Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Die Zukunft der Arbeit auf dem Land

Christine Bergmarir

Wo Können und Wissen am besten gedeihen

„Gutes Leben auf dem Land bedeutet, die Möglichkeit zu haben, einigermaßen selbstständig in einem Nah-Raum zu leben, der als schön, lebbar, naturnah verstanden wird“, sagt der Literaturwissenschaftler Prof. Werner Nell, der an der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg lehrt und Sprecher des Forschungsprojekts Experimentierfeld Dorf ist. In seinem Konzept benutzt er den Begriff der Ländlichkeit, um zu verdeutlichen, dass es um die Vorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben geht und einem guten Leben. Mit diesem Thema beschäftigt sich Ralf Otterpohl in seinem Buch „Das neue Dorf", mit dem er Interessierte zur Gründung von Minifarmen und Neuen Dörfern anstiften möchte. Damit verbunden ist die Rückkehr zu lokaler Produktion, die persönliche Handlungsoptionen und Freiheit schafft. Er ist sich sicher: „Ein gutes Leben auf dem Land als Produzent ist global für viele Milliarden Menschen möglich und dringend nötig. Landflucht und Migration wegen Bodenzerstörung können damit umgekehrt werden." Die heutige „Landlust“ ist auch mit der Sehnsucht nach Nähe, Stabilität und Gemeinschaft verbunden sowie mit dem Wunsch nach unmittelbarem Erleben. Dazu gehört zum Beispiel der Rhythmus der Jahreszeiten oder der Bezug zum Haptischen, die Liebe zum Selbstkochen und -backen, Säen, Ernten, Bauen und Reparieren. Damit ist auch das Gefühl verbunden, wieder mehr Kontrolle in einer komplexen und krisengeprägten Welt zu haben. Wenn Lokalwirtschaft von vielen Menschen aufgebaut und nachhaltig gepflegt wird, kann es auch für die Städte eine gute Zukunft geben. Im Neuen Dorf soll es zusätzlich viele weitere Kleinbetriebe, Werkstätten, Gemeinschaftsbüros, Kitas und Schulen, Läden, Cafés, häusliche Altenpflege geben. Das berufliche Wissen und Können von vielen Menschen kann hier weitervermittelt werden. Auch Teilzeitarbeit in Werkstätten und Gemeinschaftsbüros ist leicht „machbar".

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Christine Bergmair, die vor einigen Jahren die Vision von einem Gesundhaus auf dem Land hatte.

Sie erzählte ihren Eltern von dieser Idee, die bereits ein Landwirtschaftsunternehmen in Steindorf führen und eigene landwirtschaftliche Produkte herstellen. Auf über 12.000 m2 entstehen in Steindorf, südlich des Wittelsbacher Landes, ein großes Naturareal mit drei Neubaugebäuden: das Gesundhaus i-Tüpferl (Zentrum für ganzheitliche ambulante und präventive Medizin und Entstehungsort für die Entwicklung des fortschrittlichen, zukunftsfähigen Gesundheitswesens), Gasthaus mit Veranstaltungssaal, Hotelbetrieb und Wirtsgarten sowie einem Feinkosthaus für die Veredelung regionaler Erzeugnisse aus der Landwirtschaft. All das steht für die Marke i-Tüpferl, die Genuss (hochwertige Lebensmittel und regionale landwirtschaftliche Erzeugnisse, die naturnah, nachhaltig und ressourcenschonend hergestellt werden), Freude und Gesundheit an einem Ort vereint sowie Platz für persönliche Entwicklung und Vielfalt im Gesundheitswesen lässt. Das drückt sich auch in unterschiedlichen Raumgrößen ab. Umgesetzt wird das Konzept auf drei Etagen: Jede hat einen Empfang und ein Wartezimmer, das die Praxen gemeinsam nutzen können. „Vom Empfang, über den Wartebereich bis zu den Personalräumen ist bereits alles voll ausgestattet. Die Mieter müssen nur noch ihr persönliches Equipment mitbringen und können loslegen“, sagt Bergmair. Sie bietet auch Praxis-Sharing an: Um sich ein eigenes Standbein aufzubauen, kann hier auch für einzelne Tage in der Woche eine Praxis gemietet werden.

