Frauen, Filmkunst und Macht: Eine riskante Beziehung
Wer aufsteigt, betritt die Arena der Macht, in der um Status und Einfluss gerungen wird.
Wie weit und wie hoch sind Künstlerinnen bereit, für ihren Erfolg zu gehen? Was sind sie ohne Aufmerksamkeit? Inwieweit sind sie verführbar und tragen ein politisches System mit? Die Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin Evelyn Steinthaler untersucht in ihrem Buch „Schau nicht hin - Kunst als Stütze der Macht“ die Lebensläufe der beiden Schwedinnen Zarah Leander (1907 - 1981) und Kristina Söderbaum (1912 - 2001), der Ungarin Marika Rökk (1913-2004) und der Tschechin Lida Baarová (1914 – 2000).
Alle eint, dass sie freiwillig nach Deutschland kamen, im nationalsozialistischen Deutschland zu gefeierten Leinwandstars aufstiegen und die Unterstützung des Regimes genossen. Im Gegensatz zu den anderen konnte sich Leander allerdings nicht wie Söderbaum (durch ihren Ehemann Veit Harlan), Rökk (durch ihren Ehemann Georg Jacoby) und Baarová (durch ihr Verhältnis mit Goebbels) auf starke persönliche Beziehungen verlassen. Sie machte Karriere aus Berechnung, wie Steinthaler nachweist. Sie wurde „die Propaganda-Diva des Herrn Goebbels“. Nach dem Krieg distanzierte sich Leander von den Nationalsozialisten, Rökk erklärte, dass sie sich nur um ihre Kunst gekümmert habe, Söderbaum und Baarová verstanden sich als Opfer der politischen Umstände.
Die 1914 in Prag geborene Schauspielerin Lida Baarová wurde von der Ufa angeworben. Bald wurde Hitler auf sie aufmerksam. "Wir haben ‚Barcarole‘ gedreht. Das ganze Studio wurde unter Wasser gesetzt, weil die Geschichte in Venedig spielte. Plötzlich ist Hitler mit Gefolge, auch Goebbels war dabei, gekommen. Er hat mich lange angeschaut, und ich hab' mir gedacht, warum schaut er mich so an?" Am nächsten Tag wurde sie in der Reichskanzlei zum Tee eingeladen. Sie lehnte Hitlers Angebot ab, Deutsche zu werden. Eine neuerliche Einladung zum Tee schlug sie aber nicht aus. Sie sei dann doch in die Reichskanzlei gegangen, sagte sie einige Jahre vor ihren Tod - allerdings unter dem Versprechen, ihren Liebhaber Gustav Fröhlich jede Viertelstunde anzurufen. Von einem dieser Telefonate kehrte sie mit verweinten Augen an Hitlers Teetisch zurück. Sie habe das Regime nicht akzeptiert. "Das konnte ich aber ihnen nicht sagen." Beim einem der damaligen Empfänge habe sie Goebbels kennengelernt. Dessen Liebeswerben habe aber erst später massiv eingesetzt. Die Liebesaffäre dauerte zwei Jahre und sein bis zum politischen Skandal eskaliert. Zwischen 1934 und 1938 drehte Lída Baarová zahlreiche Ufa-Filme, darunter "Leutnant Bobby", "Der Teufelskerl" oder "Die Stunde der Versuchung".
Wer sich Joseph Goebbels im Dritten Reich in der Filmwelt widersetzte (wie Renate Müller), konnte keine Karriere mehr machen.
Auch lange nach Kriegsende wurden die vier Frauen vom deutschen Publikum begleitet und verehrt. Ihre Karrieren erfolgten übergangslos. Auch ihre Filme wurden weiterhin gezeigt. Ihr „langer Schatten“ findet sich noch in der heutigen Populärkultur. Schlager wie Zarah Leanders "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" sind noch heute Teil der Popkultur. Die ausgewählten Biographien dienen Steinthaler als Paradebeispiele für das Zusammenspiel von Macht und Kunst, das zu allen Zeiten aktuell ist. Denn die Frage stellt sich immer, wofür sich Künstlerinnen und Künstler auf oder vor der Bühne instrumentalisieren lassen. Von den sieben Quellen der Macht (Expertenmacht/Fachautorität, Informationsmacht, Persönlichkeitsmacht/persönliche Autorität, Positionsmacht/Amtsautorität, Sanktionsmacht, Belohnungsmacht, Beziehungsmacht) spielen nur zwei eine wichtige Rolle bei Steionthaler: Positionsmacht und vor allem Beziehungsmacht.
Im Althochdeutschen, Altslawischen und Gotischen bedeutete das Wort „Macht“ so viel wie Können, Fähigkeit, Vermögen. Vergleichbar stammt das lateinische Substantiv für „Macht“ (potentia) vom Verb possum, posse, potui ab, welches heute mit „können“ übersetzt wird. Das spanische Wort „poder“ und das französische Wort „pouvoir“ sind in diesem Sinne auch zweideutig - sie heißen „Macht“ und „Können“ (allerdings spielt letzteres keine Rolle im Buch von Evelyn Steinthaler). Die positiven Ausprägungen dieser Verbindung lassen sich in den Wirtschaftskontext übertragen: Verschlagen muss ein Mensch sein, der viel Geld machen will, um als Karrierist oder Karrieristin an sein Ziel zu kommen. Der Preis für Erfolg und Habgier, die von der Rechtswissenschaft als „rücksichtsloses Streben nach Gewinn um jeden Preis“ definiert wird, hat mit der inneren Währung zu tun: Entseelung. Da sich die (Hab-) Gierigen der eigenen Verantwortung nicht bewusst sind, können sie auch nicht sorgend Anteil am Anderen nehmen und „hinsehen“.
Kluge Frauen beherrschen die Spiele der Macht und verlieren dabei nicht ihren inneren Kern.
Erst in ihren unterschiedlichen Rollen offenbaren sie ihr eigenes „Können“ und die Fähigkeit zur Veränderung. Rollen machen zudem auch resilienter gegenüber äußeren Störungen, die im „Kostüm“ hervorragend abgefedert werden können. Gute Spielerinnen geben sich nicht selbst die Schuld, wenn ein Stück nicht gut läuft und sie ihre Rolle nicht professionell zu Ende spielen konnten, denn sie sind sich bewusst, dass (Bühnen-)Systeme funktionieren müssen und professionelle Strukturen und Mitstreitenden für den Gesamterfolg entscheidend sind. Wenn sie aus Systemen aussteigen, verzichten sie zwar auf Funktionsmacht, gewinnen aber an Gestaltungsmacht, die mit eigenen Überzeugungen, Leidenschaften und Können einhergehen.
Weiterführende Informationen:
- Evelyn Steinthaler: Schau nicht hin. Kunst als Stütze der Macht – die Geschichte der Diven des NS-Kinos. Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG Verlag, Wien 2024.
- Einblicke hinter die Kulissen der Traumfabrik: Interview mit Sebastian Stielke
- Im Schatten der Weltgeschichte: Zwischen Hollywood und Bergen-Belsen
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