Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Ertrinken im Fortschritt: Warum wir unseren Platz im Wasserplaneten neu definieren müssen

Pixabay

Die Astronauten von Apollo 17 machten auf ihrem Weg zum Mond aus 29.400 Kilometern Entfernung ein Foto von der Erde: Es zeigt eine blaue Kugel im Sonnenlicht. 

„Das Grün der Erde erwies sich als eine dünne Haut auf einem Wasserplaneten, der mit seinen zahlreichen Blauschattierungen in unserem Sonnensystem und vielleicht sogar im gesamten Universum einzigartig ist“, schreibt der Ökonom und Vordenker Jeremy Rifkin in seinem aktuellen Buch „Planet Aqua“. Am 24. August 2021 prägte die Europäische Raumfahrtagentur ESA diesen Namen. Auch die amerikanische National Aeronautics and Space Administration (NASA) erklärt auf ihrer Website: „Wenn man unsere Erde aus dem Weltraum betrachtet, ist es offensichtlich, dass wir auf einem Wasserplaneten leben.“ 

Doch wir haben uns eine dem Wesen unserer Existenz widersprechende Zivilisation und Infrastruktur aufgebaut und uns falsche Vorstellungen von unserer Existenz und unseren Lebensgrundlagen gemacht. „Wir benötigen eine Form des Neo-Animismus – basierend auf einer wissenschaftlich und technisch versierten Wiederannäherung an unseren vom Wasser geprägten Heimatplaneten“, so Rifkin. Die Klimakrise hat auch Einfluss auf die Hydrosphäre: Mit jedem Grad Celsius der Erderwärmung verdunstet das Wasser aus dem Boden und dem Meer schneller in die Atmosphäre. Die Wasserkonzentration in den Wolken steigt um sieben Prozent.

Auswirkungen des Klimawandels auf unseren Wasserhaushalt

  • Im Jahr 2050 könnte die Ernährung von 3,5 Milliarden Menschen gefährdet sein (heute sind 1,5 ­ Milliarden.)
  • Häufung von Hochwasser- und Starkregenereignissen
  • Klimamigration und Massenflucht ganzer Populationen
  • Weltweites Ansteigen der Konflikte und Kriege
  • Anstieg des Meeresspiegels und Senkung des Sauerstoffanteils in den Weltmeeren
  • Zunahme von Rekordtemperaturen von 43 bis 50 Grad Celsius weltweit
  • Beeinflussung der Rotation der Erdachse (mit nicht absehbaren Folgen für das künftige Leben auf der Erde)
  • Zunahme starker bis extremer Trockenheit (besonders in Ländern mit mittleren oder unteren Einkommen)
  • Zunahme von Überschwemmungen (machen aktuell rund 35 Prozent der Naturkatastrophen auf dem Kontinent aus)
  • Waldbrände und Beeinträchtigung der Luftqualität
  • Derzeit sind 2,6 Milliarden Menschen von starkem oder extremem Wassermangel betroffen. Bis 2040 werden es insgesamt 5,4 Milliarden Menschen in 59 Ländern sein.

Jeremy Rifkin ist Mitglied des Executive Education Program der Wharton School, Berater mehrerer Staatsoberhäupter der Europäischen Union und Präsident der Foundation on Economic Trends in Bethesda, Maryland. Seine Bücher sind internationale Bestseller und lösten weltweite Debatten zu den großen gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen aus, siehe zum Beispiel »Das Ende der Arbeit« und „Access“ und „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“. 2019 erschien »Der globale Green New Deal«, 2022 sein Buch „Das Zeitalter der Resilienz“. 

Darin heißt es: Statt weiter auf Fortschritt zu setzen, sollte die Widerstandsfähigkeit aller Systeme gestärkt werden. Das Buch versammelt zugleich alle Themen, die ihn in den letzten Jahrzehnten beschäftigt haben: erneuerbare Energien, Wasserstoffrevolution, Privatisierung des Wassers, Biophilie, Bodenschutz oder Internet der Dinge. Effizienz (immer mehr Gewinn in immer kürzerer Zeit), der „Motor der Moderne“, ist auch hier sein Leitgedanke. Je effizienter gewirtschaftet wird, desto größer sind die Schäden der Natur (Artensterben, Klimakrise etc.).

