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„Geld ist nun mal die Macht der Welt, die Liebe sollte es sein…“ Das Vermächtnis der Hotelkönigin Hedda Adlon

Deutschland glich 1945 „einem zerstörten Ameisenhaufen, und ich war eine Ameise unter Millionen anderer, die im Zickzack durcheinanderliefen“, schreibt Erich Kästner in seinem 1961 erschienenen literarischen Tagebuch „Notabene 45“. Ob Intellektuelle, Unternehmer, Reiche und Arme oder Vertriebene – alle waren auf dem gleichen Boden und mussten ihr Dasein „umschichten“, um zu überleben. Am 25. April 1945 wurde Neu Fahrland bei Potsdam zum Schicksal von Hedda und Louis Adlon (1874-1945). Der Hotelerbe hatte für Hedda (1889-1967) seine Frau Tilly und fünf Kinder verlassen. Sie wurde Silvester 1921 von einer Freundin ins Adlon eingeladen – hier fiel ihr „sofort ein unwahrscheinlich vornehm aussehender schlanker Herr mit grauen Schläfen und einem prächtigen edlen Kopf“ auf, wie sie sich in ihrer Biografie in den 1960er-Jahren erinnert. Sie galt danach nur noch als "das Miststück", das sich in die Familie eingeschlichen hatte.

Gemeinsam führten beide das Hotel Adlon - bis der Zweite Weltkrieg den goldenen Zeiten ihren Glanz nahm. In dieser schwierigen Zeit hielten sie den Hotelbetrieb so lange wie möglich aufrecht – doch am Ende steht Hedda vor den Trümmern ihrer Existenz. Das Haus ihres Lebens bekam schon seit dem Umbau in den Zwanzigerjahren erste Risse. Hedda „litt unter fürchterlichen Angstvorstellungen“, die von der Realität noch übertroffen werden sollten: In Neu Fahrland bei Potsdam stürmten sowjetische Soldaten die Villa Adlon und verhafteten den Hausherrn Louis Adlon, der den Eindringlingen mit derselben Höflichkeit begegnete, mit denen er sein ganzes Leben lang Hotelgäste begrüßt hatte“, schreibt Felix Adlon, ein Nachkomme der berühmten Berliner Hoteldynastie, in seinem Buch „Hedda Adlon. Geliebt, gehasst, bewundert – Das unkonventionelle Leben der Hotelkönigin“ über seine Stief-Urgroßmutter. 13 Tage lang verfolgte sie die Spur ihres Mannes quer durch Brandenburg - barfuß, ohne Nahrung und Bleibe.

Sechsmal wird im Buch darauf verwiesen im Kontext der Vorahnung dessen, was folgen würde. Die Hotelbesitzer hätten die Möglichkeit gehabt, Deutschland zu verlassen, aber sie wollte an der Seite ihres Mannes bleiben, dem das Adlon Leben und Verpflichtung bis in den Tod war. „Lediglich einige Gemälde, Kunstwerke und andere Gegenstände, die ihr besonders am Herzen lagen, hatte sie zu Jahresbeginn – ihrem Bauchgefühl folgend – mit dem Auto zu Fremden nach Bayern geschickt“, schreibt Felix Adlon. Als sie später ihren Mann suchte, schlich sie „mit einem unguten Bauchfühl“ an den verwaisten Offiziershäusern in Krampnitz vorbei, „ohne sagen zu können, warum die ihr ein solches Unbehagen bereiteten.“ Louis Adlon überlebte das Kriegsende nicht, er starb auf dem Rückweg aus einem russischen Gefangenenlager – nur eine Woche, bevor Hedda ihr Ziel erreicht hatte. Wenige Tage nach Kriegsende hat sie ihn begraben. Louis wurde von russischen Soldaten verhaftet, und ist sieben Tage lang gefoltert worden.

