitamine sind, alles weg.
Das erste Glied in der Nahrungsmittelkette ist das Saatgut, das zu den Grundlagen unserer Ernährung gehört. In den letzten 150 Jahren haben sich Agrarindustrie und Nationalstaaten die bäuerlichen Zuständigkeiten über Saatgut und Pflanzenzüchtung angeeignet und Bäuerinnen und Bauern in die Abhängigkeit von Großkonzernen gebracht. Ist damit nicht eine Vereinheitlichung der Landwirtschaft sowie der weltweite Verlust der Kulturpflanzenvielfalt verbunden?
Eins muss man schon sagen, wenn wir die Saatguterzeugung und -züchtung nicht hätten, dann könnten wir heute die Weltbevölkerung vermutlich nicht mehr ernähren. Ganz einfaches Beispiel: der Zuckerrübenertrag war in den 80er Jahren in unserer Region ca. 600 dt / ha. Heute ernten wir im Vergleich 900 – 1000 dt / ha, bei gleicher Düngung, nur durch eine Verbesserung der Sorten durch Züchtung. Darum würde ich das so nicht unterschreiben, weil das System in Europa doch noch viel Spielraum lässt für die Kulturpflanzenvielfalt. Das gilt aber nicht für alle Länder und alle anderen Kontinente dieser Welt.
Sie haben sich in Ihrer Landwirtschaft auf den Anbau von Senf als Kulturpflanze spezialisiert. Was ist der Grund dafür?
In der heimischen Landwirtschaft ist der Senf keine exotische Pflanze, nur wird er häufig als Zwischenfrucht und nicht als Kulturpflanze angebaut. Der Senf hat wunderbare Eigenschaften die Bodenqualität zu fördern, und ist bekannt dafür, dass er kaum Nährstoffe aus dem Boden entzieht. Das macht den Senf als Anbaualternative auch im Hinblick auf eine zukunftsfähige Landwirtschaft interessant. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Senfanbau gemacht und experimentieren auch mit unterschiedlichen Sorten wie braunem, gelben und orientalischen Senf. Der Senf sieht als Pflanze dem Raps sehr ähnlich, nach der Blüte entstehen ebenfalls die Schoten, in denen dann die unterschiedlich großen Senfkörner heranreifen.
Warum schließen sich Ihnen nicht mehrere Landwirte an und kultivieren Senf?
Das Hauptproblem ist, dass die großen deutschen Senfhersteller den Senf da kaufen, wo er billig ist, und das ist nicht in Deutschland. Hier wird wieder die Regionalität geopfert zu Gunsten von billigen Preisen. Der Senf ist nicht so einfach zu vermarkten, man muss sich auseinandersetzen. Wir sind hier sehr aktiv und arbeiten mit kleinen, regionalen wie großen, überregionalen Senfherstellern zusammen und beliefern diese mit unserem landwirtschaftlichen Produkt, dem Senf, der übrigens das Siegel „geprüfte Qualität Bayern“ trägt. Inzwischen sind wir auch in die Eigenvermarktung eingestiegen: Meine Frau, Renate Bergmair, ist sehr kreativ in der Küche und entwickelt unterschiedliche Produkte und Rezepte rund um die Pflanze Senf. Darüber hinaus gestaltet sie mit den restlichen Materialien der Pflanze jahreszeitliche Dekorationen und bietet sowohl für die kreative Gestaltung wie das Kochen Kurse an. Meine Tochter, Christine Bergmair, hat eine große Leidenschaft für die Vermarktung: Sie gestaltet liebevolle Etiketten und ist sehr engagiert, was Vermarktungsideen wie Veranstaltungen anbelangt. Sie hat eine EU-Marke angemeldet, die den Namen i-Tüpferl trägt und möchte die qualitativen und regionalen Lebensmittel mit ihrer Vermarktung fördern. Das Logo ist übrigens an unseren Senfanbau angelehnt: Es trägt die gleiche Farbe, goldbraun, und ist in Anlehnung an den Gedanken, dass der Senf auch häufig das „i-Tüpferl“ auf dem Essen ist. Das Konzept ist gestützt auf die Verfeinerung der Lebensmittel, qualitative Nahrung und Förderung der regionalen Landwirtschaft.
