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Eingestehen und handeln: Es gibt immer Alternativen, wenn der Karriereplan nicht aufgeht - © Getty Images

Freiheit statt Führung: Wie ein Karriere-Rückschritt ohne Blessuren gelingt

Die Karriereleiter kennt nur eine Richtung: nach oben. Doch was passiert, wenn man auf der nächsten Stufe strauchelt? Die Geschichte eines ehemaligen Geschäftsführers zeigt: Auch ein Karriere-Rückschritt kann für die persönliche Entwicklung ein Fortschritt sein.

Karl-Heinz P. hat den Horror erlebt: Vom Teamleiter eines IT-Dienstleisters in der Automobilbranche in Niedersachsen stieg der allseits beliebte Software-Ingenieur zum Geschäftsführer seiner Firma auf. Neun Monate später gab der 46-Jährige mit einem Nervenzusammenbruch auf. Er räumte den Posten, ging drei Monate in Reha und kehrte danach als Projektleiter ohne Führungsverantwortung in den 180-Mann-Betrieb zurück.

Das hat sich anfangs ganz schön bescheuert angefühlt.
Karl-Heinz P. über seinen Karriere-Rückschritt

Drei Jahre später erinnert sich Karl-Heinz**:** „Das hat sich anfangs ganz schön bescheuert angefühlt.“ Er war beschämt, glaubte, versagt zu haben, und fürchtete Spott und Häme der Kollegen. Auch stellte er sich den Umgang mit seinem Nachfolger schwierig vor, der ihn wahlweise als Rivalen oder Schwächling wahrnehmen könnte. Doch dank professioneller Begleitung durch einen Coach gab der gescheiterte Chef nicht seiner Angst und seinen Spekulationen nach, sondern stellte sich den Herausforderungen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu seiner persönlichen Transformation:

Der 46-Jährige war ein talentierter Kopf, der sein Studium mit einer Promotion abgeschlossen hatte und rasch bei seinem Arbeitgeber zum Teamleiter aufgestiegen war. Geprägt durch die Scheidung der Eltern während seiner Schulzeit, wollte er es immer allen recht machen, scheute Konflikte und war der „nice guy“ – im Beruf wie auch privat. Überall beliebt, drückte er oft eigene Gefühle und Bedürfnisse weg. Vor allem dem Vater, von dem er sich seit der Pubertät verlassen fühlte, wollte er zeigen, dass er ein erfolgreicher Manager ist, der seinen Mann im Leben steht.

Karl-Heinz war ein exzellenter Programmierer, der rasch verstand, was Kunden wünschten und brauchten. Mit seiner harmonischen Art wollte er stets dazugehören. Als Chef waren nun Übersicht, Führung und Konfliktbereitschaft von ihm gefordert, die er aber nie kultiviert hatte. Und seine Stärke als Softwareentwickler war plötzlich nicht mehr gefragt.

So fehlten ihm die Erfolgserlebnisse, mit dem Termindruck konnte er nicht umgehen, und in den Teams machten deren Leiter, was sie wollten. Karl-Heinz kam kaum mehr aus dem Büro, kontrollierte sogar am Wochenende Teilergebnisse und besserte diese persönlich nach. Er konnte nicht mehr schlafen, regenerierte nicht mehr, machte kaum mehr Sport und war in Meetings fahrig und unkonzentriert. Als sein Gesellschafter wissen wollte, was los ist, bekam sein Geschäftsführer einen Weinkrampf und kollabierte.

Der Gesellschafter bot Karl-Heinz eine Auszeit an, in der bei beiden die Einsicht reifte, dass der Chefposten neu besetzt werden müsse. Der Inhaber wollte seinen talentierten und loyalen Ingenieur nicht verlieren, offerierte ihm eine Stelle als Projektleiter ohne Führungsverantwortung mit vielen Freiheiten und kommunizierte dies offen in der gesamten Firma. Sein leitender Angestellter gönnte sich einen Coach und arbeitete mit ihm all seine Gefühle wie Beschämung, Selbstzweifel und Angst vor der Rückkehr auf.

