Ernährung und Klimaschutz: Warum wir mehr Klartext brauchen
In den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) spielen die Ziele zur Ernährungssicherheit (SDG 2) eine wichtige Rolle.
Der größte Teil unserer Lebensmittel wird in der Landwirtschaft erzeugt. Es folgen die Verarbeitung bei Lebensmittelunternehmen, der Verkauf und die Verarbeitung zuhause oder in Restaurants, Kantinen und anderen Gastronomiebetrieben. Zwischen diesen Schritten liegen viele Transporte. Bei allen Schritten wird Energie benötigt, was dazu führt, dass viele Treibhausgase ausgestoßen werden. Den größten Anteil hat mit etwa 45 Prozent die Landwirtschaft. Doch Landwirtschafts- und Ernährungssysteme sind besonders stark von klimabedingten Schocks betroffen bzw. anfällig dafür – vor allem in Ländern mit niedrigem Einkommen. Über die unmittelbaren Auswirkungen auf die Qualität und den Ertrag der landwirtschaftlichen Produktion hinaus untergräbt der Klimawandel den Zugang zu Nahrungsmitteln und verursacht wirtschaftliche Verluste.
Zudem ist der ökologische Fußabdruck unserer Ernährungssysteme enorm: Auf das globale Ernährungssystem sind bis zu 37 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen zurückzuführen. Direkte Emissionen tragen hierzu circa 12 Prozent bei. Von den 11 Tonnen CO2-Emissionen, die jedem Menschen in Deutschland pro Kopf und Jahr zugerechnet werden, entfallen fast ein Viertel auf unsere Ernährungsweise. So wie das Essen derzeit produziert und konsumiert wird, sind die Klima- und Nachhaltigkeitsziele, die sich die Weltgemeinschaft vorgenommen hat, kaum zu erreichen. Hinzu kommt, dass ein Drittel aller Lebensmittel weltweit im Müll landet. Damit ist die Lebensmittelverschwendung einer der größten Emittenten von Treibhausgasen. In Deutschland werden 313 Kilo Lebensmittel pro Sekunde weggeworfen. Etwa 40 Prozent der weltweit produzierten Nahrungsmittel werden nie gegessen. Die Produktion, Düngung, Kühlung, der Transport der später weggeworfenen Nahrung sind sehr aufwändig. Zugleich ist der Hunger geblieben: Hunderte Millionen Menschen auf der Welt sind unterernährt, die meisten davon Bauern.
Um alle Menschen auf diesem Planeten bis zum Jahr 2050 nachhaltig und gesund zu ernähren, ist eine grundlegende Veränderung unserer Landwirtschaft und Ernährungsweise nötig.
Das zeigt ein Planetary Health Diet-Report der EAT-Lancet-Kommission. Ihr gehören Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern an. Ziel war es, eine wissenschaftliche Grundlage für einen Wandel des globalen Ernährungssystems zu schaffen. Vergleicht man die Empfehlungen der EAT-Kommission mit dem aktuellen Verzehrgewohnheiten in Deutschland, „dann stehen wir gar nicht so schlecht da“, sagt der Ernährungswissenschaftler und Buchautor Dr. Malte Rubach. Er hat Ernährungswissenschaft in Deutschland, der Türkei und den USA studiert, nachdem er sich schon in seiner Jugend als Leistungssportler für Ernährungsthemen begeisterte. In seinen Buchpublikationen beschäftigt er sich mit den Themen Ernährung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Innovation. In seinem aktuellen Buch „Warum es uns kümmern sollte, wenn in China ein Sack Reis umfällt“, widmet er sich etablierten und falschen Narrativen von der Zukunft der Ernährung (zum Beispiel, dass die Kuh ein Klimakiller sei, weil sie das Treibhausgas Methan ausstößt) und stellt ihnen ein faktenbasiertes Szenario entgegen. So weist er nach, dass Milch und Fleisch zum Beispiel die nährstoffdichtesten Lebensmittel sind, die es überhaupt gibt. Gar kein Fleisch zu essen, kann zwar aus Umwelt- oder Tierschutzgründen für manche Menschen sinnvoll sein, doch die gesundheitlichen Gründe werden seiner Meinung nach aber überschätzt. Es kommt auf die Menge und Vielfalt an. Auch seien ökologische und regionale Lebensmittel, was die Klimabilanz betrifft, nicht automatisch besser als konventionelle Lebensmittel: „Es hängt immer vom jeweiligen Betrieb und der Verarbeitungskette ab.“
Entlarvt werden die großen Versprechungen für Fleischersatz aus dem Labor sowie wie die veganen Verzichtszenarien.
