Duzen oder Siezen im Business?
Du oder Sie - das ist oft die Frage...
Nachdem jetzt auch Xing in seiner Kundenansprache konsequent auf das Du umgestiegen ist, wird es offensichtlich: Es gibt eine Zeitenwende in der beruflichen Ansprache. Wer modern, jung und dynamisch sein möchte, der duzt. Gnadenlos und ungefragt. Auffallend in diesem Zusammenhang sind auch die vielen Stellenausschreibungen, die schon seit längerer Zeit in der Duz-Form formuliert werden. Damit setzen die Unternehmen ein klares Zeichen im Sinn des Employer Branding: Wir sind ein moderner Arbeitgeber und bieten lockere Arbeitsatmosphäre mit flachen Hierarchien. Soweit so gut. Die Frage ist, ob dieses implizite Versprechen dann auch immer gehalten wird. Oft bröckelt die Fassade schon im Vorstellungsgespräch: Dort wird nämlich - nicht nur in konservativeren Unternehmen - konsequent weiter gesiezt. Das erleben wir oft bei unseren Kandidaten, die wir bei OMC auf dem Weg in eine neue Position beraten. Sie richten sich in der Bewerbung voll auf das Du ein und stellen dann verwundert fest, dass ihnen per Sie geantwortet wird. Das ist inkonsequent und zeigt, dass die moderne Unternehmenskultur noch nicht voll umgesetzt wird. Ehrlicher wäre es, die Stellenanzeigen weiterhin beim Sie zu belassen.
Woher kommt der deutliche Trend zum Duzen? Es gibt drei wesentliche Strömungen:
1. Internationalisierung
Durch die starke internationale Vernetzung vieler Unternehmen, speziell im angelsächsischen Raum, sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Siezen gar nicht mehr gewohnt. Sich täglich mehrfach vom englischen Du auf das deutsche Sie umzustellen ist lästig, also wird das Du auch unter deutschen Kollegen zur Normalität - wenn nicht Englisch sowieso die Arbeitssprache ist. Oft wird darüber gar nicht mehr nachgedacht, das Sie ist faktisch ausgestorben, ähnlich wie die Krawatte.
2. Startup-Orientierung
Nicht zuletzt durch TV Sendungen wie „Höhle der Löwen“ ist die Arbeitsweise und Unternehmenskultur der Startups in der Breite der Bevölkerung angekommen. In Städten noch mehr als auf dem Land. Wer in Berlin als junger Mensch keine Startup-Erfahrung hat, der fühlt sich schon fast minderwertig. Und dort wird selbstverständlich geduzt - kein Wunder, denn die Belegschaft hat in der Regel ein Durchschnittsalter von um die 30 Jahren, oft darunter (Quelle: w&v online). Diese Szene strahlt das Jugendlich-Dynamische aus wie keine andere und macht das auch bei jeder Gelegenheit deutlich. Ein Sie ist hier undenkbar.
3. New Work
Mit diesem Begriff wird ein Konzept bezeichnet, das die neue, flexible und agile Arbeitsweise im digitalen und globalen Zeitalter definiert. Basis sind die Werte Selbstständigkeit, Freiheit und die Teilhabe an der Gemeinschaft. Alte, starre Arbeitsmethoden gehören der Vergangenheit an und werden durch selbstbestimmtes Handeln der Arbeitnehmer ersetzt. Kreativität ist gefragt und soll stärker gefördert werden. Dabei verwischen die Grenzen zwischen privatem und beruflichem Handeln – was die verstärkte Duzkultur weiter vorantreibt.
Konkret umfasst New Work unter anderem Kreativitätstechniken wie Design Thinking, Workshop-Methoden wie das World Café, aber auch veränderte Raumkonzepte. Es werden also nicht nur digitale Collaboration-Tools eingeführt, sondern auch konkrete räumliche Voraussetzungen geschaffen für eine verbesserte Zusammenarbeit. Das Zweierbüro hat ausgedient, Open Space ist angesagt. Zur Stärkung der Innovationskraft gibt es Kreativräume mit inspirierender Ausstattung, mobilen Sitzgelegenheiten und Tischen, an denen man in allen denkbaren Positionen arbeiten kann. Das Du ist in solch einer gewollt lässigen Atmosphäre nahezu zwingend und wird derzeit in vielen Unternehmen als Form der Ansprache vorgegeben. Das wiederum fällt vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schwer, denn unter Zwang lässig zu sein ist nicht so einfach, vielleicht sogar unmöglich.
