Entkoppelung der Arbeit von Raum und Zeit: Sind Einstellung und Haltung heute wichtiger als ein Ort zum Hingehen?
Das Homeoffice hat nach Covid-19 als Arbeitsort für alle Generationen und über alle Branchen hinweg an Bedeutung gewonnen. Arbeitgebende müssen sich deshalb überlegen, wie die Büros der Zukunft gestaltet und organisiert werden sollen.
Dazu bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung: Es sollte nicht nur die Arbeitsfläche in den Blick genommen werden, sondern auch die Dimensionen Fläche, Mensch und Technologie, die interdisziplinär in den Transformationsprozess eingebunden werden sollten. Dass das Homeoffice in der Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist auf folgende Gründe zurückzuführen:
- fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft,
- Verfügbarkeit von leistungsfähigen Kommunikationstechnologien,
- Covid-19-Pandemie,
- Zunahme der Bedeutung von räumlicher Flexibilität,
- neues Bewusstsein für die Wertigkeiten von Arbeit.
„Wenn Unternehmen Top-Talente wollen, führt oft kein Weg am Homeoffice vorbei“, heißt es auf der Facebook-Seite der NEUMÜLLER Unternehmensgruppe. Kerngeschäft ist unter anderem die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld und bezüglich Ingenieurqualifikationen. Für Geschäftsführer Werner Neumüller gehört zur Innovationskultur auch ein Führungsstil, der den Mitarbeitenden Freiräume lässt: Unternehmen müssen heutzutage eine Architektur aufweisen, die gewährleistet, sich selbst zu stabilisieren und zu reparieren, wie es auch die Evolution vormacht. Benötigt wird eine Unternehmenskultur, die die neuen Bedingungen nachhaltig nutzt, um auch den Grad der Digitalisierung zu erhöhen, denn dieser ist künftig entscheidend für den Unternehmenserfolg. Auch auf Instagram startete das Unternehmen eine Umfrage, denn vor allem CEOs und Führungskräfte haben dazu unterschiedliche Meinungen.
So kommt Homeoffice für Trigema-Chef Wolfgang Grupp nicht infrage: "Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig. Je mehr die Leute studiert haben, desto mehr Homeoffice wollen sie. Aber bei mir könnten sie sich dann auch gleich arbeitslos melden, weil sowieso keiner merkt, ob sie arbeiten oder nicht", sagte er der Berliner Tageszeitung.
Jahrzehnte war die Chefetage meistes oben im Gebäude – ein großes Eckbüro mit Vorzimmer symbolisierte Status, Macht und Kontrolle. Es handelte sich um dogmatisches Raummanagement. Heute gewinnen Zusammenarbeit, Gemeinschaft und Identität immer mehr an Bedeutung, und es wird stärker projektbezogen gearbeitet, so dass die klassische Hierarchie entfällt. Arbeit ist nicht mehr tägliche Routine, sondern setzt sich aus verschiedenen Tätigkeiten und Aktivitäten zusammen, die im Zeitalter der Digitalisierung die Wahl des Arbeitsorts definieren. Zudem entkoppelt sich Arbeit immer mehr von Raum und Zeit.
Wichtiger als ein Ort zum Hingehen ist heute vielmehr eine Einstellung und Haltung.
Entsprechend verärgert reagierte Unternehmer Carsten Maschmeyer in der "Bild"-Zeitung auf die Aussage von Wolfgang Grupp: "Wenn du jemandem nicht zutraust, zu Hause zu arbeiten, hättest du ihn gar nicht erst einstellen sollen." Das Vorurteil einiger Führungskräfte, dass ihre Mitarbeitenden im Homeoffice weniger produktiv seien, hält er für falsch: "Aber es zählt nicht die Zeit, die man am Schreibtisch sitzt, sondern das Ergebnis zum Schluss! Kontrolle demotiviert. Kontrolle führt zur Unproduktivität."
Homeoffice wirkt auch dem Fachkräftemangel entgegen: "Wenn es eigentlich egal ist, ob der IT-Spezialist 8000 Kilometer oder acht Meter weiter sitzt, ergeben sich für Unternehmen ganz neue Möglichkeiten, ihre dringend benötigten Fachkräfte zu gewinnen." Zudem ist die Arbeit von zu Hause aus auch aus ökologischen Gründen sinnvoll, so Maschmeyer. Weniger Pendler würden für Verkehr sorgen - und es würden "insgesamt weniger Schreibtische benötigt und der Bedarf an Bürofläche wird zurückgehen …" Es gibt enorme Chancen, den Wohnungsmangel zu mildern und die bisher schleppend verlaufende Verkehrswende zu beschleunigen.