Unsere Neuorientierung bringt uns zurück zu einer Vorstellung, die westliche Philosophen als »das Erhabene« bezeichnet haben. 

Der Gedanke geht zurück auf den irischen Denker Edmund Burke und seinen Aufsatz Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen aus dem Jahr 1757. Der Begriff wirkt bis heute nach: Im Erhabenen hören Ordnung und Chaos auf, Gegensätze zu sein. Deshalb wird es von Reinhold Messner auch mit dem Motiv der Regeneration in Verbindung gesetzt. Die Hybris, die Grenze zum Erhabenen zu überschreiten, ist ein lebensgefährlicher Akt, der Tod bedeutet: „Es gibt Grenzen, die wir zu respektieren haben. Wer diese Grenzen überspringen will, spielt als Industrieller unter Umständen mit der Zerstörung der Umwelt, als Sportler nicht selten mit Drogen, als Grenzgänger mit dem Tod.“ 

Der Grenzgänger im Messnerschen Sinne ist jemand, der die Natur und das Erhabene in ihr weder bekämpfen, erobern oder dominieren will." Vor diesem Hintergrund weist Rifkin auch auf die Land Art, eine ortsspezifische Kunst, bei der auch häufig vor Ort vorgefundene Materialien verwendet werden. In den späten 1960er Jahren entwickelte sie sich außerhalb des Studios und des Galerieraums. Sie entstand auch als Reaktion auf den immer mehr in den Vordergrund tretenden Warenwert von Kunst und in kritischer Auseinandersetzung damit, kein weiteres Konsumgut schaffen zu wollen. 

Im Fokus steht die Frage: Wie können Klima, Energiesicherheit, Nachhaltigkeit und urbanes Leben in ein sich unterstützendes Miteinander gebracht werden? Stadtentwicklung bedeutet für Rifkin nicht mehr nur permanentes Wachstum. Deshalb werden neue Strategien für Umbau, Reparatur, Innenentwicklung, Nachverdichtung oder Rückbau benötigt. Vorgestellt werden in seinem Buch deshalb auch Strategien für eine widerstandsfähige, nachhaltige, soziale und wirtschaftlich erfolgreiche Entwicklung unserer Städte und der sie umgebenden Landschaften (kontextuelle Resonanz zu Natur- oder Landschaftsräumen). Auch die ephemere Stadtentwicklung nimmt breiten Raum in seinem Buch ein: Ephemere (im weitesten Sinne temporäre) Stadtstrukturen werden oft als Einzelfälle verstanden, die im speziellen Kontext funktionieren. Sie erlauben das 'Testen' von Funktionen im öffentlichen Raum mit wenigen Mitteln und ohne langfristige örtliche Bindung. Ephemere Strukturen können auch in iterative Stadtentwicklungsprozesse eingebunden werden. Rifkin zeigt auch auf, wie durch ephemere Stadtentwicklungsinstrumente experimentelle Nachnutzungen ausprobiert werden und dabei nachhaltige Innovationspotentiale aufgedeckt werden können. 

Zudem verweist er auf das 2009 gegründete Omega Center for Sustainable Living (OCSL). Es integriert das preisgekröntes Gebäude und die hochmoderne natürliche Wasserrückgewinnungsanlage des Campus – die Eco Machine™ – mit einem umfassenden Umweltbildungsprogramm, das auf einem ganzheitlichen, ortsbezogenen Ansatz zur Problemlösung ausgerichtet ist und die Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Natur und Individuum berücksichtigt. Das OCSL zeigt und lehrt, was durch regeneratives Denken und Design für unser Klima und unsere Gemeinschaften möglich ist. Gemeinschaftsorganisation und innovative Bildungsprogramme bieten Besuchern und Studierenden einen Weg in eine nachhaltige, gerechte, belastbare und regenerative Zukunft. 

