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Digitales Lesen: Chance oder Fluch?

Immer wieder war in den letzten Jahren zu lesen, dass sich der E-Book-Markt auf niedrigem Niveau bewegt oder rückläufig ist. Inzwischen hat sich der Umsatzanteil von E-Books am gesamten deutschen Buchmarkt innerhalb von zehn Jahren verzehnfacht, stagniert aber seit einigen Jahren zwischen fünf und sechs Prozent. Das Segment ist für die meisten Verlage noch unattraktiv oder wird lediglich als Scouting-Plattform betrachtet. Auch für klassische Verlagskunden und gängige Medien-Plattformen, die sich mit Wirtschaft, Ideen und Innovationen beschäftigen, sind E-Books (vor allem im Selfpublishing-Bereich) kaum von Interesse. Hier steht immer noch das Buch als „Diskursbeitrag“ im Fokus. Doch es ist falsch, allzu kulturpessimistisch darauf zu blicken - die neuen Möglichkeiten müssen nur in ihrem nachhaltigen Wirkungsgrad erkannt werden. Ursprünglich wurde die Entwicklung buchanaloger Lesegeräte wie Kindle, Tolino oder iPad vor allem mit Blick auf den Absatzmarkt elektronischer Belletristik veranlasst. Mittlerweile werden hier auch verstärkt Sachtexte gelesen.

Auch Klassiker und gute Literatur sowie Kunstbücher wollen mit der Hand „begriffen“ werden. Fachwissenschaftliche Beiträge, die ständig aktualisiert werden, sind dagegen eine digitale Bereicherung. Viele Informationen sind bei Printpublikationen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon veraltet und können bei klassischen Verlagen im Nachgang nicht oder erst Folgeauflagen korrigiert werden. Wer heute - unabhängig vom Literaturbetrieb – E-Books selbst publiziert und seine Prozesse ständig verbessert, muss noch mit vielen Vorurteilen kämpfen: Das sei noch zu unprofessionell, und die Leserzahl sei noch zu gering. Dabei ist es wichtig anzufangen, sich auszuprobieren und sich zuweilen vom Perfektionismus zu verabschieden, von der Vorstellung, „vorher“ noch mehr wissen zu wollen oder können zu müssen. Diese Form von digitaler Bildung ist ein selbstschöpferischer Prozess im Sinne eines Ringens um das Verständnis von Welt und dem eigenen Sein darin. Die eigene Kreativität setzt hier elementare menschliche Energien frei und zielt immer auf die Veränderung von Dingen.

Viele Leitmedien betrachteten Blogs vor einigen Jahren noch als Zweite-Klasse-Journalismus. Heute ist es selbstverständlich, dass auch Beiträge guter Blogger neben den „Qualitätsmedien“ gelesen werden. Von dieser Demokratisierung und Grenzüberschreitung ist seit einigen Jahren auch die Buchbranche betroffen. Es ist dank der Digitalisierung möglich, dass heute jede/r einer globalen Leserschaft seine Gedanken und Geschichten zugänglich machen kann. „Man ist nicht eine dem Verlag mehr oder weniger zum Gehorsam verpflichtete Autor:in, sondern eine selbstverantwortlich handelnde Person. Alle Phasen der Buchproduktion hat man selbst in der Hand und kann auch die Leser:innen von Beginn an einbeziehen, die das Buch letztlich für gut befinden und kaufen sollen“, sagt der Autor Alfons Schweiggert. Amazon Publishing scheint wie ein Weckruf an die Verlage, ihr Serviceportfolio für Autoren anzupassen, um neue Wege zu gehen und Inhalte schneller in den Markt zu bringen. Dieser Realität müssen sich alle Verlage heute stellen. Sie werden nicht verschwinden, nur ihre Aufgaben werden sich – wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen - verschieben in Richtung Mehrwert und Dienstleistung für Autoren.

Mit Kindle Direct Publishing (KDP) kann ein Buch als Softcover oder als E-Book kostenlos im Selbstverlag veröffentlicht werden – mit dem Rückgriff auf die weltweiten Amazon-Kunden. Das fertig formatierte Manuskript und Cover wird auf der KDP-Plattform mit wenigen Klicks hochgeladen und kann bereits einige Stunden später bei Amazon, dem größten Onlinevermarkterm gekauft werden. Bei Author Central kann kostenlos eine Autorenseite angelegt werden. Amazon verdient über die Bestellungen. Die Tantiemen bei E-Books liegen zwischen 30-70 Prozent (je nach Umfang), beim gedruckten Buch zwischen 30 und 40 Prozent (Auszahlung monatlich). Die E-Books von KDP kosten zwischen 0,99 Cent und 9,99 Euro – die KDP-Autoren können sie jederzeit aktualisieren, und Preise in diesem Rahmen verändern. Das ist auch ein enormer Unterschied zu den E-Books konventioneller Verlage, die nur wenig günstiger als das Buch sind (zudem sind die PDF-Dateien starr und wenig funktional). Eine andere Art des Selfpublishings sind hybride Verlage wie BoD – Books on Demand (z.B. Tredition oeder ePubli).

