Goethes Fäuste: „Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen …“
Goethe vereinte in sich einen enormen geistigen Reichtum, schöpferische Kraft und Lebensklugheit – und er sah die Erscheinung der Dinge in ihren Zusammenhängen.
Von ihm lässt sich konkretes Handeln und die ganzheitliche Betrachtung der Dinge lernen, die eine Grundvoraussetzung für ein gutes Leben und nachhaltiges Wirtschaften ist. Deshalb finden auch Manager und Führungskräfte viele Parallelen bei ihm. Die Lebhaftigkeit des Handelns, das Durchrauschen des Papiergeldes, das Anwachsen der Schulden, um Schulden zu bezahlen, die wachsende Mobilität – all das trieb ihn um und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Die hektische Betriebsamkeit seiner Zeit beschäftigte Goethe u. a. in seinen „Maximen und Reflexionen“. Dennoch hat ihn das Alter nicht bitter werden lassen. er blieb neugierig, begeisterungsfähig und lernbereit. Noch in seinem letzten Lebensjahr war er bis zuletzt unermüdlich tätig. Ihn beschäftigte die Welt, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ: „Eine schlechte Zeit für eine Kunst des Innehaltens, der Sammlung und Versenkung, die nicht für den eiligen Gebrauch bestimmt ist, sondern die einen selber in Anspruch nimmt.“
Noch in seinen letzten Lebensjahren strebte er danach, täglich anderes zu denken. Er war davon überzeugt, dass man sich ständig verändern, erneuen und verjüngen müsse, „um nicht zu verstocken.“ Bis zuletzt war er unermüdlich tätig. Abschluss suchte der Meister immer im Einzelnen, doch konnte er mit der Vorstellung, dass das Leben erst am Ende zu seiner Vollendung kommt, nichts anfangen. Das, was auf ihn einwirkte, hat er sich stets anverwandelt und weitergedacht. Nur durch das, was von außen kam, konnte er sich selbst verstehen und innerlich sammeln.
In einem Brief an Carl Friedrich Zelter, der genauso in sich gesammelt und vielseitig wie Goethe war, formulierte er, dass junge Menschen viel zu früh im Zeitstrudel fortgerissen werden. Heute wie damals ist „Reichtum und Schnelligkeit“ das, was bewundert und wonach gestrebt wird. Alles überbietet sich zu gegenseitig und verharrt dadurch in Mittelmäßigkeit. In einem seiner späten Briefe dann die Selbstbehauptung: „Laß uns soviel als möglich an der Gesinnung halten in der wir herankamen, wir werden, mit vielleicht noch Wenigen, die Letzten sein einer Epoche die sobald nicht wieder kehrt.“
In turbulenten Zeiten hat er niemals den Überblick verloren und spottete zuweilen über Menschen, die urteilsfroh, aber nicht urteilsstark sind.
Goethes Texte haben nichts an Aktualität verloren: So erinnert sein „Zauberlehrling“ an die Folgen der Gen-Technologie oder atomare Atomtechnik. „Wir sind Faust!“ Dem äußeren Klimawandel entspricht heute auch ein Klimasturm im Innern, weil unsere Beziehung zur Natur abgerissen ist. „Wer sich mit Goethe beschäftigt“, zitiert Rainer Weiss - ehemaliger Programmgeschäftsführer Suhrkamp, Mitbegründer von weissbooks.w und Publizist, Lektor und Verleger der Edition W. Weiss - in seinem Herausgeberband „Goethes Fäuste“ den Verleger Siegfried Unseld, „macht immer wieder die Erfahrung, daß für fast jedes Problem stets ein neuer Aspekt, eine neue Perspektive sich zeigt.“ Auch in den Reiseberichten von Unseld ist Goethe ständig präsent. Durch den Erwerb des Insel Verlages trat Unseld schon 1963 das „Erbe“ von Anton Kippenberg an, der Goethes Werk zum Zentrum seines Verlagsprogrammes machte. Dem problematischen und vielschichtigen Autor-Verleger-Verhältnis widmete sich Unseld später am intensivsten in seinem Buch „Goethe und seine Verleger“.
Rainer Weiss hat Goethes „Fäuste“ geballt und ein Buch des nachhaltigen Handelns vorgelegt. Auch wenn Goethe in seinem Werk „das Zeigen von Fäusten vermieden und sich selbst bei aufgeladenen Konflikten eher als eleganter Fechter“ gezeigt hatte, so stehen die Fäuste doch für die innere Kraft seines Gesamtwerks, das bis heute in seiner Tiefe nachwirkt. Vor allem geht es darum, uns „in die Welt zu wagen“ und entschlossen an der Gestaltung des eigenen Weges arbeiten. Die ausgewählten Zitate ermuntern uns dazu, unser Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen und in einer von Katastrophen und Krisen geprägten Zeit präsent zu sein: „Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen …“ Goethes Fäuste verweisen zugleich darauf, dass der Weltbürger die Literaturszene mit Werken betrat, die ein starkes Interesse an Hand-Motiven belegen (Handprothese des Götz von Berlichingen, Werthers Faszination für die Hände seiner geliebten Lotte, „Torquato Tasso“, Hand-Motive im „Wilhelm Meister“, „Faust“ sowie „Dichtung und Wahrheit“). Auch Wilhelm Meister führt sein Leben mit glücklicherer Hand als Werther, weil er die vorüberziehenden Momente des Glücks sofort zu begreifen und zu ergreifen sucht. Wenige Tage vor seinem Tod schreibt Goethe an Wilhelm von Humboldt: „Je früher der Mensch gewahr wird, daß es ein Handwerk, daß es eine Kunst gibt, die ihm zur geregelten Steigerung seiner natürlichen Anlagen verhelfen, desto glücklicher ist er.“
Jeder Mensch kann selbst etwas bewirken und verändern, wenn er tätig wird. Echte Nachhaltigkeit ist ohne praktische Ansätze nicht möglich. Denn: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, / Und grün des Lebens goldner Baum.“ Mit diesen Worten weist Mephisto im 1. Teil von Goethes Faust im 2. Teil der Studierzimmerszene den Schüler auf die Unzulänglichkeit eines nur theoretischen Wissens hin. Indem jemand selbst etwas tut, ist er wirksam. Um ins Tun zu kommen, braucht es Aktion und Entschlossenheit.
„Willst du wirksam sein, Bediene dich deiner Kraft.“ Goethe
Das Buch:
- Goethes Fäuste. Bediene dich deiner Kraft. Herausgegeben von Rainer Weiss. Westend Verlag, Frankfurt. A M. 2023.
Weiterführende Informationen:
- Ins Gelingen verliebt sein - und in die Mittel des Gelingens
- Verweile doch! Manager entdecken Goethe international
- Im Zweifel einfach tun
- Mit der Bedeutung von Goethe im Wirtschafts- und Nachhaltigkeitskontext beschäftigen sich Damian Mallepree, Nicole Simon und Halil Topcuk im Buch: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
- Olaf Schulze: Eine Radtour in Thüringen ist immer auch eine Tour zu den „Drei Gleichen“: über Stock und Stein mit und zu Goethe, Schiller, Luther … In: Zukunft Mikromobilität. Wie wir nachhaltig in die Gänge kommen. Ein Rad-Geber. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber. Büchner Verlag, Marburg 2022.
- Siegfried Unseld: Goethe und seine Verleger. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
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