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Gamechanger Neuroleadership?!

Gamechanger Neuroleadership?! Wie Führung wirklich funktioniert (Teil 2)

Mittlerweile haben wir den Neuro-Boom mit allen skeptischen Meinungen sowie inflationären Etikettierungen mit „Neuro“ überstanden und erleben eine Phase, in der sich die Führungs- und Coachingpraxis selbstverständlich Studien und Erkenntnissen der Gehirnforschung bedient. Auf Neuroleadership reagierten viele vor gut zehn Jahren noch mit Stirnrunzeln statt Interesse, aber dies hat sich – glücklicherweise – geändert. Im zweiten Teil „Gamechanger Neuroleadership? Wie Führung wirklich funktioniert“ erfahren Sie, was sich hinter Neuroleadership verbirgt und warum Sie es nicht nur für die Führungsarbeit, sondern bei jeder zwischenmenschlichen Interaktion benötigen.

Der Begriff „Neuroleadership“ wurde erstmalig im Jahr 2006 von David Rock, der damals in der Coachingpraxis aktiv war, lanciert und bekanntgemacht. Die zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen Studien der Neurowissenschaft sammelte er und fasste diese zu fünf Kategorien namens Status, Certainty, Autonomy, Relatedness und Fairness zusammen. Auf Grundlage dieser Recherche entwickelte er das sogenannte SCARF-Modell, das es mit diesen Dimensionen zu befolgen gilt, um Bedrohungen im Rahmen der Führung abzuwenden und für Belohnungen zu sorgen.

Aus der Praxis in die Wissenschaft

Die Kombination aus Neurowissenschaft und Führung war jedoch nicht nur für viele Praktiker:innen spannend und neu, sondern weckte auch das Interesse in der wissenschaftlichen Community. Insbesondere im deutschsprachigen Raum entwickelten sich solche Ansätze für Neuroleadership in der Theorie und Forschung. Grundlage dafür stellte der konsistenztheoretische Ansatz von Klaus Grawe dar, der mit seinem Buch „Neuropsychotherapie“ ein bahnbrechendes Werk geschaffen hatte, das für Neuroleadership eine aus psychologischer und neurowissenschaftlicher fundierte Basis bot.

Umfassende Forschungsprojekte mit empirischen Analysen zeigten nämlich, dass die Konsistenztheorie im Rahmen von Neuroleadership einen stärkeren Einfluss auf die Leistung und Gesundheit aufweist und somit allen Ansätzen (bis heute noch) überlegen ist. Ausgangspunkt sind die im menschlichen Gehirn verankerten Grundbedürfnisse, die jeder Mensch individuell verfolgt, da jedes Gehirn durch den Sozialisationsprozess unterschiedlich „programmiert“ wird. Konsistenz herrscht – vereinfacht gesagt – dann vor, wenn die Grundbedürfnisse in einer entsprechenden Umwelt erfüllt werden können.

Diese ganz bestimmten Grundbedürfnisse zu erreichen bzw. zu beschützen bestimmt unser tagtägliches Handeln, im privaten sowie beruflichen Alltag, und beeinflusst maßgeblich unser mentales Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Hiermit wären wir auch beim Neuroleadership angekommen – der Führung nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen mit dem Ziel, die individuellen Grundbedürfnisse der Mitarbeiter:innen zu erfüllen und ein entsprechendes Arbeitsumfeld zu schaffen, das die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse ermöglicht und begünstigt. Doch wie lauten diese neurowissenschaftlich verankerten Grundbedürfnisse?

Die Grundbedürfnisse für Neuroleadership mit SCOAP

Aus der Neuropsychotherapie in die Unternehmenswelt übertragen und auf den Führungskontext angepasst haben sich die Grundbedürfnisse in fünf Dimensionen mit SCOAP manifestiert:

  • Self-Esteem: Zeigt an, wie man sich mit sich selbst und im Kontext mit anderen fühlt, also ob man Wertschätzung, Anerkennung und Respekt entgegengebracht bekommt.

  • Control: Beschreibt die persönliche Wahrnehmung darüber, wie viel Kontrolle man über seine Umwelt hat und ausüben kann. Dies äußerst sich in Aspekten wie Autonomie, Einfluss und Verantwortung, aber auch sich fremder Kontrolle entziehen zu können.

  • Orientation: Meint grundsätzlich Orientierung zu haben. Dies beinhaltet Wissen und Informationen über die aktuelle Situation, aber auch Aspekte wie Bestimmung, Sinnhaftigkeit und den Blick in die Zukunft.