Das Buch von Felix Adlon ist mehr als nur eine Biografie – es ist ein Buch der Menschlichkeit und des Friedens: Es zeigt uns alle in unserer Größe und Kleinheit, in unseren Ängsten – unser Eingebettetsein in die Geschichte. Was zuerst wohlig warm und sicher scheint, kann morgen vorbei sein. Kein Reichtum, keine Höflichkeit kann uns Sicherheit geben in einem zerstörten „Ameisenhaufen“. Die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte manifestieren sich zwar im Leben von Hedda und Louis Adlon – aber wie diese selbstbewusste und weltgewandte Frau die Herausforderungen allein gemeistert hat, erhellt auch unsere Zeit, die viele Parallelen (auch) zur (jüngeren) Vergangenheit aufweist: So wird beispielsweise beschrieben, dass das ganze Hotel von der Gestapo verwanzt wurde. Louis warnte vor unvorsichtigen Gesprächen in der Nähe des Fensters, an dem es doch „recht ungemütlich“ ziehen konnte oder er empfahl, nicht zu nah an der Heizung Platz zu nehmen, wo es „ziemlich warm“ werden konnte. Das erinnert auch an Stasi-Methoden und wie sich Menschen „versteckt“ verständigt haben. Zudem gab es im Adlon extradicke Kissen, um die Zimmertelefone abzudecken. „Lois war geübt darin, seine Meinung hinter einer Fassade erlesener Höflichkeit zu verbergen“, so Felix Adlon.

Sie lenkte das Hotel nicht nur durch schwierige Zeiten – vermutlich würde das Adlon ohne sie heute kaum mehr existieren. Die Hoteleröffnung am 26. Oktober 1907 durch Wilhelm II. am Pariser Platz ähnelte einem Staatsakt. Angesichts der bis dahin weitgehend unbekannten technischen Neuerungen, der Wasserhähne und Lichtrufschalter in allen Zimmern, habe der Kaiser immer wieder „Respekt!“ gerufen. Der Hotelneubau kostete damals 17 Millionen Goldmark (heutiger Geldwert: 400 Millionen Euro). Lorenz Adlon, Sohn eines Schuhmachers aus Mainz, kaufte 1905 das Grundstück Redern zwischen Unter den Linden und Behrenstraße. In nur zwei Jahren bauten hier die Architekten Carl Gause und Robert Leibniz unter seiner Leitung das Hotel. Seine Vision: „Im Adlon wohnt man nicht. Im Adlon will man sein.“ Unter den ersten Gästen des innovativen Hauses waren dann nicht nur Hoteliers aus Europa und den USA, sondern auch der amerikanische Erfinder Thomas Edison mit Familie.

1927 war Berlin „die interessanteste Großstadt der Welt“. Tag und Nacht verdiente sie sich „diesen Titel“ von neuem. Erich Kästner schrieb rückblickend, dass sich Theater und Kunst, Musik und Literatur, Mode und Schönheit, Lust und Laster wie unter einem Brennglas zusammendrängte. Auch dafür steht das Adlon symbolisch. „Hedda hatte das Gefühl, dass angesichts des möglichen nahen Todes nichts mehr ernst genommen wurde“, so Felix Adlon. Im Oktober 1929 folgte der Börsencrash in New York, in deren Folge die ganze Welt in eine Wirtschaftskrise zu rutschen drohte: „Geld ist nun mal die Macht der Welt, die Liebe sollte es sein, leider verkümmert die mehr und mehr in der Welt. Daher auch der ganze Unruhe Herd und der Unfriede allerorts“, schrieb Hedda später. In den politischen Unruhen ab 1933 wurde aus dem Adlon ein Ort diplomatischer Entscheidungen.

In der Vorkriegszeit galt es als "die kleine Schweiz in Berlin". 1935 sagte Hedda der Zeitung „The West Australian“: „Uns Hotelleuten stecken Gastfreundschaft und Wohlgefühl in den Knochen. Wir wissen, dass Reisen wichtig für das gegenseitige Verstehen und Freundschaft in der Welt ist. Reisen ist nicht nur gut fürs Business. Es ist auch gut für den Frieden.“ Hedda Adlon machte das Hotel Adlon in den Goldenen Zwanzigern zu dem, wofür es noch heute steht: Einem Treffpunkt für Wohlhabende, für Politiker und Diplomaten, Künstler und Industrielle. Charlie Chaplin, Edgar Wallace, Hans Albers, Heinz Rühmann, Herbert von Karajan, Josef Neckermann oder die exzentrische Tänzerin Anita Berger gingen hier ein und aus. „Durch Heddas Einfluss wurde das Adlon zum ‚Place to be', so Felix Adlon.

