Gamechanger Neuroleadership?! Wie Führung wirklich funktioniert (Teil 3)
Viele gehen zwei große Schritte zurück, wenn sie das erste Mal von Neuroleadership hören. Und wenn dann das neurowissenschaftliche Buzzword-Bingo mit medizinischen Fachbegriffen abgespult wird, ist man meistens so überfordert, dass man sich gar nicht erst die Maßnahmen vorstellen will, die mit Neuroleadership verbunden sind. Aber weit gefehlt … es sind nämlich die kleinen Dinge, die Führung ausmachen und sich hinter Neuroleadership verbergen.
Nachdem wir uns in den ersten beiden Teilen „Gamechanger Neuroleadership?! Wie Führung wirklich funktioniert“ crashkursartig einen Überblick über Historie und Theorie verschafft haben, geht es nun ans Eingemachte (und Angewandte). Wir haben gelernt, dass die Führung am besten funktioniert, wenn wir ein konkretes Menschenbild haben und dieses bei der Führungsarbeit berücksichtigen – also verstehen, wen wir führen. Im Fall von Neuroleadership ist es der „brain-directed man“, bei dem wir die im Gehirn verankerten Grundbedürfnisse heranziehen.
Diese sind bei jedem Menschen individuell ausgeprägt und vom Sozialisationsprozess abhängig. Auf den ersten Blick handelt es sich daher um eine Art „Blackbox“ – wie soll man als Führungskraft jede/n Mitarbeiter:in individuell führen? Dafür liefert uns die neurowissenschaftliche Forschung jedoch Abhilfe: Zum einen dienen die durch Studien belegten Grundbedürfnisse als Dimensionen, innerhalb derer wir „Individuelles“ vorfinden und zum anderen, wie wir uns insgesamt in zwischenmenschlichen Interaktionen verhalten.
SCOAP als Rahmenwerk für Neuroleadership
Die auf Neuroleadership übertragenen Grundbedürfnisse aus der Neuropsychotherapie manifestieren sich im Rahmenwerk SCOAP in den fünf Dimensionen Self-Esteem, Control, Orientation, Attachment und Pleasure (diese können Sie in Teil 2 nachlesen). Der Fokus liegt hier bei den psychologischen Bedürfnissen, auf die eine Führungskraft im Arbeitskontext Einfluss nehmen kann. Daher werden die physiologischen Bedürfnisse ausgeklammert, die zum Teil in älteren Bedürfnistheorien Berücksichtigung finden, wie z.B. bei der Bedürfnishierarchie nach Maslow (oder auch sehr anschaulich dargestellt in den Arbeiten von Lujo Brentano). Wichtig bei den Grundbedürfnissen ist es, dass sie nicht als losgelöste und einzelne Dimensionen angesehen werden. Sie beeinflussen sich gegenseitig und wenn sie auch nur teilweise nicht erfüllt werden, wirkt sich dies auf das gesamte Erleben und Verhalten und schließlich auf das Wohlbefinden aus.
Denn das Streben nach (subjektiv empfundenem) Wohlbefinden ist das Ergebnis der evolutionär und neuronal verankerten Grundbedürfnisse, die jede/r Mitarbeiter:in unterschiedlich bewertet. Daher ist zum einen in Erfahrung zu bringen, wie die Grundbedürfnisse ausgeprägt sind, also den tatsächlichen Zustand zu ermitteln (Ist-Zustand) und wie etwas gewünscht ist (Soll-Zustand). So können dann auch entsprechende Maßnahmen auf Organisations- und Führungsebene begutachtet und schließlich angewandt werden.
Anwendung in der Praxis
Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie in einzelnen kleinen Schritten auf die Grundbedürfnisse eingewirkt werden kann, ohne große Veränderungen im Unternehmen durchführen zu müssen. In welchen Dimensionen Handlungsbedarf besteht, also wo eine Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand bei der Grundbedürfniserfüllung existiert, kann in einem ersten Schritt über Mitarbeitergespräche in Erfahrung gebracht werden, bei denen SCOAP als Orientierung von der Führungskraft verwendet wird. Genauere Analysen können mit dem SCOAP-Profile, dem für Neuroleadership entwickelten Fragebogeninstrument, ermittelt werden. Dieser analysiert neben der Erfüllung und Verletzung von Grundbedürfnissen auch die motivationalen Strategien und Kongruenzwerte. Die nachfolgende Aufzählungen sollen inspirieren, dass bereits „Kleinigkeiten“ viel dazu beitragen können, die neuronal verankerten Bedürfnisse zu erfüllen.