Dennoch ist das Büro nicht tot.
Im Idealfall für die Vermieter wird sich der Flächenbedarf von klassischen Arbeitsplätzen hin zu mehr Besprechungs- und Kommunikationszonen wohl nur verlagern. Es braucht jedoch neue Narrative und Antworten auf die Frage, was das Büro zukünftig leisten muss. Persönliche Zusammenarbeit und der direkte Kontakt im Unternehmen bleiben weiterhin wichtig, denn nicht alles kann per Telefon oder Videokonferenz besprochen werden. Menschen als soziale Wesen suchen Interaktion, Austausch und Inspiration. Inspirierende Räume sind wichtig für den Wissensaustausch - Videokonferenzen sind von Kürze und Effizienz bestimmt, für Kreativität ist hier kaum Platz.
Büros werden also nicht verschwinden: Sie unterstützen vielfältige Tätigkeitsschwerpunkte und bilden die richtige Balance zwischen Präsenz und Virtualität, zwischen digitalem und analogem Arbeiten ab. Mit modernen Arbeitsplatzkonzepten, flexiblen Arbeitsmodellen sowie einem entsprechenden Service-Angebot können die Unternehmen heute schon punkten. Im Rahmen der dritten Auflage der PwC-Studie wurden 125 Arbeitgebende und 600 Arbeitnehmer:innen von deutschen Unternehmen zu ihren Erfahrungen mit dem Arbeiten aus dem Homeoffice und zu möglichen Änderungen beim Flächenbedarf durch neue Arbeitsplatzkonzepte befragt.
Die wichtigsten Ergebnisse:
Büroauslastung: Die befragten Arbeitgebenden geben im Durchschnitt eine Büroauslastung von 45% an – mehr als die Hälfte der Büroflächen ist demnach ungenutzt. Zu Spitzenzeiten steigt die Auslastung auf 63% an.
Mitarbeiter:innenzufriedenheit: Die Möglichkeit der Arbeit im Homeoffice leistet einen erheblichen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben und trägt maßgeblich zur Zufriedenheit bei. 71 Prozent der Befragten geben an, eine erhöhte Lebensqualität und 72 Prozent eine bessere Work-Life-Balance durch die flexible Nutzung von Homeoffice zu haben.
Neue Normalität: Arbeitnehmer:innen verbringen durchschnittlich etwas mehr als die Hälfte der Arbeitswoche an ihrem Heimarbeitsplatz. Rund 62 Prozent der Arbeitnehmer:innen möchten mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice verbringen.
Produktivität: 94 Prozent der Arbeitgebenden geben an, dass die Produktivität der Mitarbeiter:innen im Homeoffice mindestens genauso hoch oder sogar höher ist als im Büro, drei von vier Arbeitnehmer:innen sehen das genauso.
Umsetzung neuer Arbeitskonzepte (Organisation): Die Büroorganisation ist ein wichtiges Element für eine ganzheitliche und erfolgreiche Umsetzung von neuen Flächenkonzepten und der optimalen Auslastung der Flächen.
Veränderung der Büroflächen: Die Mehrheit der Unternehmen plant, ihre Büroflächen an die neuen Anforderungen anzupassen oder hat bereits Maßnahmen ergriffen. Arbeitgebende gehen mittlerweile überwiegend von einem gleichbleibenden Flächenbedarf aus.
Wirtschaftlichkeit: Der wichtigste Einflussfaktor auf die Wirtschaftlichkeit eines Flächenabbaus sind die Umbaukosten der verbleibenden Büroflächen – dies gilt sowohl für Mietflächen als auch für Eigentum.
Weiterführende Informationen:
- Heike Jahberg und Esther Kogelboom: Trigema-Chef Grupp im Gespräch: „Homeoffice gibt es bei mir nicht“
- Tanja May: Maschmeyer knöpft sich Trigema-Chef vor!
- Zur Bedeutung des mobilen Arbeitens
- Stefan Hofer: Home-Office-Tipps: So arbeiten Sie effektiver
- Kim-Lara Bies: Home Office: 5 Tipps für mehr Produktivität
- CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2021.
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