Dr. Alexandra Hildebrandt

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Erich Kästners Aufruf an uns: „Unser friedlicher Streit für den Frieden geht weiter.“

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Die Reden und Publikationen von Erich Kästner für Frieden und Demokratie sind erstaunlich aktuell. 

Am 23. Februar wäre er 125 Jahre alt geworden, am 29. Juli wurde in vielen Medien an seinen 50. Todestag erinnert. In der öffentlichen Wahrnehmung ist er vor allem für seine Kinderbücher berühmt. Doch was von ihm bleibt, ist auch ein sprachgewaltiges Werk für Erwachsene, das wohldosiert zu allen Lebenslagen passt – eine literarische Apotheke für unseren Geist, der immer wieder seiner Stärkung bedarf in einer Welt, die zwischen Kriegen und Krisen aus den Fugen geraten ist. Der literarische Aktivist erinnerte die Deutschen immer wieder an ihre historische Verantwortung. Dazu gehört auch Literatur, die nicht nur als solchen erlebt werden sollte, sondern – wie Erinnerungen - bis ins Herz dringen muss. Wo es schon erkaltet und verschlossen ist, gibt es auch kein vernünftiges Handeln. Über die „deutsche Vergesslichkeit“ nach dem Zweiten Weltkrieg war Kästner zutiefst enttäuscht. Mit der Adenauer-Regierung (vor allem mit den Plänen zur Wiederaufrüstung der Bundeswehr) legte er sich öffentlich an. In München betrieb er ein politisches Kabarett, von 1951 bis 1962 war er Präsident des PEN, zudem setzte er sich aktiv in der Friedensbewegung ein und ging auf Ostermärsche. Erstmals wurden seine Friedenstexte, Gedichte, Prosa und Reden, nun im Buch „Das Land, wo die Kanonen blühn“ zusammengetragen: greifbar, einfach und nachhaltig wirksam.

I. Erfahrungen

Am 1. August 1914 erklärt das Deutsche Reich Russland den Krieg. Im Schulunterricht musste Kästner nationalistische und kriegsverherrlichende Aufsätze verfassen. 1957 notierte er in seinen Erinnerungen „Als ich ein kleiner Junge war“: „Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende.“ 1917 wurde der 18jährige zum Militärdienst einberufen und zum Kanonier ausgebildet. In Dresden und Köln stationiert, muss er allerdings nie in die Schlacht. Der militärische Drill war allerdings nicht folgenlos – Kästner bekommt ein Herzleiden und schreibt über den Ausbilder: „Der Mann hat mir das Herz versaut. / Das wird ihm nie verziehen. / Es sticht und schmerzt und hämmert laut. / Und wenn mir nachts vorm Schlafen graut, dann denke ich an ihn.“ Kästner wird zum Kriegsgegner („Kennst du das Land“, „Jahrgang 1899“, „Primaner in Uniform“)

Bei der Bücherverbrennung 1933 sah er selbst dabei zu, wie seine Werke verbrannt werden. Er gilt ab als geächtet, bleibt aber in Deutschland – vor allem wegen seiner Mutter: „Das ist ein Jahr, da möchte alles sterben! / Die Welt verliert das Laub und den Verstand. / Der Winter und die Dummheit sind die Erben. / Und was sich Hoffnung nannte, wird verbrannt.“ Die zwölf Jahre Nazi-Diktatur brachte ihn zu der Erkenntnis, dass sich drohende Diktaturen nur bekämpfen lassen, „ehe sie die Macht übernommen haben. Es ist eine Angelegenheit des Terminkalenders, nicht des Heroismus“, sagt er 1958 in Hamburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte er als Journalist die Nürnberger Prozesse, schrieb über NS-Konzentrationslager – und erkannte die Dringlichkeit, politisch aktiv zu werden.

II. Betrachtungen

Seine Betrachtungen gelten vor allem dem Thema der Verwandlung, die mit konkretem Tun verbunden ist. So heißt es in „Das ohnmächtige Zwiegespräch“: „Wer nur redet und nicht handelt, / redet dumm und handelt schlecht. / Erst wenn ihr die Welt verwandelt, / seid ihr klug und habt ihr recht.“ Als Satiriker denkt er auch darüber nach, was Macht ist, und warum es immer wieder zu Kriegen kommt: „Der Krieg war aus. Wir waren nichts mehr wert. / Wir hatten nichts getan und nichts verwandelt.“ Weil die Vernunft nur selten gewinnt. In unterschiedlichen Denkformen und Textgattungen sowie zu verschiedenen Zeiten seines Schaffens hat sich Kästner immer wieder mit der Aufklärung beschäftigt. Er las auch Immanuel Kant, für den Vernunft keine Selbstverständlichkeit war, sondern auch eine herausfordernde Erinnerung an unsere Selbstachtung: „Wer sich aber zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, dass er mit Füßen getreten wird.“ In Anlehnung an Kants kategorischen Imperativ schrieb Kästner: „Es gibt nichts Gutes / Außer: man tut es!“ Dieses Epigramm ist allerdings schon 1936 in „Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“ enthalten (mit kleingeschriebenen „man“ und Ausrufezeichen am Ende). Der Mensch soll verantwortungsbewusst, respektvoll, nachhaltig und friedensbereit handeln. Gegen den Krieg in Vietnam, zur Münchener Demonstration am 15. März 1968 sagte er: „Bleiben Sie unerbittlich und vernünftig!“

Wie Kant hielt Kästner den Frieden nicht für einen Naturzustand, sondern für etwas, das immer neu erarbeitet werden muss. Immanuel Kants Büchlein „Zum ewigen Frieden“ war schnell ausverkauft, weil sich viele Menschen auch damals nach Frieden sehnten. Kant schrieb darin, dass es gut wäre, wenn alle Länder und Völker einen gemeinsamen Bund schließen würden, in dem Grenzen und Soldaten keine Rolle mehr spielen sollten. Als Student hatte es der amerikanische Präsident Woodrow Wilson gelesen und war davon sehr berührt. Er wurde zum Mitbegründer des Völkerbundes (heute UNO), die versucht, weltweit Kriege zu verhindern oder zu beenden.

