Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

„Ich lese, bis ich verwese“: Komisches und Ernstes über Nachhaltigkeit, Leben und Tod

Pixabay

„Im Scherz“, schrieb Sigmund Freud, „darf man bekanntlich sogar die Wahrheit sagen.“ Wien ist nicht nur die Stadt der Psychoanalyse und des menschlichen Tiefgangs, sondern auch eines eigenwilligen Humors, der bis heute seltsame Blüten treibt: „Ich lese, bis ich verwese“ ist auf einem Büchersackerl zu lesen, das im Bestattungsmuseum Wien erhältlich ist. Darf gelacht werden, auch wenn die Lage ernst ist? Ja, denn genau in solchen Situationen kann uns Humor helfen, Distanz zu gewinnen und das Schwere erträglich zu machen. Nachweislich regt Humor Menschen sogar zum Handeln an. Das funktioniert auch beim Thema Nachhaltigkeit – aber es ist hier wenig erprobt: Meistens wird es nur mit Weltuntergangsstimmung und knappen Ressourcen in Verbindung gebracht. Aber gehört Humor nicht auch dazu? Aus Katastrophenrhetorik und Betroffenheitsgesten kann keine Zukunft gestaltet werden. Da dem Humor ein reflexives Moment innewohnt, ist er ein wichtiger Nachhaltigkeitsbaustein, den eine wissenschaftlich fundierte und an Fakten orientierte Debatte ebenfalls braucht.

Vorteile des Humors

  • kann die Arbeitswelt entlasten
  • führt zum Abbau von Barrieren
  • gibt die Chance, Herausforderungen aus neuem Winkel zu betrachten und eigene Sichtweisen zu überdenken
  • führt zu neuen Ideen sowie Denk- und Handlungsweisen
  • stiftet Gemeinschaft
  • stärkt das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit (wichtiger Aspekt für die Beteiligung des Einzelnen am Aktivismus)
  • macht Menschen nahbar und authentisch
  • stärkt die Problemlösungskompetenz sowie die Resilienz.
  • ist ein wichtiges Werkzeug zur Veränderung.

Doch über Nachhaltigkeit Witze zu machen ist in unserer Gesellschaft genauso tabuisiert, wie mit dem Tod zu scherzen.

Niemand von uns kann ihm entkommen, doch viele Menschen lassen ihn nicht gern in ihr Leben, weil sie fürchten, mit ihrer eigenen Endlichkeit konfrontiert zu werden. Dabei würde ein humorvoller Umgang mit dem Thema das Leben erleichtern. Wie Nachhaltigkeit und Tod miteinander verbunden sind, zeigt sich an diesem Beispiel, das der Unternehmer herwig Danzer in seinem Blog der Möbelmacher erzählt: Vor vielen Jahren hatte ein Freund und Kunde von ihm – als Arzt hatte er viel mit dem Tod zu tun - die Idee, dass auch sein letztes Möbelstück aus Unterkrumbach, neben Hersbruck, im Nürnberger Land, im Herzen Frankens kommen sollte. Mitte 2021 wurde dann konkret daran gearbeitet. Die Fertigungszeichnungen zeigten, dass vorläufig nicht der Kunde selbst, sondern seine Bar darin Platz finden sollte. Zusätzlich war der Sarg als Sitzbank im Musikzimmer gedacht, denn dort fanden regelmäßig Kammerkonzerte statt. Doch bald erreichte die Möbelmacher die Mail des Kunden - nur mit einem Notenblatt:

„Ach! Sputet Euch, Meister Zimmermann,

damit ich balde schlafen kann.“

Plötzlich wurde es eilig mit dem nachhaltigen Sarg. „Als nachhaltig und ökologisch bezeichnen wir unsere Särge, weil sie aus dem Massivholz der Region (Hersbrucker Alb) stammen, handwerklich gefertigt und mit Naturharzölen veredelt sind“, sagt herwig Danzer. Am 27. Dezember 2021 erhielt er die Nachricht, dass sein Freund am zweiten Weihnachtsfeiertag verstorben sei und der beauftragte Sarg möglichst bald benötigt werde. Aus dem noch gemeinsam mit ihm ausgewählten Holz einer einzigartigen Ulme entstand der Sarg aus Rüster (Holz der Ulme) nach Plan (ohne die Bar). „Unser erstes Holzprojekt, das schon kurz nach seiner Fertigstellung verbrannt werden würde“, so Danzer. Zunächst aber wurde der Plan mit Bestatter David Blank durchgesprochen und an seine Anforderungen angepasst - denn abgesehen von einem Kindersarg vor vielen Jahren und einer Urne hatte das Unternehmen mit dieser Thematik bislang noch wenig zu tun. Inzwischen sind die Möbelmacher „zum Thema Sarg, Urne und Beerdigung mit allen Weihwassern gewaschen.“ Ein Jahr nach dem Tod des Freundes Michael widmete ihm herwig Danzer eine Seite in seinem Jahrbuch. „Er hätte sich gewünscht, dass viele Menschen seinem Vorbild folgen und sich rechtzeitig um ihren Sarg kümmern, egal ob man ihn im Vorfeld noch als Möbel nutzt, oder nur als Symbol für die Vergänglichkeit.“