Es beginnt bereits mit der Verwendung elektronischer Bilderbücher. Was bedeutet es für die Lesesozialisation der 0- bis 5-Jährigen, wenn sie Bilderbücher unbegleitet oder mit ihren Eltern auf dem Tablet ansehen? Wie gut oder schlecht lernen Schüler:innen, wenn sie digitale Texte nutzen? Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Lesepraxis im Allgemeinen, und welche Chancen sind damit verbunden? Traditionelle gedruckte Medien stehen für Verlässlichkeit, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit. Doch unsere Lesegewohnheiten und unser Leseverhalten ändern sich, wenn wir auf einem Bildschirm lesen – das betrifft auch das Verstehen und Behalten des Gelesenen. „Die Schule ist der richtige Ort, um die (digitalen) Lesekompetenzen zu erwerben“, sagt Dr. Andreas Gold, Seniorprofessor am Institut für Psychologie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine wissenschaftlichen Arbeitsgebiete umfassen die Leseforschung, Lernen und Gedächtnis sowie die Lehr-Lern-Forschung. Für Pädagogen ist dieses Thema eine besondere Herausforderung, weil sie viele “Drehbücher” kennen und entsprechend reagieren müssen, da die Kinder und Jugendlichen ihr eigener „Regisseur“ im selbstständigen Lernprozess sind. Jeder von ihnen lernt anders und muss den Antrieb dazu aus sich selbst entwickeln. Das betrifft auch die Handhabung und Nutzung der neuen Medien.

Nachteile digitaler Texte:

  • Leichtere Ablenkbarkeit (Mind Wandering)

  • Ermüdung der Augen

  • Geringere Sorgfalt beim Lesen.

Diese Herausforderungen lassen sich allerdings bewältigen, wenn schon Eltern und Pädagogen verantwortungsvoll mit dem Thema Medienbildung umgehen (z.B. begleitete Nutzung elektronischer Medien, Vorlesen). Unter den 16- bis 29-Jährigen gehören 55 Prozent zur Gruppe der gelegentlichen Nutzer:innen. Für 80 Prozent der über 60-Jährigen kommen E-Books nicht infrage. Unter den über 65-Jährigen liegt der Anteil der E-Book-Leserschaft nur bei zwölf Prozent. Dabei wird oft nicht berücksichtigt, dass es gerade die Älteren sind, die von E-Books profitieren könnten.

Vorzüge digitaler Texte:

  • Schriftgröße und -art sowie die Kontraste können augenfreundlich eingestellt werden

  • Unkomplizierte Erwerbsmöglichkeiten (ein „Klick“)

  • Höhere Verfügbarkeit und leichtere Zugänglichkeit

  • Kostengünstiger als Printbücher

  • Nutzung elektronischer Suchfunktionen

  • Verknüpfungeb durch Hyperlinks

  • Verstehen und Behalten längerer und komplexer Sachverhalte

  • Stärkung der eigenen Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien.

In seinem Buch „Digital lesen“ gibt Andreas Gold Empfehlungen für den Umgang mit digitalen Texten für das Vorschul-, Schul- und Erwachsenenalter, denn kompetentes digitales Lesen ist erlernbar. Damit es gelingt, braucht es:

  • Zugangsmöglichkeiten

  • Notwendige Fähigkeiten und richtiges Leseverrhalten

  • Richtige Einstellung

  • Ausreichende Lernmotivation

  • Mindestmaß an sozialer Unterstützung.

Auch handgeschriebene Notizen und digitales Lesen stehen nicht im Gegensatz. Ebenso lassen sich mit Tablet und Digitalstift Handschreiben und Elektronik innovativ verbinden (mediales Crossover). Beherrscht werden sollten beide Möglichkeiten. Auch das Schreiben ist nicht verlernt worden, nachdem Gutenberg den Druck entwickelte, zudem wurde nach der Erfindung der Schreibmaschine weiterhin mit der Hand geschrieben. In den zwanziger Jahren hieß es, dass Radios Lehrer ersetzen könnten, in den fünfziger Jahren traute man das den Fernsehern zu. Im Sinne der Nachhaltigkeit wird das, was gut am Alten ist, nicht aufgegeben und die Chancen wahrgenommen, das Neue zu nutzen.

  • Andreas Gold: Digital lesen. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 2023.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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