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Gutenberg-Galaxis und digitale Revolution: Geburtswehen einer neuen Welt

Vater der Massenkommunikation

„Stärker noch als das Blei in der Flinte hat das Blei im Setzkasten die Welt verändert.“

Johannes Gutenberg

Was heute als Krise bezeichnet wird, sind „Geburtswehen der Neuen Welt". Diese Übergangsphase nennt der Autor William Bridges das „no-man's-land": das Alte ist nicht mehr, und das Neue ist noch nicht da. Das deckt sich mit der Aussage des Managementvordenkers Fredmund Malik, dass vieles in der Alten Welt nicht mehr funktioniert, weil sie ihrem Ende zugeht, und in der Neuen Welt vieles noch nicht geht, weil es entweder noch nicht richtig da oder noch nicht reif genug ist. Das erzeugt Ängste und Verunsicherung.

Alte Methoden sind untauglich geworden. Was damals eine Revolution durch Maschinen war, ist nach Ansicht des Managementexperten eine Revolution durch Organisation. Denn alles steht derzeit auf dem Prüfstand und muss neu überdacht werden: alte Denkmuster, Strukturen, Prozesse und Werte. Neue Gesellschaftsstrukturen brachten stets auch neue Machtverhältnisse, ein neues Wirtschaften und neue Arbeits- und Lebensformen hervor. Nach der Erfindung der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks befinden wir uns heute in der vierten Medienrevolution der Menschheit. Im aktuellen Transformationsprozess nehmen der Umgang mit Komplexität und das ganzheitliche Denken einen bedeutenden Stellenwert ein. Es reicht deshalb nicht, nur Programmieren zu lernen – wer die digitale Revolution und ihre Auswirkungen verstehen und gestalten will, sollte interdisziplinär gebildet sein und sich auch mit der Geschichte des Buchdrucks beschäftigen.

Beide Entwicklungen haben viel gemeinsam – wenngleich die Informationsflut heute viel stärker wächst. Auch werden die Innovationsschübe an sich immer schneller. So liegen zum Beispiel zwischen der Erfindung der Druckerpresse durch Johannes Gutenberg um 1442 und der Erfindung des ersten Computerdruckers 1953 etwa 500 Jahre, während es danach nur etwa 30 Jahre bis zur Erfindung des ersten 3-D-Druckers im Jahr 1984 brauchte.

2018 jährte sich zum 550. Mal der Tod von Johannes Gutenberg (Henne Gensfleisch zum Gutenberg), der zeigen wollte, dass sich Dinge seriell produzieren lassen. 1999 wurde er von US-Journalisten zum "Menschen des Jahrtausends" gewählt und zum "Bill Gates des Mittelalters" ernannt. Bevor er sich dem Buchdruck zuwandte, produzierte er bereits andere Dinge seriell: sogenannte "Heiltumsspiegel", die unter Pilgern in Aachen ein beliebtes Souvenir waren. Die Menschen glaubten, damit das Heilige der Aachener Reliquien einfangen zu können. Gutenberg war davon überzeugt, dass sich viel für wenig Geld produzieren lasse, wenn nicht mehr gefeilt und ausgesägt wird, sondern gestanzt. Die massenhafte Vervielfältigung des Wissens verbindet ihn mit Apple-Gründer Steve Jobs.

Nachdem Gutenberg zwischen 1440 und 1450 den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden hatte, wurden sie das erste Massenmedium der Neuzeit. Zunächst wurde es für religiöse Werke genutzt, dreihundert Jahre später trug die Drucktechnik vor allem zur Verbreitung der Ideen der Aufklärung bei. Seit Beginn der Neuzeit sind Bücher der wichtigste (Über-)Träger von Zivilisation und westlicher Kultur.

Die Erfindung des modernen Buchdrucks Lettern im 15. Jahrhundert war eine medientechnische Revolution mit nachhaltigen Konsequenzen. Grammatiken, Ablassbriefe, Kalender, Broschüren, Flugblätter und Flugschriften, die Nachrichten und neue Ideen rasch verbreiten konnten beschäftigten die Druckerpressen zwar stärker als Bücher, doch ist es die Gutenberg-Bibel, die mit dieser kommunikativen Wende assoziiert wird. Sie ist das erste bedeutende Werk abendländischer Kultur, das in der neuen Technik hergestellt wurde - von hoher ästhetischer und technischer Qualität und eine der größten literarischen Kostbarkeiten aus der Inkunabelzeit (Frühzeit des Buchdrucks).