„Praktisch denken, Särge schenken“

Die Möbelmacher können heute Särge aus allen heimischen Holzarten wie Eiche, Buche, Ahorn, Elsbeere, Kirschbaum, Esche herstellen. Bei den Anfragen danach muss Danzer immer kurz schlucken, aber auch diese letzte Aufgabe wird ganz nach einem der letzten Wünsche der Kunden übernommen. „Denn wie wir alle Möbel seit Jahrzehnten in Einzelanfertigung gefertigt haben, soll auch der Sarg oder Urne wieder ein Einzelstück werden, vielleicht sogar als noch zu Lebzeiten verwendbarer Schranksarg oder als anderes Sargmöbel.“ Auch aus einem Hifischrank sollte später der Sarg einer Kundin werden. Zusätzlich musste allerdings geklärt werden, wer den Schrank der Verstorbenen vom Hifimöbel in einen Sarg rückverwandelt werden soll: Wo soll das Rindentuch für die Auskleidung des Sargs aufbewahrt werden? Wer schraubt die Füße vom Boden auf den Rücken des Sarges um? Wie werden die Löcher mit Holzplättchen dekorativ für den Sarg verwandelt? Alles wurde schriftlich im Sarg festgehalten, denn die Kundin kann auch die Möbelmacher überleben.

Ein Auszubildender des Unternehmens hat im Jahr 1992 sogar ein Gesellenstück namens "Plattensarg" gebaut für Schallplatten. „Mehr als Gag damals, aber auch das wäre eine funktionale Lösung zur Lebenszeit“, so herwig Danzer. Ein weiteres Sargmodell war der „Westernsarg“ ("Körperformsarg" mit Auskleidung) - in seiner Funktion als Banksarg und Sargbar war er gleichzeitig auch ein Möbelsarg. Wichtig war auch, dass er zur Verbrennung geeignet sein musste (sind Massivholzsärge natürlich immer), und dass er allen ökologischen Kriterien entspricht, denn beim Verbrennen von Lack entstehen giftige Gase, Naturharzöl ist dagegen zum Wohnen und zum Sterben vorbildlich. Prinzipiell können hier fast alle Möbel als Sargmöbel hergestellt werden: Barsarg, Garderobensarg, Musikschranksarg, Schranksarg oder Sargschrank, Sarg-Transportkiste oder Sargmöbel für Paare – den Ideen des Möbelsargs sind keine Grenzen gesetzt. Die Särge können mit Kleiderstangen, Schubladen und Fachböden beliebig ausgestattet werden, „nur das Grundmaß sollte im Normrahmen bleiben, damit am Friedhof keine Mehrkosten für den Aushub entstehen. Ob man ihn klassisch oder die Tür mit Baumkante ausführt, wird ganz nach dem Wunsch der Kunden entschieden“, sagt Danzer.

Gewiss ist die Frage angebracht, ob ein Sarg im Zimmer nicht die Gefühle von gläubigen Menschen verletzen könnte – doch Pfarrerin Janine Knoop-Bauer von der evangelischen Kirche in Mainz hat das Unternehmen in seiner Haltung bestätigt: "Ich glaube, es kann helfen, wenn man den Tod ein Stück weit schon ins Leben lässt. Und zwar ganz alltäglich. Beim Schuhebinden. Oder, wenn man ein Buch aus dem Bücherregal nimmt. Denn mitten im Leben sind wir umfangen vom Tod – so heißt es in einem alten Kirchenlied. Es ist eine große Aufgabe, das Sterben als Teil des Lebens zu begreifen.“ Die Auseinandersetzung mit dem Thema hilft, sich dringliche Fragen zu stellen. Was zählt im Leben wirklich? Arbeite ich im richtigen Beruf und am richtigen Ort? Leider wird in Unternehmen kaum über Tod und Sterben gesprochen, was teilweise an unserem historischen Erbe liegt, denn nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Millionen Menschen Familienmitglieder und Freunde verloren. Es gab weder Zeit noch Raum für Trauer, die oft verdrängt und schließlich zum Tabu wurde.