Wie erklären Sie sich, dass viele landwirtschaftliche Nachhaltigkeitsleistungen oft noch unbeachtet sind und nicht honoriert werden?
Wenn Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft das bedeutet, dass ein Acker vor 2008 keine Wiese sein durfte, dann wissen wir nicht, was das eigentlich mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Das ist aber die Realität bei den Anforderungen und Kontrollen. Ansonsten hat Nachhaltigkeit auch mit Regionalität zu tun. Wenn man bedenkt, wie viele Nahrungsmittel quer durch Europa gefahren werden, stellt sich auch hier die Frage der Nachhaltigkeit. Gleichzeitig haben es Direktvermarkter oft schwer, ihre Produkte regional zu verkaufen oder bei den Lebensmittelketten vor Ort einen angemessenen Absatz zu erzielen. Honoriert würde es werden, wenn man mit geringem Kostenaufwand vermarkten kann. Das ist nur regional möglich.
Wie erklären Sie sich den Trend zu immer größeren und billig produzierenden Betrieben?
Die Politik spricht zwar davon, kleine Betriebe erhalten zu wollen. Arbeitet aber gleichzeitig in die Richtung, dass nur noch Großbetriebe übrig bleiben. Als Beispiel ist das Verbot der Anbindehaltung, das zur Folge haben wird, dass viele landwirtschaftliche Betriebe ihre Milchviehhaltung einstellen oder ihren Betrieb deutlich vergrößern müssten, was hohe Investitionen nach sich zieht, da sich ein Laufstall erst ab 70 bis 100 Kühe rechnet. Ein großer Betrieb kann immer billiger arbeiten als ein kleiner Betrieb.
Wie erklären Sie sich, dass immer mehr Bauernhöfe zusperren in den letzten Jahren?
Die Bürokratie muss radikal heruntergefahren werden. Die Landwirte haben einfach keine Lust mehr, sich gängeln zu lassen, von Menschen, die nur in der Theorie Ahnung von Landwirtschaft haben, nicht aber von der Praxis.
Was sind die Folgen vom Höfesterben, und wie lässt es sich stoppen?
Ständig wachsende Betriebsgrößen. Es wäre einfach notwendig, dass es auskömmliche Lebensmittelpreise in Deutschland gibt, dass nachhaltige und ressourcenschonende Landwirtschaft möglich ist. Außerdem bräuchten wir einen Außenschutz, zumindest dass von Lebensmittelimporten derselbe Standart gefordert wird, den auch die Deutsche Landwirtschaft leisten muss. Das beste Beispiel ist, dass wir seit Ausbruch des Ukraine-Krieges 40 Mio. to Getreide in die EU importiert haben, die mit Pflanzenschutzmitteln behandelt sind, die bei uns gar nicht mehr zugelassen sind.
Was hat die Erhöhung der CO2-Steuer für Auswirkungen auf die Landwirtschaft?
Ständig steigende Kosten. Die CO2-Steuer, die LKW-Maut-Erhöhung, der Wegfall der Diesel-Beihilfe, die Besteuerung der landwirtschaftlichen Fahrzeuge. Alles wird teurer und gleichzeitig kann es die deutsche Landwirtschaft bei aktuell rücklaufenden Erzeugerpreisen nicht mehr stemmen. Das eigentliche Problem ist, dass dem Verbraucher Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität sowie ökologische Bewirtschaftung der Flächen total egal ist, weil man am Konsumverhalten feststellen kann, dass Nahrungsmittel billig sein müssen und oberste Priorität hat die Urlaubskasse.
Vielen Dank für das Gespräch
Das Interview führten Dr. Alexandra Hildebrandt und Christine Bergmair.
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