  • Attachment: Bezieht sich auf vertrauensvolle Beziehungen (zu Kolleg:innen und Vorgesetzten) und darauf, Unterstützung aus seinem Kreis zu bekommen.

  • Pleasure: Hier geht es darum Spaß und Freude zu empfinden und eine abwechslungsreiche Tätigkeit zu haben.

Evolutionär verankert, aber individuell ausgeprägt

Diese Grundbedürfnisse dürften an und für sich, wenn man sie so liest, für keine großen Überraschungen sorgen, da sie für die Führungswelt nicht neu sind. Was jedoch neu ist, ist die neurowissenschaftliche Forschung rund um diese Grundbedürfnisse und ihre evolutionäre Verankerung, die uns nachweislich darlegt, dass es sich um genau diese Grundbedürfnisse handelt.

Mit anderen Worten: Diese Grundbedürfnisse sind bei jedem Menschen vorhanden, tief verankert, aber je nach Sozialisationsprozess unterschiedlich ausgeprägt. Sie bestimmen unsere Treiber und erklären unser Handeln – ebenso auch unsere archaischen Reaktionsmuster: Erstarrung, Flucht oder Kampf.

In Verbindung mit den fünf Grundbedürfnissen weisen wir nämlich zwei natürliche und instinktive motivationale Schemata auf. Diese zielen darauf ab, die Verletzung der Grundbedürfnisse abzuwenden oder die Erfüllung jener zu bewirken. Diese motivationalen Schemata werden durch individuelle Erfahrungen geprägt und erlernt, weshalb sie auch bei jedem Menschen individuell sind. So reagieren Menschen in speziellen Situationen auf der Arbeit völlig anders als andere, da sie unterschiedliche Grundbedürfnisse und die entsprechenden motivationalen Schemata über die Jahre entwickelt haben.

Darunter fällt auch das Phänomen, Grundbedürfnisse zu kompensieren. Damit ist gemeint, dass bei Menschen, die ein bestimmtes Grundbedürfnis nicht ausreichend erfüllen können, die Erfüllung eines anderen Grundbedürfnisses besonders stark verfolgen, um die Defizite auszugleichen. Dies ist aber aus neuropsychotherapeutischer Sicht kritisch und kann zu Störungen der mentalen Gesundheit führen.

Eine Führungskraft ist kein Psychotherapeut

Eine Führungskraft, die diese Grundbedürfnisse im Blick hat, kann durch entsprechende Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung dazu beitragen, dass Beschäftigte ihre Grundbedürfnisse erfüllen können. Auch können neue Verhaltensweisen erlernt werden, schlechte bzw. ungewünschte Gewohnheiten abgelegt und „umprogrammiert“ werden. Die theoretische Grundlage dafür wird als Neuroplastizität bezeichnet, die im Grunde genommen besagt, dass das Gehirn lebenslang, auch im hohen Alter, dazulernen und sich verändern kann.

Doch Vorsicht: So verlockend die Neuropsychotherapie auch für die Führungspraxis ist, so kann und darf eine Führungskraft nicht Therapeut:in spielen. Vielmehr gilt es für Führungskräfte, eine Umwelt zu schaffen, in der die Mitarbeiter:innen die Möglichkeit haben, ihre Grundbedürfnisse anzugehen und – mit ein wenig Unterstützung – auch erfüllen können.

Kleine Schritte, aber große Wirkung

Wie so oft im Leben, können bereits kleine Schritte eine große Wirkung entfalten. Dies ist auch beim Neuroleadership der Fall. Es müssen keine großen oder einschneidenden Veränderungen vorgenommen werden.

Im nächsten Teil von „Gamechanger Neuroleadership? Wie Führung wirklich funktioniert“ erfahren Sie konkrete Beispiele und Maßnahmen, die auf Organisations- und Mitarbeiterebene schon große Wirkung zeigen und welche häufigen Fehler vermieden werden können.

Literatur für Interessierte

Kommentare

Prof. Dr. Argang Ghadiri schreibt über Wissenschaftskommunikation, Wirtschaft & Management, Personalwesen, Gesundheit & Soziales

Argang Ghadiri gehört international zu den führenden Wissenschaftlern im Neuroleadership. Im interdisziplinären Feld zwischen Neurowissenschaft und Personalwesen wurden seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet. Als XING Insider gibt er Ratschläge und Tipps für die Führung und das Gesundheitsmanagement.

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