Bestattungs- und Friedhofskultur im modernen „Steinzeitalter“

Alternative Bestattungsformen wie Baumbestattungen, Tier-Mensch-Bestattungen, anonyme Bestattungen auf Wiesen, Gemeinschaftsgräber, aber auch Obskures wie Verstreuungen der Asche aus dem Heißluftballon oder das Schießen der Urne ins Weltall werden heute immer beliebter. Durch die zunehmende Nachfrage nach Einäscherung des Leichnams ist der Platzbedarf für die Bestattung von Urnen geringer gegenüber der Körperbestattung, die Gräber werden in der Fläche kleiner. Damit verbunden sind kleinere Grabgestaltungen aus Stein, oder die Beisetzung geht in die Vertikale (Kolumbarien) - diese Form ist allerdings eine reine Aufbewahrung. Nach Ablauf der Ruhezeit müsste die Urne noch bestattet werden. Da aber die Urnen nach Ablauf der Ruhezeit keinen postmortalen Würdeschutz mehr genießen, kann mit diesen beliebig verfahren werden. Um bei den verbleibenden Grabstellen (Einzelgrab, Doppelgrab, Gräber ohne Gestaltung bzw. "Halbanonyme", Urnengemeinschaftsgräber) eine Beschriftung vorzunehmen, ist es sinnvoll, ein "nachhaltiges" Grabmal zu gestalten. Etwa 70-80 % der Grabmale auf den Friedhöfen stammen fertig aus dem Handel. Der Stein wird nur noch beschriftet und ausliefert. Sandstrahlen oder Schrift aufdübeln ist allerdings keine Kerntätigkeit eines Steinmetzes. Nachhaltige Gräber werden unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten hergestellt. Dazu gehören beispielsweise die Einhaltung der Menschenrechte, Vermeidung von umweltschädlichen Emissionen, kurze Lieferwege, gerechte Löhne und gesetzeskonforme Arbeitsbedingungen. Der Preis für ein Grabmal, gefertigt in Fernost liegt weit unter dem eines in Europa oder gar in Deutschland aus regionalem Gestein hergestellten. Doch es entstehen hohe SO2-Emissionen. Daten und Fakten dazu finden sich in der ARD-Reportage "Seeblind" (auf Youtube heißt die Dokumentation "Der sterbende Planet"). Auch der Tod braucht Handwerk mit Verantwortung.

Wir sollten uns nicht nur fragen, wie wir leben, sondern auch, wie wir sterben wollen.

Mit diesem Thema beschäftigt sich auch Matthias Struth in seinem Buch „Letzte Fragen“, das auf dem Jakobsweg entstand: Tagsüber machte er sich Gedanken zu den verschiedenen Themen, abends entstanden die Texte. Darin hat der Priester festgehalten, was Menschen am Lebensende wissen möchten. Was treibt sie um in den letzten Stunden ihres Lebens? Gibt der Glaube Halt - oder überwiegt im Sterben der Zweifel? Wie gehen Angehörige mit dem Tod ihrer Liebsten um? Seelsorger bieten in Grenzsituationen Gelegenheit, Belastendes auszusprechen und Fragen jenseits des Medizinischen zu formulieren –allerdings ohne vorgefertigte Antworten zu erhalten. Ein solcher Austausch kann entlastend wirken, wenn Angehörige nicht vor Ort sind. „Wir in der Seelsorge sind viele (Frauen und Männer, haupt- und zunehmend auch ehrenamtlich), doch unser Wirken geschieht häufig hinter verschlossenen Türen, in einem öffentlich selten einsichtbaren Bereich“, sagt Struth. In der Seelsorge („Sorgen für die Seele“) geht es um den ganzen Menschen- „mit Leib und Seele“. Darüber hinaus wird gezeigt, dass die moderne Palliativmedizin nicht beim Sterben hilft, sondern beim Leben mit der Krankheit – auch auf dem Weg zu einem würdevollen Tod. Es geht darum, „nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zuzuführen“ (Cicely Saunders).

Matthias Struth, Jahrgang 1970, ist katholischer Priester. Er hat eine Ausbildung in der Krankenpflege sowie Religionspädagogik und katholische Theologie studiert und war zehn Jahre Gemeindepfarrer im Osten Wiesbadens. Seit 2013 ist er in der Krankenhausseelsorge an der Universitätsmedizin Frankfurt tätig. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Seelsorge auf chirurgischen Intensivstationen und priesterliche Dienste im gesamten Klinikum. Er hat sich zum Ethikberater im Gesundheitswesen qualifiziert und bildet Ehrenamtliche für die Mitarbeit in der Seelsorge aus. An der Goetheuniversität promoviert er zu medizinethischen Fragen am Lebensende. Als Zelebrant ist er zudem in der Liebfrauenkirche, am Frankfurter Dom und anderen katholischen Gemeinden Frankfurts zu Gast und wirkt bei Gedenkfeiern für Körperspender wie auch den ökumenischen Gedenkgottesdiensten für an Aids Verstorbene mit.

Am Ende geht es um das Leben, so die Kernaussage seines Buches. Den Humor dazu liefern im Leben Literaten wie Joachim Ringelnatz – kein Sachbuch kann je die Wirksamkeit dieser Zeilen erreichen. Nachhaltigkeit braucht Poesie:

„Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern. / Meine Liebe wird mich überdauern / Und in fremden Kleidern dir begegnen / Und dich segnen. // Leben, lache gut! / Mach deine Sache gut!“

Das Buch:

  • Matthias Struth: Letzte Fragen. Was Sterbende wissen wollen. Westend Verlag, Neu-Isenburg 2024.

Weiterführende Informationen:

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
Dr. Alexandra Hildebrandt

Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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