Die Wahrheit über das „Raumluftwunder“ Zimmerpflanzen
Zimmerpflanzen liegen im Trend, denn sie sorgen für eine natürliche und wohnliche Atmosphäre in den eigenen vier Wänden.
Auf Instagram berichten Plantfluencer unter dem Hashtag #urbanjungle von ihren grünen Errungenschaften und geben Tipps. Doch viele Menschen denken: je grüner und exotischer, desto besser. Allerdings stellen etliche Pflanzen eine enorme Belastung für die Umwelt dar (lange Transportwege, Pestizide, Torf). Verwiesen wird auch immer wieder auf die positiven Auswirkungen auf das Wohnklima. So seien Lorbeerfeige oder Gummibaum „Experten für Beseitigung von Formaldehyd, Xylol und Toluol“, und die Blattfahne (Spathiphyllum) ein „Allrounder in Sachen Schadstoffbeseitigung“.
Doch um einen wirklichen Effekt zu erzielen, bräuchte es einen „kleinen Urwald“, sagt der Biochemiker Christian Lindermayr vom Helmholtz-Zentrum München. In seinen Untersuchungen stellte er fest, dass Pflanzen Stickoxide aus der Luft aufnehmen und als Nährstoffquelle nutzen. Dadurch sei eine Reduktion des Stickoxidgehaltes um bis zu 10 Prozent möglich. Pflanzen sind Feinstaubfänger, denn der Feinstaub lagert sich auf der Blattoberfläche und im Blatt ab.
In Städten spielen Bäume und andere Grünpflanzen deshalb eine wichtige Rolle als Luftreiniger. Ihre Zuschreibung als „Raumluftwunder“ verdanken sie der US-Weltraumbehörde Nasa, die in den 1980er-Jahren die luftreinigende Wirkung diverser Pflanzen als „Schadstofffresser“ untersuchte, um die Luft an den Raumstationen zu verbessern. Darunter waren Bogenhanf, Efeu, Einblatt und Garten-Chrysantheme. Nachgewiesen wurde, dass gängige Arten wie Drachenbaum und Efeutute - die sich prinzipiell auch in Bio kultivieren lässt - schädliche Chemikalien (etwa Formaldehyd und Benzol) aufnehmen. Die Effekte sind allerdings gering. Berücksichtigt werden sollte auch, dass dies unter Laborbedingungen stattfand und sich deshalb nicht auf alltägliche Wohnsituationen übertragen lässt.
Ergebnis: Pflanzen reinigen die Raumluft nicht schnell genug, um Auswirkungen auf die Luftqualität in Wohn- oder Arbeitsräumen zu haben. Vielmehr sei Stoßlüften mehrmals täglich effektiver, da zu viel Kohlendioxid in der Raumluft Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche verursachen kann. Dass vereinzelte Topfpflanzen kaum eine nachhaltige Wirkung wegen der geringen Blattfläche haben, bemerkt auch der Biologe Jörg Feldmann. Zudem geben nur Pflanzen (z. B. Zypergras), die viel Wasser benötigen, auch entsprechend viel Feuchtigkeit an die Luft ab. Wegen ihrer großen Blätter und ihrer hohen Verdunstungsmasse soll zum Beispiel die Zimmerlinde die Luftfeuchtigkeit in Räumen erhöhen.
Auch Nestfarn und Zypergras mögen es feucht und spenden ihrerseits Feuchtigkeit. Diese kann allerdings auch schädlich sein. Wenn Pflanzen beispielsweise in unbeheizten Räumen die Luftfeuchtigkeit erhöht, steigt die Gefahr der Schimmelbildung. Pilze gedeihen ebenso in ständig feuchter Blumenerde, die auch viele andere Keime enthält. Das ist vor allem für Allergiker problematisch. Sporen in der Luft können unter anderem Atemwegsprobleme verursachen. Schimmelpilzallergiker sollten deshalb möglichst im Schlafzimmer keine Topfpflanzen aufstellen.