III. Aufrufe

Das Thema ist auch ein wichtiger inhaltlicher Bestandteil seiner Aufrufe. So heißt es im „Marschliedchen“, das auch in sein Friedensbüchlein aufgenommen wurde: „Die Seele kocht, und die Vernunft erfriert.“ Vernunft gibt es für Kästner nur in Verbindung mit dem gesunden Menschenverstand - das geistige Vermögen, Zusammenhänge zu erkennen, zu beurteilen, zu überschauen und sich dementsprechend sinnvoll und zweckmäßig zu verhalten (ein urteilender Verstand). Als Skeptiker prüfte und betrachtete Kästner die Dinge genau und stellte vieles infrage. Bereits in seinen Artikeln in den 1920er Jahren – damals arbeitete er als Feuilletonredakteur der Neuen Leipziger Zeitung - äußerte er sich zum Tagesgeschehen in der Weimarer Republik: „Rüsten, damit der andere keinen Krieg wagt – sie hat die Welt oft genug unter Blut gesetzt.“ (1926) Später warnte er in der „Weltbühne“ vor den Nazis. 1945 sagte er („Der tägliche Kram“): „Wer jetzt beiseite steht, statt anzupacken, hat offensichtlich stärkere Nerven als ich … Wer jetzt Luftschlösser baut, statt Schutt wegzuräumen, gehört vom Schicksal übers Knie gelegt.“ In den 1950er und 1960er Jahren wurde seine Sprache radikaler. So <a>sprach er</a> bei einer Großkundgebung in München 1958 gegen die atomare Aufrüstung: „Man ist dabei aus Europa ein Atomkorea zu machen! Und diesem koordinierten, diesem systematischen Untergang sollen wir aus Gründen der parlamentarischen Etikette zusehen, ohne zu mucksen?“ 

Der 1. Münchner Ostermarsch war 1961 am Königsplatz, und ist vor allem durch die Rede von Erich Kästner in Erinnerung geblieben: Er begann mit einem Goethe-Zitat - mit dem Zwiegespräch zweier selbstzufriedner Bürger in jener Szene aus dem „Faust“ („Osterspaziergang“). Da sagt der eine Bürger: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit, in der Türkei, / Die Völker aufeinanderschlagen. / Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus / Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten; / Dann kehrt man abends froh nach Haus / Und segnet Fried und Friedenszeiten.“ Der andere Bürger antwortet: „Herr Nachbar, ja! so lass ichs auch geschehn; / Sie mögen sich die Köpfe spalten, / Mag alles durcheinandergehn; / Doch nur zu Hause bleibs beim alten!“

Den neuen Aufrüstern warf Kästner Mangel an Phantasie und Mangel an gesundem Menschenverstand vor. Dem Atomphysiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, der im Taschenbuch „Kernexplosionen und ihre Wirkungen“ (1961) bemerkte, dass die Entwicklung des technischen Zeitalters dem Bewusstsein des Menschen „davongelaufen“ sei, bescheinigte er dagegen gesunden Menschenverstand. Damit verband er auch den Mut haben zum Selberdenken und sich klar darüber werden, was richtig und falsch ist. Seine letzten Sätze können aktueller nicht sein – sie wirken wie ein <a>Aufruf</a> an uns: „Unser friedlicher Streit für den Frieden geht weiter. Im Namen des gesunden Menschenverstands und der menschlichen Phantasie. Resignation ist kein Gesichtspunkt!“ 

Teil IV.: Utopien (und eine Dystopie)

Im Fokus der Utopien („Fantasie von übermorgen“, „Das posthistorische Zeitalter“, „Es geht um die Kinder“) steht „Das Märchen von der Vernunft“, das Erich Kästner 1948 schrieb: Ein alter und angesehener Mann trug seine Gedanken Fachleuten vor: „Denn die Vernunft, das weiß jeder, vereinfacht das Schwierige in einer Weise, die den Männern vom Fach nicht geheuer und somit ungeheuerlich erscheinen muß. Sie empfinden dergleichen zu Recht als einen unerlaubten Eingriff in ihre mühsam erworbenen und verteidigten Befugnisse.“ Eines Tages wurde er während einer Sitzung gemeldet, an der die wichtigsten Staatsmänner der Welt teilnahmen und sagte: „Hören Sie mir, bitte, zu. Sie sind es nicht mir, doch der Vernunft sind Sie's schuldig… Sie haben sich vorgenommen, Ihren Völkern Ruhe und Frieden zu sichern, und das kann zunächst und vernünftigerweise, so verschieden Ihre ökonomischen Ansichten auch sein mögen, nur bedeuten, daß Ihnen an der Zufriedenheit aller Erdbewohner gelegen ist." In seinem Kinderroman „Die Konferenz der Tiere“ schließen die vernünftigen Tiere mit den unvernünftigen Menschen einen Friedensvertrag, in dem es unter anderem heißt, dass alle Grenzpfähle und Grenzwachen beseitigt werden, und dass das Militär und alle Schuss- und Sprengwaffen abgeschafft werden: „Es gibt keine Kriege mehr.“

Das Buch:

  • Erich Kästner: das Land, wo die Kanonen blühn. Gedichte und Prosa für den Frieden. Atrium Verlag, Zürich 2024.

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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