Aufarbeitung persönlicher Themen inmitten eines sicheren Rahmens. - © Leonhard Fromm
Aufarbeitung persönlicher Themen inmitten eines sicheren Rahmens. - © Leonhard Fromm

Zunächst gestand er sich ein, dass die Auszeit – neben dem Gefühl des Versagens – vor allem auch eine Befreiung für ihn war, die ihm wieder ermöglichte, zu schlafen und zu leben. Sein Coach zeigte ihm auf, dass er nicht als Mensch, sondern nur als Chef gescheitert war. Und auch dies nur, weil er Muster aus Kindheit und Jugend noch nicht aufgearbeitet und Führung noch nicht reflektiert hatte.

So konnte sich Karl-Heinz sein „Scheitern“ immer besser verzeihen, weil er ihm die Dramatik der Niederlage nahm und es in eine gemachte Erfahrung umdeutete, um die er nun reicher sei. Dass der Gesellschafter ihn als Projektleiter halten wollte, spiegelte ihm zudem Wertschätzung und weitere Zugehörigkeit zur Firmenfamilie. In dieser Haltung konnte er gut zu den Kollegen und Kunden zurückkehren.

Karl-Heinz hat die Krise zum Anlass genommen, seine Kindheit aufzuarbeiten, insbesondere seine Abhängigkeit von der Anerkennung des Vaters. Nun ist ihm klar, dass er für die Liebe seines Vaters nichts leisten muss, weil ein Vater sein Kind bedingungslos liebt. Und wenn nicht, dann hat der Erzeuger ein Defizit in seinem Selbstverständnis. So arbeitete sein Coach intensiv mit ihm an seiner Selbstliebe, damit er nicht mehr vom Lob anderer abhängig ist, sondern auch in Konflikte gehen kann und diese offen anspricht, wenn etwa ein Kollege seine Leistung nicht bringt.

Heute ist Karl-Heinz dankbar, dass ihn die Beförderung damals über seine Grenzen gebracht und ihm persönliches Wachstum ermöglicht hat. In dieser Souveränität ist er keine Bedrohung für seinen Nachfolger, der seine Expertise schätzt und ihn deshalb gelegentlich um Rat fragt. Im Team genießt der Ex-Chef großen Respekt, weil er eine innere Autorität und Würde ausstrahlt, die ihn zu einem wichtigen Faktor in der Firmenkultur macht, der integriert und moderiert.

Durch sein Beispiel hat sich die Fehlerkultur im Betrieb deutlich verbessert. Mit seinem Vater hat sich Karl-Heinz ausgesprochen, und die Beziehung zu seiner Partnerin ist lebendiger und kraftvoller geworden, weil er auch zu Hause seine Bedürfnisse spürt und artikuliert.

Haben Sie schon einmal einen Karriere-Rückschritt gemacht? Wie ging es Ihnen dabei? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.

Autor Leonhard Fromm ist Gestalttherapeut und Männer-Coach. Der 59-Jährige skizziert hier einen Fall aus seiner Praxis, wie er ihn immer wieder mit Führungskräften im Einzel erlebt. Der Schorndorfer gibt in Bildungshäusern auch Männerseminare, in denen die Teilnehmer Zugang zu ihren Gefühlen bekommen. www.der-lebensberater.net

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Leonhard Fromm schreibt über Coaching, Therapie, Klarheit im Alltag, Gesundheit & Soziales

geboren 1963, 2 facher Vater, gelernter Wirtschaftsredakteur, 2002 Gründung der eigenen Kommunikationsagentur. Nach mehreren Krisen befasse ich mich seit 2009 mit meiner Biografie, habe eine gestalttherapeutische Ausbildung absolviert und bin beratend tätig - biete Seminare und Coachings an.

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