Zu den Einzelbeispielen, auf die Rifkin verweist, gehört auch die Engawa in der traditionellen japanischen Architektur: ein überdachter Korridor, der um den äußeren Umfang eines Gebäudes verläuft (Erweiterung des Innenraums nach außen, die einen wichtigen Übergangsraum zwischen dem Inneren und Äußeren des Gebäudes schafft). Sie lässt Wohnräume größer erscheinen und dient als Sonnenschutz, Windfang, als Ruhepol und Aussichtspunkt in den Garten, aber auch als informeller Raum für Gäste. Die Möglichkeit, die Außenhülle eines Gebäudes an die natürlichen Rhythmen eines Ortes (Tageszeiten oder Wetter) anzupassen, verschafft der natürlichen Umgebung wieder Bedeutung in unserem Leben. 

Vor dem Hintergrund der rasanten Urbanisierung spielt die Idee eines Anbaus ohne Boden in Überlegungen zur zukünftigen Landwirtschaft eine immer größere Rolle. 

Vertical Indoor Farming ist ein prominentes Beispiel dafür: Mit der Methode sollen Nahrungsmittel das ganze Jahr produziert werden (unabhängig von Wetter und Jahreszeit), verbunden mit der Hoffnung, Platz, Wasser, Dünger und Pestizide zu sparen und Klima und Böden zu schonen. Vor allem Salat, grünes Blattgemüse und Kräuter wachsen in geschlossenen Gebäuden, gestapelt in Hochregalen. Angebaut werden sie in hydroponischen oder aeroponischen Systemen, in denen die Pflanzen nicht in Erde wurzeln. Die Nährstoffe werden über das Wasser oder in der Form eines feinen Nebels den Pflanzen zur Verfügung gestellt.

Vorteile:

  • Es gelangen keine oder kaum Schadstoffe in Böden und Grundwasser
  • Pflanzen sind seltener Krankheitserregern ausgesetzt, auch braucht es weniger Pestizide
  • Computer steuern LED-Beleuchtung, Bewässerung, Raumtemperatur und Nährstoffgehalt, damit die Pflanzen schnell wachsen
  • Erzielung hoher Mengen bei Salat, Kräutern und Blattgemüse
  • Kürzere Transportwege.

Nachteile:

  • Sehr energieintensiv und sehr teuer
  • Solange die verwendete Energie aus fossilen Quellen stammt, produzieren Indoor-Farms deutlich höhere Emissionen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO₂)
  • Höhere Preisen für vertikal erzeugte Lebensmittel
  • Eignung fast nur für wasserhaltigen Früchte und Blattpflanzen, die kaum Kalorien liefern, aber für eine ausgewogene Ernährung wichtig sind.

Dies ist allerdings nur ein Teil der notwendigen Transformation der Landwirtschaft. Es braucht einen ganzheitlichen Umbau der Landwirtschaft im Sinne gerechter und ressourcenschonender globaler Ernährungssysteme. Dafür müssen wir uns selbst und unsere Beziehung zu unserem Planeten neu verstehen. Wir müssen lernen, wie wir uns an die natürlichen Wasserkreisläufe anpassen können und unseren Platz im Universum neu definieren. Denn angesichts der Erderwärmung kollabiert die Zivilisation weltweit. Zudem ist wissenschaftlich belegt, dass in den kommenden achtzig Jahren mehr als die Hälfte der heute lebenden Arten aussterben könnte. Deshalb sollten wir uns immer wieder  fragen: Wie gehen wir mit der Natur um? Wie steuern wir Wirtschaft und Gesellschaft? Wie konzipieren wir das Wirtschaftsleben nachhaltig?

Das Buch:

  • Jeremy Rifkin: Planet Aqua. Unser Zuhause im Universum neu denken. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2024.

Weiterführende Informationen:

Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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