Gesundheit neu denken

Vor allem geht es ihr darum, die nachhaltige Transformation im Gesundheitswesen aktiv mitzugestalten, denn im ländlichen Bereich macht sich der Fachkräftemangel bei Ärzten und Therapeuten besonders bemerkbar. „Immer weniger Hausärzte sind gezwungen, mehr Patienten zu versorgen, der Behandlungs- und Betreuungsbedarf nimmt als Folge der Alterung der Gesellschaft und dem Anstieg an chronischen Mehrfacherkrankungen weiter zu“, sagt der Gesundheitsexperte Manfred Spann, der nicht nur dafür plädiert, dass weitere Förderprogramme aufgesetzt werden, sondern auch dafür, dass die Attraktivität des Berufsbildes weiter ausgebaut wird. Unser Gesundheitssystem gehört zu den ältesten der westlichen Welt. Es wird nach mehr als 140 Jahren zugrunde gehen, wenn nicht schnell etwas geschieht. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, weil immer mehr Menschen gepflegt und anständig versorgt werden müssen.

Gesundheit und Selbstwissen sowie eine gute Behandlungsqualität sind heute genauso wichtig wie die nachhaltige Beschäftigung mit unserem Planeten. Es ist dringlich, uns auch mit der Frage zu beschäftigen, was uns wieder heil werden lässt in einer verletzten Welt: Im Gesundhaus werden deshalb „Therapeuten, Ärzte, Gesundheits- und Sozialberufe unter einem Dach ganzheitlich zusammenarbeiten. Durch die Vernetzung und Integration von therapeutischen Angeboten, Medizin, Naturheilkunde, Prävention, Sozialangebote sowie Bildung steht das Konzept für nachhaltige zukunftsfähige Umsetzung moderner Gesundheitsversorgung. „Neben den großen Themen wie Klimawandel und Digitalisierungsumbruch, die auch in der Umsetzung berücksichtigt werden, soll hier auch die regionale wohnortnahe Versorgung von Medizin, Gesundheit und Soziales auf dem Land sichergestellt werden“, so die junge Gründerin. Zudem sind die Wege zu präventiven Angeboten oft viel weiter als in der Stadt und bieten für ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen eine große Herausforderung und Hürde.

„Die Voraussetzungen für eine eigene Praxis waren nie besser“, betont Dr. Britta Amthor, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Chirurgie. 

„Alles, was man braucht, ist etwas Mut und eine Facharztbezeichnung Allgemeinmedizin oder Innere Medizin.“ Im Jahr 2017 übernahm sie eine Praxis in Landsberg am Lech, in die jahrelang nichts mehr investiert wurde. Nächtelang lag sie damals wach und hatte Zukunftsängste, als sie vor der Gründung ihrer ersten eigenen Hausarztpraxis stand. Das Planen mit großen Geldsummen war für sie damals komplett neu. Doch schon ab Tag 1 konnte sie ihren Umsatz um 50 Prozent steigern, schreibt sie im Ärzteblatt: „Ich habe die Sprechstunde am Donnerstagnachmittag wieder eingeführt und eine umfassende Abrechnungsberatung durchführen lassen. Dank der neuen Geräte wurde mir der Sicherstellungszuschlag ausgezahlt und die durchgeführten Untersuchungen wurden zusätzlich abgerechnet.“ Heute muss sie sich keine Sorgen mehr machen und gibt ihre persönlichen Erfahrungen in den Werkzeugkasten-Modulen des Instituts für hausärztliche Fortbildung (IHF) an die nächste Gründergeneration weiter. Ihre Praxisgründung hat sie nie bereut. Beispiele wie dieses sind der Stoff, aus dem das gute Leben ist.

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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