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Cover-Ausschnitt: Christoph Partsch: Die Villen am Griebnitzsee und ihre Geschichte. Elisabeth Sandmann Verlag 2021. - Elisabeth Sandmann Verlag

Geschichte(n) gegen das Vergessen

Es gibt Bücher, die beim Lesen einen tiefen Schmerz und unheilbare Wunden hinterlassen. Zu ihnen gehört „Die Villen am Griebnitzsee und ihre Geschichte“ von Dr. Christoph Partsch. Der Rechtsanwalt und Kunsthistoriker, der im Uferweg-Streit Villen-Eigentümer gegen die Stadt vertreten hat, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Schicksal der Bewohner und Häuser am Griebnitzsee, der in Babelsberg liegt und direkt an den Wannsee grenzt: „Sie alle sind architektonische Kleinode, viele von bezaubernden Gärten umgeben. Und jede dieser Villen birgt berührende, erstaunliche und manchmal spektakuläre Geschichten.“ Wer die vor 150 Jahren gegründete Villen Kolonie entlanggeht, erlebt hautnah deutsche Geschichte von der Gründerzeit bis zur DDR.

Die Villenbesitzer erlebten am Ufer glückliche Zeiten, aber auch furchtbare Katastrophen. Hier wohnten Ludwig Mies van der Rohe und Alfred Grenander, Bankiers wie Jakob Goldschmidt und Ufa-Stars wie Marika Rökk, Brigitte Horney, Heinz Rühmann, Willy Fritsch und Lilian Harvey, die 1935 die Villa in der Griebnitzstraße 5a am nordöstlichen Ufer kaufte. Die Schauspielerin lud auch jüdische Freunde ein, bis die Gestapo kam. 1939 verließ sie Deutschland. Ihre Villa hat sie nie wieder gesehen. Der jüdische Kaufmann Max Stern und seine Frau haben sich 1926 eine zweigeschossige Landhaus-Villa am Ufer des Sees bauen lassen. In der NS-Zeit mussten sie diese weit unter Wert verkaufen. Schließlich wurde ihnen auch diese Summe bei der Ausreise genommen. 1934 verließen sie Deutschland. 1942 wurde das Ehepaar in den Niederlanden verhaftet und in einem Vernichtungslager ermordet. Der Politiker Kurt von Schleicher, der als letzter Reichskanzler der Weimarer Republik noch versucht hatte, Hitler zu verhindern, wurde in seinem Haus von der SS ermordet.

„Keine Plakette erinnert an den Begründer der wissenschaftlichen Orientforschung Friedrich Sarre. Keine Plakette erinnert an seine mutige Tochter Marie-Louise“, schreibt Partsch, der zwei Jahre in Archiven von Berlin bis London recherchierte. Auch sprach er mit den letzten Angehörigen, die sich noch an die Zeit vor 1939 erinnern können. Als „Kleines Weißes Haus“ wurde die Truman-Villa in der Karl-Marx-Straße 2 berühmt. Der US-Präsident wohnte nur zweieinhalb Wochen während der Potsdamer Konferenz dort. Der Band enthält eine Vielzahl von historischen und aktuellen Fotografien und Zeichnungen sowie bislang unveröffentlichte persönliche Dokumente, die besonders berühren, weil sie auch belegen, dass das Thema etwas mit uns allen zu tun hat: Wo der eigenen Identität die Grundlage genommen wird, stirbt auch die Seele. Das Buch zeigt, welche Kraft ein Zuhause besitzt, wie wichtig Kultur für eine Gesellschaft ist und warum sie ohne ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität zerbricht. Es erinnert uns daran, dass sich das Leben von heute auf morgen ändern kann und kein Besitz Sicherheit gibt. Auch Bildung schützt nicht vor roher Gewalt. Die Wunden, die der Nationalsozialismus, hinterlassen hat, finden sich noch heute an diesem Ort – um sie zu sehen, muss man wissen. Dieses Buch trägt in besonderer Weise dazu bei.

Christoph Partsch: Die Villen am Griebnitzsee und ihre Geschichte. Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Elisabeth Sandmann Verlag 2021.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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