Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Gute Nacht, Gesundheit!

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Die schlaflose Gesellschaft

Im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung sowie der Flexibilisierung der Arbeitszeit und des 24-Stunden-Services leiden immer mehr Menschen an Schlafmangel und an Schlafstörungen – in Deutschland etwa 25 Prozent, unter Schichtarbeitern sogar ca. 40 Prozent. Dabei steht die erlebte Qualität des Schlafes auch im Zusammenhang mit den vielfältigen Belastungen durch aktuelle Krisen. Die Angst vor der Zukunft (berufliche und existentielle Sorgen, Kriege, Klimawandel) und Stress lässt sie schlecht einschlafen und morgens wie gerädert aufwachen. Die häufigste Schlafstörung ist die Insomnie. Zu den Symptomen gehören Ein- oder Durchschlafstörungen oder eine subjektiv schlechte Schlafqualität (sofern diese mindestens dreimal pro Woche über mehr als einen Monat hinweg auftreten). Neuere Studien zeigen, dass doppelt so viele Frauen wie Männer darunter leiden. Insomnie gilt als hoher Risikofaktor für psychische Störungen: Betroffene haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko, in den nächsten Jahren eine Depression oder Angststörung zu entwickeln. Zudem ist bei diesen Menschen das Risiko für einen gesundheitsschädigenden Konsum von Alkohol erhöht (Einsatz als Schlafmittel).

William C. Dement, der als Pionier der Schlafforschung gilt, rief 1970 an der Universität Stanford das erste Schlafforschungszentrum ins Leben. 1975 gründete er die "American Sleep Disorders Association", der er zwölf Jahre als Präsident vorstand. Er wies wissenschaftlich nach: Wenn das Gehirn nachts nicht ausreichend Ruhe bekommt, versucht es, am Tag zu schlafen. Wer dies vernachlässigt, schädigt sein Gehirn dauerhaft. Sein Fazit: Schlafentzug macht dumm. "Ein schlechter Schlaf ist aber nicht nur die Folge einer seelischen Belastung, sondern oft auch die Ursache", sagt Prof. Dr. Dr. med. Kai Spiegelhalder, einer der führenden Schlafforscher Deutschlands.

Der Schlaf ist immer als erstes betroffen, wenn unsere Seele leidet.

„Er ist so eine Art Frühwarnsystem", wie er in seinem Buch „Das Besser-schlafen-Prinzip“ nachweist, und in dem er über eigene Möglichkeiten zur Vorbeugung und professionelle Behandlungsmethoden aufklärt. Spiegelhalder ist Forschungsgruppenleiter und stellvertretender Leiter der Abteilung für Psychophysiologie und Schlafmedizin am Universitätsklinikum Freiburg. Seit 2018 ist er außerordentlicher Professor für Psychologie an der Universität Freiburg. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt liegt auf den psychologischen und neurobiologischen Grundlagen von Schlafstörungen, insbesondere der primären Insomnie. Experten raten generell von Schlafmitteln ab, um eine Abhängigkeit oder unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Gemäß der Leitlinie Insomnie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. (DGSM) ist die Kognitive Verhaltenstherapie das beste Mittel, um eine Schlafstörung zu behandeln. Aber: „Statt wie empfohlen Psychotherapie zu machen, nehmen die meisten Betroffenen Medikamente ein; nicht zuletzt, weil Plätze bei Therapeuten rar sind“, so Spiegelhalder. GET Sleep wurde von einem international anerkannten Team aus Experten im Bereich der Schlafmedizin und onlinebasierter psychologischer Interventionen am Universitätsklinikum Freiburg (Prof. Dr. Dr. Kai Spiegelhalder, Prof. Dr. Dieter Riemann) und dem GET.ON Institut (Assoc. Prof. Dr. David Daniel Ebert) entwickelt. Gefördert wird GET Sleep durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Bei dem Projekt geht es unter anderem um eine verbesserte Beratung durch die Hausärzte und eine Online-Therapie.

Guter Schlaf hält Körper und Psyche gesund, steigert die Lebensqualität sowie die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit.

Die Arbeit im Homeoffice spart nicht nur Pendelzeit. Vor allem während der Corona-Pandemie wurde die Zeit daheim von vielen genutzt, um länger zu schlafen. Das belegen beispielsweise Daten von Energiebetrieben: Die Spitzenzeit der Energienutzung hat sich um rund eine Stunde nach hinten verschoben. Das bestätigt auch eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie der LMU München: Während eines Lockdowns haben die Menschen an Arbeitstagen durchschnittlich 26 Minuten länger geschlafen, an ihren freien Tagen neun Minuten weniger. Viele Menschen müssten heute bis zu zwei oder drei Stunden weg von ihrer inneren Uhr leben (bei einigen seien es ein bis zwei Stunden). Diese Differenz nennt er "Social Jetlag", der im Homeoffice reduziert werden konnte. Wer ausreichend und erholsam schläft, beeinflusst sein Immunsystem positiv und bildet beispielsweise auch mehr Antikörper. Dadurch können Infekte besser abgewehrt oder eine Genesung gefördert werden. Die Zeiten, in der Manager mit dem Stolz prahlten, nur vier Stunden Schlaf zu brauchen, sind vorbei: Ihre Leistungen in den Meetings und ihre unternehmerischen Entscheidungen und ihr Führungsverhalten „wären mit Sicherheit besser, wenn sie länger geschlafen und ihrem Gehirn Gelegenheit gegeben hätte, frisch und geordnet in den Tag zu starten“, sagt Spiegelhalder, der auch auf die Bedeutung schlafhygienischer Maßnahmen verweist. Dazu gehören:

  • Angenehme Atmosphäre: kühles, ruhiges und dunkles Schlafzimmer
  • Vor dem Schlafengehen geistige und körperliche Anstrengungen herunterfahren
  • Warme Bäder bei 34 bis 36 Grad mit Melisse, Hopfen oder Baldrianzusätzen
  • Spät abends helles kaltes Licht meiden
  • Ausreichend frische Luft
  • Gute Matratze
  • Mittags einen Powernap einlegen
  • Tägliche Rituale pflegen (täglich annähernd um dieselbe Zeit aufstehen, abendliche Spaziergänge, geregelte Zeiten des Zubettgehens)
  • Verzicht auf Schlafmittel
  • Ausschaltung von Störquellen bläuliches Licht wie es Tablets, Smartphones oder E-Book-Reader verbreiten)
  • Autogenes Training oder anderes Muskelentspannungstraining.

„Nicht zuletzt werden wir schlafend klüger und verarbeiten den durchlebten Tag.“ Kai Spiegelhalder

Der Schlafforscher verweist auch auf die reale Grundlage der Redewendung „Darüber muss ich eine Nacht schlafen“: Unser Gehirn verarbeitet während des nächtlichen Schlafs „eine Vielzahl von Eindrücken aus dem Tageslauf, ordnet sie und stellt sie am nächsten Tag in neuer Frische wieder zur Verfügung, so dass wir überdenken können, was am Tag zuvor geschehen ist, und die Dinge damit gegebenenfalls auch neu zu justieren vermögen.“ Das bestätigen auch viele Autoren des Buches „Bauchgefühl im Management“: Sie schlafen lieber noch einmal eine Nacht über ein zu lösendes Problem. Olaf Schulze sieht dies als Möglichkeit, „um etwa den Bauch bewusst auszuschalten bzw. die Gewichtung zu reduzieren und den Verstand deutlich zu priorisieren.“ Wer eine Nacht über die Entscheidung geschlafen hat, sieht morgens die Welt schon ganz anders. Der Investor Alexander Stoeckel schreibt, dass die schnellste Entscheidung, von der er je gehört hat, ein Privatinvestor aus dem Silicon Valley getroffen habe, „der sich nach einem eintägigen Meeting mit den Gründern eine Nacht Bedenkzeit ausbedungen hatte – und dann eine Mio. US$-Dollar investierte.“ Auch der Unternehmer und Stifter Reiner sieht dies ebenfalls als ein wichtiges Instrument für das Abwägen der Entscheidung. „Manchmal hilft es auch, wenn man eine Nacht drüber schläft – vielleicht hat sich das Bauchgefühl dann verändert, oder man sieht die Kopfentscheidung nochmals aus einem anderen Blickwinkel.“

Zeitenwende im Schlaf

Das Thema beschäftigt auch Dr. Stefan Schneider, der unter anderem als Movement & Mindfulness Coach arbeitet und beim Unternehmen BLACKROLL® für die Ausbildung zuständig ist. Seit langem begleitet ihn die Leidenschaft für Bewegung und Gesundheit. In jungen Jahren war er im Leistungssport als alpiner Skifahrer aktiv. Eine Wende in seinem Leben verdankt er einer Bekannten aus Social Media, die in verschiedenen Kontexten von einer „Frühaufsteherdiktatur“ sprach: „Das war die gedankliche Wende. Nicht ich war das Problem, sondern das erbarmungslose Zeitdiktat einer rücksichtslosen gesellschaftlichen Gruppierung, von der noch nicht einmal klar ist, ob sie überhaupt die Mehrheit stellt. Ab diesem Zeitpunkt habe ich Frieden geschlossen mit dem Umstand, dass ich sowohl gerne lange nachts wach bin UND zugleich meine acht bis neun Stunden Schlaf brauche.“ Seitdem er sein Leben um seinen Rhythmus herum organisiert hat, ist er wesentlich zufriedener. Er nimmt keine Termine vor 11:00 Uhr an, reist bei auswärtigen Terminen am Abend zuvor an oder nimmt an solchen Veranstaltungen erst gar nicht teil. In seiner Veranstaltung „Strategien für einen erholsamen Schlaf“ im Gesundhaus i-Tüpferl von Christine Bachmair vermittelt er wichtige Aspekte der Schlafhygiene, die Optimierung der Schlafumgebung und die Bedeutung eines regelmäßigen Schlafrhythmus. Zudem zeigt er, dass auch durch Ernährung und Bewegung sowie moderne Hilfsmittel das Ein- und Durchschlafen nachhaltig gefördert werden kann.

Veranstaltungshinweis:

Freitag, 15.11.2024 „Strategien für einen erholsamen Schlaf“ (Dr. Stefan Schneider)

Uhrzeit: 16.30 – 17.30 | kostenfrei

Veranstaltungsort:  Gesundhaus i-Tüpferl in Steindorf

Das Buch:

  • Kai Spiegelhalder: Das Besser-schlafen-Prinzip: Mit einfachen Strategien den Schlaf optimieren und Schlafstörungen überwinden. Stiftung Warentest, Berlin 2024.

Weiterführende Informationen:

Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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