Der bekannteste Auslöser ist die beliebte Birkenfeige (Ficus benjamina): Ihr Milchsaft enthält einen allergenen Eiweißstoff, der dem Latexprotein sehr ähnlich ist (Gefährdung von Latexallergikern). Die Allergene, die über die Blätter an die Luft abgegeben werden, können sich dann an den Hausstaub binden und noch Monate nach dem Entfernen der Pflanze im Raum bleiben. Neben der Birkenfeige und ihren Verwandten (z. B. Gummibaum) können auch andere Pflanzen zu gesundheitlichen Beschwerden führen. Dazu gehören Korbblütler (z. B. Chrysanthemen, Gerbera), Aronstabgewächse (z. B. Philodendron, Einblatt) und Wolfsmilchgewächse (z. B. Weihnachtsstern, Christusdorn).
Ebenso können stark riechende Pflanzen wie Hyazinthen, Jasmin oder Duftveilchen zu empfindlichen Atemwegsbeschwerden führen. Einige Zimmerpflanzen sind sogar ganz oder teilweise giftig. Dazu gehören unter anderem Alpenveilchen (vor allem Knolle), Azalee, Ritterstern, Korallenstrauch, Efeu, viele Aronstabgewächse (zum Beispiel Einblatt, Fensterblatt, Efeutute, Dieffenbachie) und Wolfsmilchgewächse (zum Beispiel Weihnachtsstern, Kroton). Eine Liste giftiger Pflanzen gibt es bei der Giftzentrale Bonn.
Die Pflanzen sollten aus regionaler Züchtung stammen.
Hinterfragt werden sollten die Bedingungen, unter denen sie angebaut, ob sie mit Pestiziden und Fungizide behandelt wurden, und wie die Zusammensetzung der Pflanzenerde ist.
Auch das Material des Pflanzentopfes (Keramik, Zink oder Plastik) kann die Nachhaltigkeit der Zimmerpflanzen beeinflussen.
Die folgenden Labels von Anbauverbänden kennzeichnen nachhaltige Zimmerpflanzen: Demeter, Naturland, EU-Biosiegel.
Auch Biogärtnereien können weiterhelfen - vor allem dann, wenn die Zimmerpflanzen um eine noch nicht vorhandene Pflanze erweitert werden soll. Das gibt Sicherheit, dass der neue Sprössling aus einem ökologischen Saatgut entstammt.
Secondhand ist in der Regel nachhaltiger als ein Neukauf, denn auch hinter dem Kauf einer Bio-Zimmerpflanze steht ein wasserintensiver Anbau sowie CO2-Emissionen für den Transport zum Verkaufsort.
Pflanzentauschmärkte oder Pflanzentauschbörsen dienen ebenfalls dem Tausch von Jungpflanzen und Saatgut.
Nachhaltige Zimmerpflanzen können auch selbst angepflanzt werden. Dafür braucht es: ökologisches Saatgut, secondhand- oder kunststofffreie Töpfe, torffreie Pflanzenerde.
Beim Kauf der Erde sollte darauf geachtet werden, dass diese frei von Torf ist, da er jahrhundertealten Hochmooren entnommen wird und sein Abbau die komplexen und wichtigen Ökosysteme der Moore zerstört und schlecht für das Klima ist. Denn durch die Entwässerung der Feuchtgebiete entweicht CO2, und es entfällt ein wertvoller Speicher für das Treibhausgas. Gut verrottete Komposterde kann nämlich ebenso für die Bepflanzung von Zimmerpflanzen verwendet werden. In regionalen Anzeigeportalen besteht auch die Möglichkeit, Muttererde zu kaufen.
Das Leben der Pflanzen beginnt nicht erst in den eigenen vier Wänden. Wenn sie ökologisch aufgezogen sind, wachsen sie hier direkt weiter, weil keine Hemmstoffe benötigen, sie sie künstlich klein und kompakt halten. Durch organische Düngung mit vielen Feinwurzeln wachsen sie sogar besser an und sind widerstandsfähiger.
Blühende Bürolandschaften: Die Einbindung der Natur in die Gestaltung der neuen Arbeitswelten
Francesca Polistina: Halb Dschungel, halb Wohnzimmer. In: Süddeutsche Zeitung (4./5./6.6.2022), S. 46.