Die fast 1.300 Seiten starke, zweibändige Gutenberg-Bibel entstand zwischen 1452 und 1454. Da sie in einem 42-zeiligen Layout gedruckt ist, wird sie auch „B-42“ genannt. Etwa 180 Exemplare wurden gedruckt, davon rund 30 auf Pergament. Um der Erwartungshaltung des zeitgenössischen Publikums gerecht zu werden, musste die neue Produktionstechnik die bis dato handgeschriebenen und kunstvoll kolorierten Bücher nahezu vollständig imitieren. So wurden Exemplare eines solchen Frühdrucks ebenfalls noch von Hand rubriziert, mit Buchschmuck oder Illuminationen, Kapitelnummern und Überschriften versehen und auf diese Weise zu einem unverwechselbaren Unikat. Der Nachdruck der Gutenberg-Bibel stützt sich auf das vollständige Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, eine der wenigen erhaltenen Pergamentausgaben, eines der kostbarsten Bücher der Welt und seit 2002 Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes. Sämtliche 1.282 Seiten dieses künstlerischen und technischen Meisterwerks sind enthalten. Im Begleitheft beschäftigt sich Stephan Füssel, Leiter des Instituts für Buchwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Inhaber des dortigen Gutenberg-Lehrstuhls, eingehend mit Johannes Gutenberg und seiner sich rasant in ganz Europa verbreitenden technischen Innovation.

Steve Jobs hätte seine Freude an dieser Prachtausgabe gehabt. Er belegte als Student einen Kurs in Kalligraphie, weil er lernen wollte, „wie man es macht.“ Ihn faszinierten Schriftbilder mit und ohne Serifen, Variationen des Abstands zwischen verschiedenen Buchstabenkombinationen, alles, „was großartige Typografie großartig macht.“ Er hob vor allem den Kunstcharakter hervor, den Wissenschaft allein nicht festzuhalten kann. Während seines Studiums schien es, als würde er dies in seinem Leben niemals brauchen können, doch schon zehn Jahre später, als es darum ging, den ersten Macintosh Computer und das, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, zu gestalten, kam alles wieder zurück zu ihm.

Generation nach Gutenberg

Die aktuelle Ausgabe, die in lateinischer Sprache vorliegt, lädt aber auch dazu ein, sich mit der Zeit nach Gutenberg (um 1400-1468) zu beschäftigen, weil auch sie viel mit uns Heutigen zu tun hat. 1490 trat Aldo Manuzio auf die „Bildfläche“. Unter seinem lateinischen Namen wurde er zum „Steve Jobs des Buches“. Er wollte Bücher für jedermann drucken und setzte sich dafür ein, dass der Buchdruck als Massenmedium in den Alltag drang. Seine kunstvollen „Aldinen“ wurden (wie Apple-Computer) – sofort überall auf der Welt zu begehrten Bestsellern. Manutius’ Schrift wurde wie auch andere Typoskripte jener Jahre stilbildend. Bis heute dominiert sie das digitale Schreiben. Sein Motto war: „festina lente“ (Eile mit Weile). Als er 1515 starb, wurde er inmitten seiner Bücher aufgebahrt. „Wenn wir vor unserem Aussterben begreifen wollen, was gerade mit uns passiert, müssen wir seine Epoche studieren.“ (Dirk Schümer)

Weiterführende Literatur:

Die Gutenberg-Bibel von 1454. Mit einem Kommentar zu Leben und Werk von Johannes Gutenberg, zum Bibeldruck, den Besonderheiten des Göttinger Exemplars, dem „Göttinger Musterbuch“ und dem „Helmaspergischen Notariatsinstrument“ von Stephan Füssel. 2 Bände mit Begleitheft. TASCHEN Verlag. Köln 2018.

Die Luther-Bibel von 1534. Hardcover, 2 Bände mit Begleitheft im Schuber. Mit einer kulturhistorischen Einführung von Stephan Füssel. TASCHEN Verlag. Köln 2017.

Fredmund Malik: Navigieren in Zeiten des Umbruchs. Die Welt neu denken und gestalten. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2015.

CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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