Neuroleadership auf Organisationsebene
Grundsätzlich ist es auf organisationaler Ebene von Vorteil, wenn (1) Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Mitarbeiter:innen ihre Grundbedürfnisse erfüllen können (z.B. durch entsprechende Unternehmensleitlinien), (2) die Unternehmenskultur dahingehend entwickelt wird, dass persönliche Grundbedürfnisse berücksichtigt werden (z.B. durch eine Kultur des gegenseitigen Respekts und Toleranz) und (3) Auswirkungen bei einschneidenden Entscheidungen auf die Grundbedürfnisse der Mitarbeiter:innen antizipiert werden (wie z.B. bei Change-Prozessen darauf zu achten, welche Grundbedürfnisse möglicherweise verletzt werden können). Auf detaillierter Ebene können ferner folgende Maßnahmen nützlich sein:
Self-Esteem: Anreizsysteme, Auszeichnungen einführen, Mitsprache
Control: Hierarchien, Unternehmensleitlinien, Einbezug
Orientation: Interne Kommunikation, Informationssysteme, Transparenz
Attachment: Unternehmenskultur, Teamarbeit, Unternehmenskantine
Pleasure: Feiern besonderer Anlässe, Belohnungen, Sicherheit
Neuroleadership auf Führungsebene
Auf personaler Ebene gilt es im Allgemeinen für Führungskräfte folgende Aspekte zu berücksichtigen: (1) Ein Verständnis für die persönlichen Grundbedürfnisse zu etablieren, indem die Grundbedürfnisse explizit bei den Mitarbeiter:innen angesprochen und thematisiert werden, (2) die eigenen Grundbedürfnissen nicht zu Lasten der Mitarbeiter:innen erfüllen (z.B. den eigenen Wunsch nach mehr Kontrolle realisieren und dabei die Autonomie der Mitarbeiter:innen zu verletzen) und (3) den Mitarbeiter:innen ermöglichen, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen und sie dabei zu unterstützen. Im Detail dient nachfolgende Übersicht für exemplarische Maßnahmen:
Self-Esteem: Individuelle Anerkennung, Wertschätzung, positives Feedback
Control: Freiheiten einräumen, Verantwortung delegieren, „Leiten statt überwachen“
Orientation: Informationsaustausch, persönliche Kommunikation, Ehrlichkeit
Attachment: Authentizität, Freundlichkeit, Vertrauenswürdigkeit
Pleasure: (kleine) Anlässe feiern, Traditionen, Lob
Neuroleadership – auf die Vorbereitung kommt es an
Die eigentliche Hauptarbeit beim Neuroleadership ist die Vorbereitung, sprich Analyse der Grundbedürfnisse der Mitarbeiter:innen. Welche sind nicht erfüllt? Welche verletzt? Wie kann ich dazu als Führungskraft beitragen, dass die Grundbedürfnisse erfüllt werden können? Es ist ähnlich wie beim Kochen – das „Mis en Place“, also die Bereitstellung und korrekte Anordnung sämtlicher Zutaten und Kochutensilien, ist die Grundlage für jedes gute Gericht und erleichtert das Kochen so sehr, dass die einzelnen Schritte nahezu einfach von der Hand gehen und letztendlich simpel und intuitiv erscheinen. Ähnlich ist es beim Neuroleadership: Jede hier aufgeführte Maßnahme ist Führungskräften hinlänglich bekannt und wird auch in der Praxis eingesetzt, entscheidend ist beim Neuroleadership, wann und in welchem Ausmaß und bei wem die Maßnahmen eingesetzt werden - also eine korrekte Anordnung. Und bei diesen Fragen hilft SCOAP als Rahmenwerk, die richtigen Maßnahmen in den entsprechenden Dimensionen zu finden.