Was verändert das Du eigentlich?
Ist die lockere Ansprache per Du auch ein Zeichen für ein bessere und intensivere Zusammenarbeit? Für eine offene Unternehmenkultur? Das ist nicht unbedingt gesagt. Die Atmosphäre zum Beispiel in der Kreativwirtschaft ist locker, dort wird grundsätzlich geduzt. Nach wie vor ist es der Traum vieler Kreativer, in einer der großen Werbeagenturen Karriere zu machen – obwohl bekannt ist, dass der Druck in Agenturen sehr hoch ist und extrem lange Arbeitszeiten selbstvertändlich sind. Bei gleichzeitig eher bescheidener Bezahlung. Das Du im Agentur-Alltag bewirkt also keine besondere Wertschätzung für die Mitarbeiter, es ist schlicht der Umgangston – ohne dass man daraus Rückschlüsse auf die Unternehmenskultur ziehen kann.
Wann macht das Du einen Sinn?
Ein Miteinander auf Augenhöhe zu leben ist eine Frage des Respekts - und der hat nichts mit Du oder Sie zu tun. Ich habe einige Jahre lang eng mit einem Geschäftsführerkollegen zusammengearbeitet, unsere Geschäftsbeziehung war sehr vertrauensvoll und geprägt von gegenseitiger Wertschätzung. Während der ganzen 5 Jahre siezten wir uns - er war deutlich älter als ich und ist mittlerweile in Rente. Wir begegnen uns gelegentlich und siezen uns noch immer. Weil es einfach so für uns passt.
Das Du allein ist offensichtlich nicht das Entscheidende. Wichtig ist, dass mit dem Du auch eine Kommunikation auf Augenhöhe und gegenseitiger Respekt verbunden ist. Das bezieht sich nicht nur auf das Verhalten von Chefs gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern gilt auch umgekehrt. In vielen Unternehmen ist es in der Belegschaft durchaus üblich, über die Führungskräfte und Geschäftsführung herzuziehen. „Die da oben“ haben keine Ahnung, denken nur an sich und kassieren jede Menge Kohle. Dieses verzerrte Bild der Führung wird auch durch ein Du nicht aufgehoben. Ideal wäre es, wenn durch das Du eine größere Nähe entstehen könnte, die ein besseres Verständnis füreinander bewirkt. Möglich wäre dann auch größere Offenheit und konstruktive Kritik. Dann hätte das Du wirklich einen Sinn - nicht aber als Feigenblatt für eine scheinbar lässige Unternehmenskultur, die in Wahrheit gar nicht gelebt wird.
Müssen alle mitmachen?
Es wird in jedem Unternehmen einzelne geben, die sich mit der angeordneten Kultur des Duzens eher schwertun. Das hat mit der eigenen Sozialisierung zu tun, aber auch mit den persönlichen Prioritäten. Manch einer möchte professionelle Distanz halten, sowohl zu seinen Kollegen als auch zu seinem Vorgesetzten. Das funktioniert sicher per Sie besser als per Du.
Allein die teils empörten Reaktionen der ungefragt per Du Angesprochenen - auch hier auf XING - zeigen, dass es nicht ganz einfach ist, die über Jahrzehnte gelebte Siez-Kultur in Unternehmen aufzulösen. Manch eine(r) braucht eine Übergangs- und Gewöhnungsphase. Und was spricht eigentlich dagegen, parallel zu verfahren: Wer beim Du mitgehen möchte, kann das tun. Wem das angeordnete Du zu aufgesetzt ist, der bleibt beim Sie. Die Unternehmenskultur wird sich ohnehin verändern: Vermutlich werden die Vertreter der Siez-Kultur sehr bald in der Minderheit sein und sich dann auch dem Du anschließen, allein um der Zugehörigkeit Willen. Wichtig ist, das Du nicht streng anzuordnen, sondern eine Atmosphäre zu schaffen, in der es ganz selbstverständlich und authentisch gebraucht wird - weil sich alle auf Augenhöhe begegnen.