Im April 1945 war das Hotel nahezu unbeschädigt, nur die Fenster im Erdgeschoss waren zugemauert. In den Hotelräumen lagen Verwundete, die im April 1945 in das im Hotel eingerichtete Lazarett verlegt worden waren. Ein Brand Anfang Mai 1945 zerstörte das Hotel bis auf einen Seitenflügel. Ab Juni 1945 wurde der notdürftig instand gesetzte Rest des Hotels wieder als Hotel und Restaurant genutzt. Zwischen 1949 und 1997 wurde es notdürftig vom Personal instandgesetzt, im Juni 1945 wurde im ersten Stock über der Küche das Restaurant eröffnet und im August zunächst 16 Zimmer vermietet. Im Dezember 1949 wurde das Hotelgrundstück wird entschädigungslos enteignet. Der stehen gebliebene Seitenflügel wurde später zum volkseigenen Hotel garni VEB Adlon umgewandelt. 1964 wurde der Seitenflügel des Hotels renoviert. Bis in die 1970er Jahre wurde dieser Gebäudeteil weiter als Hotel und Restaurant genutzt. Im Sozialismus gab es sogar weiterhin Pagen und Hausdiener (in den Original-Pagenuniformen aus den 30er Jahren). 1984 entschied das Politbüro der SED, den Seitenflügel des Hotels abzureißen. Die Sprengung erfolgte noch im selben Jahr. Zwischen 1995 und 1997 wurde das Adlon größtenteils nach dem Original wieder aufgebaut (die Architekten planten jedoch zwei neue Stockwerke mehr ein). Am 23. August 1997 wurde das neue Hotel Adlon Kempinski Berlin feierlich eröffnet und wurde bald erneut zum Treffpunkt für internationale Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Vor allem als Domizil für Staatsgäste aus aller Welt etablierte sich das Adlon während der vergangenen Jahre. Das Luxushotel wurde kontinuierlich umgebaut und erweitert.

Nach einem jahrelangen Streit um Schadensersatz fürs Adlon zog Hedda zu einer Freundin nach West-Berlin. Für eine kleine Rente auf Lebzeiten überschrieb sie der Kempinski-Group ein Vorkaufsrecht und gab damit den Impuls für das heutige Adlon. Felix Adlon, der Ururenkel des Hotelgründers Lorenz Adlon (1849-1921), gibt Hedda mit seinem nachhaltigen Engagement ihre Würde zurück, indem er ihre Geschichte lebendig werden lässt – als wär‘s ein Stück von uns. Die Geschichte seiner Stief-Urgroßmutter war lange Zeit innerhalb der Familie „nicht sehr rühmlich“. Mit seinem Buch möchte er Teil seiner Familiengeschichte auch für seine Kinder erhalten und bewahren: Hedda, die gebürtige Koblenzerin, zog mit kaum 20 Jahren nach New York, um den jüdischen Kaufmann Ivan Burger zu heiraten. Er handelte mit Sardinen in Dosen. Aus Langeweile nahm sie Gesangsunterricht und gab auch später im Adlon immer wieder Konzerte. Ihre Ehe blieb kinderlos, auch die mit Louis Adlon. Ihre Ehe in Amerika ging die Brüche. Mit Konzertauftritten finanzierte sie ihr Leben und kehrte mit 30 Jahren nach Deutschland zurück. Auch Felix Adlon, geboren 1967 in München, ist mit einer Opernsängerin verheiratet: Nina Adlon. Er hat sechs Kinder lebt in der Wachau, wuchs in Bayern auf, studierte in den USA und wurde wie sein Vater Percy Filmregisseur. 2010 drehten sie zusammen das Kinodrama „Mahler auf der Couch“.

Am 30. Dezember 2020, fast 100 Jahre, nachdem Hedda ihren Louis zum ersten Mal gesehen hatte, wurde Susanne Sittig („eine wahre Königin der Recherche“) fündig: Auf dem Berliner Friedhof Wilmersdorf wurde ihr Grab zwanzig Jahre zuvor eingeebnet. Am 13. April 2022 wurden drei Urnen aus einem Gemeinschaftsgrab gehoben. Felix Adlon erhielt den Aschestein mit der Nummer 265605 - in seinem 55. Lebensjahr, 55 Jahre nach ihrem Tod. Am 9. Juni 2022 wurde Hedda im Familiengrab auf dem Alten Domfriedhof St. Hedwig beigesetzt. Mit Felix Adlon schließt sich der Kreis eines Lebens, das noch immer zu uns spricht:

„Konfuzius hat einmal gesagt:

Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln:

Erstens durch Nachdenken - das ist der edelste.

Zweitens durch Nachahmen - das ist der leichteste.

Und drittens durch Erfahrung - das ist der bitterste.

Wir wollten den edelsten wählen – durch Nachdenken.

Wir fanden aber den bittersten – durch Erfahrung …“

Hedda Adlon (1955)

  • Felix Adlon mit Kerstin Kropac: Hedda Adlon. Geliebt, gehasst, bewundert – Das unkonventionelle Leben der Hotelkönigin. Heyne Verlag, München 2024.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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