Vor allem dreht sich die Diskussion heute um Fleisch und Milch sowie die daraus hergestellten Produkte: „Manche predigen dann direkt den kompletten Verzicht, während andere wiederum in eine ‚Jetzt erst recht!‘-Trotzreaktion verfallen.“ Sein Buch widmet sich der großen Grauzone dazwischen. Denn wer nur auf Schwarz oder Weiß setzt, verfällt rasch in Panik, die den Blick auf die Realität schnell verwässern kann. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass alles „verteufelt wird, was gegen die eigenen Ziele steht.“ Nahrungsmittel wie Milch oder Fleisch zu verteufeln, die sich seit Jahrtausenden bewährt haben, ist nicht zielführend. „Wenn es nur eine richtige Ernährungsform gäbe, dann wären alle Kulturen, die ihr nicht folgen, längst ausgestorben“, so der Ernährungsexperte. Würden alle Menschen vegan leben, dann würde der deutsche Beitrag zu den Klimagasen von zwei Prozent auf 1,92 Prozent absinken - abgesehen davon, „dass eine vegane Ernährung für Kinder, Schwangere, gebrechliche und kranke Menschen immer ein Risiko zur Fehl- und Mangelernährung birgt, wären die Auswirkungen auf die weltweite Entstehung von Klimagasen selbst bei dieser extremen Veränderung unserer Ernährungsweise sehr gering.“ Die Franzosen essen beispielsweise mehr Fleisch als die Deutschen - dennoch gibt es dort weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch das gehört in den Kontext der Nachhaltigkeit: Es kommt auf die gesamte Lebensweise an und „nicht nur auf ein bestimmtes Lebensmittel oder Superfoods“.
Anhand der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen liefert er einen roten Faden auf dem Weg in die Zukunft der Ernährung. Dieser Weg liegt für ihn zwischen den Extremen und steckt voller Chancen Herausforderungen.Vor über 500 Jahren kam es mit der Entdeckung des amerikanischen Kontinents und der Entstehung der Seehandelsrouten zu einer Ernährungsrevolution (Austausch natürlicher Ressourcen etc.). Zusätzlich kam es neben der Entwicklung landwirtschaftlicher Technologien in den letzten 100 Jahren zu einem Schub für die Nahrungsmittelproduktion (unter anderem durch Düngemittel, Pflanzenschutz und Züchtung). Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen wird die nächste Ernährungsrevolution gefordert (Lebensmittel sollen möglichst wenig Treibhausgase, Umweltschäden und Tierleid verursachen, ihre Produktion soll wenig Land und Wasser verbrauchen, sie sollen gleichzeitig überall verfügbar und erschwinglich sein sowie Sinn und Zweck von Ernährung erfüllen). Dabei ist es zunächst wichtig, dass beim Grundbedürfnis Ernährung zunächst „die Qualität von Bildung und auch die gesellschaftlichen Versorgungs- und Begegnungsräume in Städten und Gemeinden eine große Rolle“ spielen. Schließlich entscheiden zuletzt „diese Aspekte mit darüber, ob eine Gesellschaft das nötige Niveau von Wohlstand erreicht und jedes einzelne Individuum gute Gesundheit und Wohlbefinden“, so Rubach.
Für eine klimafreundliche Ernährung gibt viele Möglichkeiten.
Dazu gehören: ein hoher Anteil pflanzlicher Lebensmittel, ökologisch erzeugte Lebensmittel, regionale und saisonale Erzeugnisse sowie möglichst gering verarbeitete Lebensmittel. Die enge Verzahnung des Themas mit den SDG 11 (Städte und Gemeinden) zeigt das Beispiel der Stadt Freiburg, die den Umweltpreis 2023 an zwei Initiativen vergab: Die beiden Bildungsprojekte Bildung für nachhaltige Entwicklung, Ernährung und Klimawandel und Praktische Ernährungsbildung für Kinder und Eltern in Weingarten. Damit wird nicht nur das gesellschaftspolitische Engagement der Arbeitsgruppen wertgeschätzt, sondern auch die wichtige Verbindung von nachhaltiger Ernährung und Klima erneut verdeutlicht. Zudem gibt es den Ernährungsrat Freiburg & Region, in dem sich alle relevanten Akteure des Ernährungssystems von Landwirtschaft, Gastronomie, Verwaltung bis zu den Bürgern zusammentun, um lokale, nachhaltige Ernährung zu fördern.
Das Buch:
- Malte Rubach: Warum es uns kümmern sollte, wenn in China ein Sack Reis umfällt. Die Ernährung der Zukunft. Hirzel Verlag, Stuttgart 2024.
Weiterführende Informationen:
- Welchen Einfluss hat der ökologische Landbau auf Umwelt- und Klimaschutzleistungen?
- Warum die Kuh keine „Klimakillerin“ ist: Über falsche Narrative in der Landwirtschaft
- Warum Landwirtschaft und Ernährungssystem nachhaltig transformiert werden müssen
- Nachhaltige Ernährung: Warum ökologischer Landbau kein Luxus für die Reichen ist
- Saatgutsouveränität ist eine Grundlage von Ernährungssouveränität
- David Evans: Verschwendung. Wie aus Nahrung Abfall wird. Theiss Verlag – WBG. Darmstadt 2017.
- Bartholomäus Grill: Bauernsterben. Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört. Siedler Verlag, München 2023.
- Hans R. Herren: So ernähren wir die Welt. Rüffer & Rub Sachbuchverlag GmbH, Zürich 2016.
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
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